© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Der neue Berlin-Paris-Express
Bahnindustrie: Siemens und Alstom schaffen EU-Champion / Politik sorgt für Fusion „unter Gleichen“ / Wie lange hält das Versprechen?
Carsten Müller

Siemens will seine Bahn- und Signaltechnik mit den Aktivitäten der französischen Alstom verbinden. Beide Unternehmen haben sich darauf geeinigt, den neuen Bahntechnik-Spezialisten Siemens-Alstom zu gründen. Dieser wäre mit einem Jahresumsatz von 15,3 Milliarden Euro (Stand 2016) die Nummer zwei in der Branche und mit Abstand der Champion auf dem europäischen Markt. Damit wären mit dem deutschen ICE und dem französischen TGV zwei der bekanntesten Hochgeschwindigkeitszüge unter einem Dach vereint. Dafür gibt es viel Applaus von Analysten, Politikern und selbst Gewerkschaften. Dennoch ist die Fusion bei weitem keine „Ehe im Himmel“.

Chinesische Konkurrenz macht künftig Druck

Beide Firmen stehen in einem harten Wettbewerbsumfeld und suchen seit langem nach Optionen, dies zu verbessern. Die stärkere Position hat dabei Siemens. Dies macht sich an den Geschäftszahlen fest. So brachte es der Geschäftsbereich Siemens Mobility im vergangenen Geschäftsjahr auf einen Umsatz von rund 7,8 Milliarden Euro. Damit verdiente die Siemens-Bahntechnik einen operativen Gewinn von 678 Millionen Euro, was einer Marge von 8,7 Prozent entsprach. Wettbewerber Alstom lag im Umsatz mit 7,3 Milliarden Euro zwar dicht dahinter, brachte es aber nur auf einen Gewinn von 358 Millionen Euro mit einer Marge von 4,9 Prozent. Daß man es nun gemeinsam versuchen will, liegt an drei Aspekten.

Die Branche verzeichnet Überkapazitäten, die auf den Preisen lasten. Außerdem litten die Anbieter in Europa in den letzten Jahren unter der Sparpolitik im Zuge der Euro-Krise. Hier staute sich im Infrastrukturbereich viel an, was nur langsam abgebaut wird. Und der dritte, vielleicht entscheidende Punkt liegt im Fernen Osten. Denn der Marktführer heißt China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC), kommt aus dem Reich der Mitte und liefert einen Jahresumsatz von über 30 Milliarden Dollar ab.

Das allein hat vorerst nicht viel zu bedeuten, da CRRC rund 90 Prozent seines Umsatzes bislang im Heimatmarkt erwirtschaftet. Jedoch hat der chinesische Staatskonzern zwei gewichtige Argumente im Gepäck, die ihn auch international gefährlich machen. So hat er sehr guten Zugang zu Kapitalquellen in China und kann damit im oftmals vorfinanzierten Projektgeschäft punkten. Außerdem hat CRRC beim Ausbau des chinesischen Hochgeschwindigkeitsnetzes viele Erfahrungen sammeln können und präsentiert sich mittlerweile im internationalen Wettbewerb mit einer eigenen und technologisch ausgereiften Modellpalette.

Wollen die anderen Wettbewerber hier nicht von vornherein Boden verlieren, müssen sie gegensteuern. Wobei Siemens andere Optionen hatte. Seit Monaten stand man in Verhandlungen mit dem kanadischen Zugbauer Bombardier, der sich aber zu lange zierte. Außerdem kommt Siemens mit dem Alstom-Deal seinem Gesamtziel schneller nahe. Denn die Schaffung von Siemens-Alstom ist ein Bestandteil des Masterplans, den deutschen Technologie-Konzern zu einer Holding mit Aktivitäten in Energie, Gesundheit und Industrie/Mobilität umzuformen. Holding heißt dabei, daß man inzwischen sein Energiegeschäft (insbesondere Windkraftanlagen) in die Tochter Siemens-Gamesa ausgelagert hat. Der Bereich Mobilität wird in der Hauptsache bei Siemens-Alstom liegen, und im Bereich Gesundheit ist für das kommende Jahr ein Börsengang der Medizintechniksparte geplant.

Bei Alstom ist die Sache nicht ganz so eindeutig. Denn der Konzern gehört zu denen, die in Frankreich als identitätsstiftend angesehen werden. Ein Grund, warum ein erster Übernahmeversuch von Siemens vor drei Jahren keinen Erfolg hatte. Auch jetzt gibt es Kritiker, die einen Ausverkauf französischer Wirtschaftswerte befürchten. Insbesondere das zukünftige Schicksal des TGV, der den Stellenwert eines nationalen Symbols hat, wird heiß diskutiert. Doch bei vielen Vertretern aus Politik und Gewerkschaften herrscht Pragmatismus. Denn nachdem Alstom vor drei Jahren einen Großteil seines Geschäftes mit Ener­gietechnik an den US-Konzern General Electric verkauft hatte, war die Firma nur noch ein Schatten ihrer selbst. In der aktuellen Wettbewerbssituation mit den Chinesen im Nacken könnte Alstom alleine kaum Bestand haben.

Dennoch haben es die Franzosen wieder geschafft, aus einer Schwäche eine Verhandlungsstärke zu ziehen. Von den ursprünglichen Bewertungen der beiden Unternehmen ausgehend, hätte Siemens nach Berechnungen der Börsen-Zeitung einen Anteil am neuen Unternehmen von gut 64 Prozent verdient. Das war für die französische Politik inakzeptabel. So wurde durch einen Griff in die bilanzielle Trickkiste ein faktischer Bewertungsausgleich erreicht. Siemens hat nun einen Anteil von knapp 51 Prozent. Immerhin: In der Perspektive gibt es noch Chancen für eine Anteilsaufstockung. Das gilt insbesondere für den Anteil von dann 28 Prozent an Siemens-Alstom, die vorerst vom bisherigen Alstom-Aktionär Bouygues gehalten werden und der sich womöglich zurückziehen will.

Siemens-Alstom soll stärker als der Markt wachsen

Für die Zukunft haben sich die beiden Partner viel vorgenommen. So will man bis 2023 den Gesamtumsatz auf 20 Milliarden Euro steigern. Dies entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von ambitionierten vier Prozent. Doch die branchenweiten Prognosen liegen deutlich darunter. So hatte das Beratungsunternehmen Roland Berger kürzlich in einer Studie die Schätzung aufgestellt, daß der Markt für Bahntechnik weltweit in den nächsten Jahren um rund 2,6 Prozent pro Jahr zulegen könnte, in Europa plus 3,1 Prozent.

Auch bei der Marge will Siemens-Alstom zulegen. Hier wird auf operativer Ebene ein Erreichen von elf bis 14 Prozent prognostiziert. Umgesetzt werden soll dies auch durch Kostensynergien in Höhe von 470 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren. Ob dies am Ende auch größere Stellenstreichungen bedeutet, lassen die Beteiligten vorerst offen.

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