© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Anschmiegsam wie eine Katze im Körbchen
Richard Wagner: Nach der „Ring“-Tetralogie im Frühjahr am Hessischen Staatstheater Wiesbaden steht in dieser Spielzeit wenigstens wieder die „Götterdämmerung“ auf dem Spielplan
Sebastian Hennig

Daß diese Fassung schon an der Donau beklatscht wurde, bevor sie nun noch die Opernfreunde am Rhein erfreut, wird nur wenigen bewußt sein, welche die zwei Zyklus-Aufführungen von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ zu den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden in der Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg erlebt haben. Wer beide Aufführungsorte vergleichen konnte, dem offenbarte sich die doppelte Beziehung von Bühne und Drama. Auch die Architektur bietet ein Schauspiel, und selbst ein Zuschauerraum verfügt über seine Dramatik. 

Die Oper Linz ist einer der seltenen Theaterneubauten im deutschen Sprachraum, in dem sich zeitlose Feierlichkeit in zeitgenössischer Eleganz ausdrückt (JF 26/14). Für das Theater in Wiesbaden konnte das zu seiner Erbauungszeit ebenfalls in Anspruch genommen werden. Die Gänge, Logen, Treppen, Loggien und Foyers sind ähnlich verwirrend wie in manchem modernen Theaterhaus. Aber statt damit Beklemmung zu verursachen, spendet dieses mit Gold und Stuck überfangene Labyrinth eine reine Heiterkeit. Wo einst der Kaiser vorfuhr, befindet sich heute der Bühneneingang. Das Publikum dagegen strömt ganz bürgerlich durch die Kolonnaden am Bowlinggreen des Kurparks in das Theater oder den mehrgeschossigen neobarocken Foyerbau. Die Verästelungen der Wege raubt nicht den Raum, sondern vervielfacht ihn, wie im Spiegelsaal von Versailles. Nun gewährt auch die Linzer Oper von Terry Pawson eine schöne Raumentfaltung. Doch gegenüber dem maßvollen Charme des Wiesbadener Theaters hat sie die Ästhetik eines totalitären Kulturpalastes.

Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung wird auf der anderen Bühne zu einem anderen Stück. Ob Wagner selbst diese unfreiwillig historische Aufführungspraxis des intimen Wiesbadener Theaters goutiert hätte, wissen wir nicht. Gut möglich, daß ihm die häßliche Schildkröte von Sydney oder die Großmarkthalle der Amsterdamer Oper mehr zugesagt hätte, als das verspätete Wiesbadener Rokoko der Herren Fellner, Hellmer und Genzmer. Zumal die „Götterdämmerung“ dieses anmutige Theaterchen weit über den Eichstrich füllt. Jedoch die geräumigen Schlafsessel des Linzer Parketts hätte Wagner verspottet, wo er doch für das Publikum seiner Bayreuther Bühnenweihfestspiele eine frugale Unbehaglichkeit vorgesehen hat. 

Im Dröhnen des musikdramatischen Weltuntergangs vibriert das Wiesbadener Theater wie eine alte Stradivari. Was immer dem Hessischen Staatsorchester an Klangpracht abgeht, das rundet dieser Resonanzraum noch zu einer wohltönenden Einheit. Für den Augenschein gilt das gleiche. Was in Linz im harten länglichen Kubus des Bühnenraums ausgestellt war wie in einem Setzkasten, das schmiegt sich hier ins Rund wie die Katze ins Körbchen. Doch die Katze bleibt ein Beutegreifer. Bei aller Intimität entfaltet Wagners Musik zugleich ihre dämonische Macht.

Die kleine Bühne ist gnädig zu den Sängern

Beinahe verzeihlich sind da die Ausrutscher im Graben. In Augenblicken klingt das Staatsorchester wie eine Wiesbadener Kurkapelle, um dann sogleich, von Alexander Joel couragiert gebändigt, sich wieder in dramatischer Anmut zu fassen. Dieses Über-sich-Hinauswachsen ist so ergreifend, daß dadurch ein stimmungsvolles Gesamtergebnis garantiert wird. Die kleine Bühne ist gnädig zu den Sängern. Doch schon schmettern die Trompeten wieder einmal lustigen Unsinn hinaus, und dem Heldensohn rutscht bei einem ausgelassenen Hieb kurz die Stimme weg. Thomas de Vries ist ein Alberich von sonorer Pracht, die immer verhalten sich steigert und nie ausbricht.

Die Besucher der Wiederaufnahme der „Götterdämmerung“ zum Spielzeitbeginn müssen auf das deutsche Traumpaar vom Mai verzichten: Andreas Schager und Evelyn Herlitzius, welche die ganze Erde des Wagnerschen Kosmos in der Stimme haben mit allen Erzgängen und Flußkieseln und nicht nur das reine Metall wie Lance Ryan. Als Brünnhilde steht ihm Catherine Foster zur Seite. Es sind die Miethelden des internationalen Opernbetriebs.

Die zuweilen recht gescheiten szenischen Einfälle der Inszenierung verdampfen in der Dichte der Handlung. Es ist eine Regie, die man kaum merkt, so als wären einfach nur die Sänger aufeinander losgelassen worden. Die Monologe, Dialoge und Terzette führen zu eindringlichen Steigerungen der Musikdramatik. 

Besonders brutale Barockfürsten ließen Gemälde ohne Rücksicht auf deren Bildkomposition zuweilen nach dem Rahmen beschneiden. Diese schrumpfende Einpassung in den Prunkrahmen nach Art eines späten Menzel-Gemäldes hat der Inszenierung von Laufenberg gut getan. Eine geschlossenere Darbietung der „Ring“-Tetralogie ist wohl auch in Bayreuth nicht zu haben und kaum zu denken. So bleibt zu hoffen, daß nicht nur die anderen Einzelinszenierungen der Tetralogie nach und nach gespielt werden, sondern in Wiesbaden auch ein kompletter Ring mit einer ebenso hervorragenden Besetzung wieder zu erleben ist. Denn eine solche Unternehmung jenseits der Alltagsroutine des Spielplans stiftet Überraschungen besonderer Art.

Das Wunder von Wiesbaden war Andreas Schager. Ursprünglich aus dem lyrischen Fach, inklusive Operette, stammend, brüllte er vor drei Jahren in Halle als Siegfried noch monoton, was die Stimme hergeben wollte (JF 6/14). Daß er heute überhaupt noch über eine Stimme verfügen würde, war bei diesem Mißbrauch eher unwahrscheinlich. Aber er hat inzwischen die amtierenden deutschen Heldentenöre überholt ohne sie einzuholen. Und im Gegensatz zu den betörenden Sirenentönen der beiden deutschen Altersgenossen im Heldenfach verfügt er über ein schweres Fundament. Zugleich paßt der biedere Typus des niederösterreichischen Holzfällers weit besser zum naiven Recken Siegfried als der holsteinische Zinngießer Klaus Florian Vogt oder der Münchner Goldschmied Jonas Kaufmann.

Als Siegfried steht Andreas Schager demnächst in der „Götterdämmerung“ an der Dresdner Semperoper unter der Leitung von Christian Thielemann auf der Bühne (29. Oktober), 2018 ist er unter anderem als Tristan und Parsifal an der Staatsoper Berlin gebucht. 


Die nächste „Götterdämmerung“-Aufführung am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, Christian-Zais-Str. 3, findet am 21. Oktober um 17 Uhr statt. Weitere folgen am 14. Januar, 24. März und 21. Mai 2018. Kartentelefon: 06 11 / 132 - 325

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