© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Querköpfe unter der Kuppel
Wiedereinsteiger, alte Hasen, Neuzugänge: Politik ist so spannend wie die Menschen, die sie machen. Diese hier sind gewählt, aber nicht aalglatt. Eine Auswahl

Sechsmal: Der Euro-Kritiker Klaus-Peter Willsch feierte seinen Wahlsieg im Restaurant „Europa“ in Limburg, das zu seinem Wahlkreis gehört. Er mußte zwar Federn lassen, aber auf hohem Niveau. Mit 41,8 Prozent wurde der profilierteste CDU-Wirtschafts- und Finanzpolitiker zum sechsten Mal in Serie direkt in den Bundestag gewählt. Willsch gehört zu den wenigen Unionsabgeordneten, die konsequent gegen die Euro-Rettungspolitik gestimmt haben und sich gegen die Fraktionsführung stellten. 2013 flog der Diplom-Volkswirt dafür aus dem wichtigen Haushaltsausschuß. Auch die Asylpolitik der Kanzlerin kam bei ihm nicht gut weg: Die offenen Grenzen hält er für eine „Fehlentscheidung“, mahnte, die CDU müsse „den rechten Flügel mit abdecken“. „Ich werde weiterhin das sagen, was ich für notwendig halte.“





Auf Anhieb gelungen: Der kernige hessische CDU-Landespolitiker Hans-Jürgen Irmer darf einen Koffer für Berlin packen. Die Bürger im Wahlkreis Lahn-Dill wünschten „ihren  Irmer“ überdeutlich im Bundestag zu sehen: 38,3 Prozent der Erststimmen auf Anhieb – der frühere bildungspolitische Sprecher der hessischen CDU-Fraktion, von Hause aus Gymnasiallehrer, kandidierte erstmalig für den Bund. Irmer verstärkt den Berliner Kreis in der Unionsfraktion. Klare Aussagen in puncto linker Experimente im Bildungswesen, Zuwanderung und Islam plus Engagement vor Ort zahlten sich aus. Die CDU seines Wahlkreises stand um 2,6 Prozentpunkte besser da als der Hessenschnitt (30,9 Prozent).





Rebell retour: Mit dem Wiedereinzug der FDP ist auch Frank Schäffler zurück im Bundestag. Nur mit einer Kampfabstimmung konnte Schäffler sich für einen Platz auf der Landesliste durchsetzen. Der FDP-Landesvorstand unter Christian Lindner hatte den als Euro-Rebell und „Klimaskeptiker“ bekanntgewordenen Finanzfachmann zuvor von der Liste gestrichen. Schäffler geißelte die Euro-Rettungspolitik der CDU/CSU/FDP-Bundesregierung und initiierte bei den Liberalen einen – gescheiterten – Mitgliederentscheid gegen den damaligen Parteivorsitzenden Philipp Rösler und dessen Kurs, dauerhaft mit deutschen Steuergeldern einen „Euro-Rettungsschirm“ (ESM) aufzuspannen.





Mit knapper Not: Für Veronika Bellmann erwies sich die feste Bank von einst als wackliges Brett: Die konservative CDU-Frau, die seit 2002 stets mit großem Abstand das Direktmandat in Mittelsachsen holte, trennten am Ende nur gut 1.400 Stimmen vom AfD-Konkurrenten. Vor vier Jahren erzielte Bellmann (Mitglied im Unionsfraktionsvorstand in Berlin, gehört dem Berliner Kreis an, forderte die Einhaltung des Maastrichter Vertrags, warnte vor Islamisierung und Masseneinwanderung) noch ein Traum­ergebnis von 51,3 Prozent.





Kantig: Was ein Glück, sich nicht auf die bayerische CSU-Landesliste verlassen zu haben, wird sich Hans-Peter Friedrich gesagt haben. Die hatte der als kantiger Bundes­innenminister in kollektiver Erinnerung gebliebene Oberfranke nur 1998 einmal benötigt. Seither schickten ihn die Wähler immer mit Direktantrieb nach Berlin. So auch diesmal: 47 Prozent klingen komfortabel bei einem bayernweiten CSU-Ergebnis von 38,8 Prozent. Exakt den gleichen Wert an Zweitstimmen erreichten die Christsozialen auch in Friedrichs Wahlkreis Hof. Alles darüber darf der verheiratete Familienvater (drei Kinder) als persönliche Sympathiepunkte verbuchen. In der Ausländer- und Asylpolitik steht der Vize-Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion für einen härteren Kurs. Er sprach sich gegen den Familiennachzug von Syrern aus, mahnte zu weniger hohen Geldleistungen an Asylbewerber.





Kreuz-Dame: Mit einem Anteil von 57,7 Prozent konnte Silvia Breher (CDU) die meisten Kreuze bei den Erststimmen dieser Bundestagswahl für sich sammeln. Die selbständige Rechtsanwältin (verheiratet, drei Kinder, katholisch) vertritt erstmals den Wahlkreis Cloppenburg-Vechta in Berlin. Erst im Februar war die 43jährige in Urwahlen der Kreisverbände zur Kandidatin des Oldenburger Münsterlandes gewählt worden, nachdem ihr Vorgänger Franz-Josef Holzenkamp aus gesundheitlichen Gründen nicht wieder angetreten war. Der war ebenso Erststimmenkönig, wenn auch 2013 mit 8,6 Prozentpunkten weit üppiger ausgestattet.





Senkrechtstarter: Bei der Landtagswahl gewann die AfD auf dem Gebiet seines Wahlkreises drei Direktmandate. Jetzt verwies jemand den Konkurrenten auf die Plätze, der vor acht Jahren als Mecklenburg-Vorpommerns eifrigster CDU-Wahlkämpfer ausgezeichnet worden war: Der 24 Jahre junge Jura-Doktorand Philipp Amthor (Uni Greifswald) holte für die CDU den Nachbarwahlkreis von Angela Merkel im äußersten Nordosten. Amthor (Ex-Stipendiat der Adenauer-Stiftung) sitzt seit sechs Jahren im CDU-Landesvorstand, lernte praktische Politik im Kreistag Vorpommern-Greifswald und als Kreisvorsitzender der örtlichen JU. Er rief den Konservativen Kreis in der CDU seines Bundeslandes mit ins Leben, ist von Gender und Homo-Ehe nicht begeistert („verfassungsrechtlich ein Unding“). Als er mit 16 in die CDU eintreten wollte, hielt sein Gegenüber in der Leitung das für einen Telefonstreich. Neben der Promotion in Öffentlichem Recht arbeitet als Jurist in einer Berliner Wirtschaftskanzlei. Für beides wird der zweitjüngste Abgeordnete des 19. Bundestages jetzt keine Zeit mehr finden.





Stehaufmännchen: Die AfD hat in Martin Hohmann den einzigen Abgeordneten, der schon einmal im Bundestag saß. Aus dem Kreistag Fulda heraus zog das frühere CDU-Mitglied über die Landesliste nach zwölf Jahren wieder in den Bundestag ein – man sieht sich immer ein zweites Mal. Hohmann lag in seinem Wahlkreis Fulda mit 17,6 Prozent der Erststimmen weit über dem hessischen Zweitstimmen-Landesdurchschnitt der AfD (11,9 Prozent). 2003 war Hohmann im Zuge einer künstlich erzeugten Affäre um seine Rede zum 3. Oktober aus der Unions-Bundestagsfraktion sowie aus der CDU ausgeschlossen worden.





Mit Bekenntnis: Wirklich eng wurde es für Sylvia Pantel (verheiratet, fünf Kinder, katholisch) nicht: Im Düsseldorfer Süden ließ sich die Konservative (Berliner Kreis, Werte-Union) das 2013 anvertraute Billet nach Berlin nicht vom SPD-Herausforderer abjagen. 33,8 Prozent zu 27,3 – theoretisch könnten sie dennoch gemeinsam fahren, weil der Unterlegene über die Landesliste abgesichert war; Pantel indes nicht. Beide großen Parteien schnitten in Düsseldorf so schlecht ab wie noch nie. Pantels Wunschkoalition wäre eine christlich-liberale gewesen: „Mit den Grünen möchte ich nicht so gerne.“





Die Nachfolgerin: Die Linksaußen-Politikerin der Grünen, Canan Bayram, ist die einzige direkt gewählte Bundestagsabgeordnete ihrer Partei. Die Rechtsanwältin trat im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg die Nachfolge von Hans-Christian Ströbele an, der mit 78 die Reißleine zog. Bayram, auch in der eigenen Partei umstritten, schnauzte auf dem Bundesparteitag im Juni den Grünen-Oberbürgermeister von Tübingen (und Realo) Boris Palmer an, er solle „die Fresse halten“. Jüngst ging sie gegen die Sperrung der Internetseite Linksunten.Indymedia auf die Straße. Politisch will sie die Quadratur des Kreises: offene Grenzen, aber bezahlbare Mieten. Die Neue im Bundestag kündigte bereits an, einer Jamaika-Koalition nicht zuzustimmen.





Widerständig: Ein stark eingedampftes Erststimmen-Ergebnis für Arnold Vaatz: Der CDU-Mann und ehemalige DDR-Bürgerrechtler erzielte im Wahlkreis Dresden-Meißen 25,6 Prozent – gerade noch so vor dem AfD-Mitbewerber. Vaatz kritisiert den Ausstieg aus der Kern­energie, schreibt Gastbeiträge für das Portal „Achse des Guten“ und steht dem klimaskeptischen Europäischen Institut für Klima und Energie (Eike) nahe. Vaatz setzte sich energisch und erfolgreich für eine SED-Opfer-Pension ein. Daß er drei Pegida-Anhängern zu einem Termin im Entwicklungshilfeministerium in Berlin verhalf, brachte ihm erwartbare Schelte von linker Seite ein. 





Wahlsplitter

Neuer Ansprechpartner

Bernd Fabritius, Chef des Bundes der Vertriebenen (BdV), muß sein Büro im Reichstag räumen. Schuld sind die erdrutschartigen CSU-Verluste, die für keinen Listenkandidaten ausreichten. Ein „absoluter Kahlschlag“, kommentierte der Rechtsanwalt die Folgen für die Vertretung der Heimatvertriebenen. Neben Fabritius als Spitzenkandidat der Union der Vertriebenen und Aussiedler (UdV) verliert das Milieu auch einen weiteren Patron: Der bisherige Fraktionssprecher der Arbeitsgruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten, der Sachse Klaus Brähmig, schaffte es ebenfalls nicht nach Berlin. Für die politischen Anliegen der Vertriebenen kann sich im Bundestag jetzt ein ehemaliger BdV-Vizepräsident einsetzen: Wilhelm von Gottberg (77, AfD).

Vergebliches Mühen

Saskia Ludwig hat als einziger Direktbewerber der CDU in Brandenburg das Mandat verpaßt. Der Konservativen (Berliner Kreis, Werte-Union) aus dem seit SED-Zeiten roten Potsdam mangelte es am Ende an Unterstützung aus der eigenen Partei: So absolvierte Merkel entgegen üblicher Gepflogenheit keinen Wahlkampfauftritt in der früheren preußischen Residenzstadt. Daß Ludwig auch entgegen dem Trend im Wahlkreis verlor – die CDU liegt bei den Zweitstimmen hier mehr als sechs Prozentpunkte vor der SPD –, ist bitter. Tröstlich: Seit der Wiedervereinigung gewann den Kreis mit einer Ausnahme stets ein SPD-Kandidat.

Quittung und Hilferuf

Hochburg Duisburg-Marxloh: Laut Focus der „Prototyp einer deutschen No-Go-Area“. Kriminalität, Vermüllung, hier steht die größte Moschee Deutschlands. Im Stimmbezirk Obermarxloh fuhr die AfD 30,4 Prozent ein, fünf Punkte hinter der SPD. In anderen Marxloher Bezirken gab es Ergebnisse von weit über 20 Prozent.