© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Herr Müller im Dilemma
Volksentscheid: Die Berliner stimmen mehrheitlich für den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel / Klatsche für Rot-Rot-Grün
Ronald Berthold

Sie haben sich wirklich bemüht. Im Vorfeld des Volksentscheides über den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel schickten der Regierende Bürgermeister und seinen beiden Stellvertreter, Ramona Pop (Grüne) und Klaus Lederer (Linke), einen Brief an Berliner Haushalte. Und sogar in einem Youtube-Video flehte das Senats-Trio die Hauptstädter förmlich an, mit „Nein“ zu stimmen.

Das Ergebnis dieses Werbens ist für Rot-Rot-Grün eine Katastrophe. Lediglich 41,7 Prozent der Wähler folgten am Sonntag ihrer Regierung. 56,1 Prozent aber stimmten mit „Ja“ – also für die Offenhaltung Tegels auch dann, wenn der sogenannte Großflughafen BER ans Netz gehen wird. Besonders bemerkenswert: Im Bezirk Reinickendorf, zu dem der Ortsteil Tegel gehört, stimmten rund 70 Prozent für den Weiterbetrieb. Dabei hatte der Senat immer wieder argumentiert, die Anwohner müßten vor dem Fluglärm geschützt werden. 

Mit 71,3 Prozent stimmten so viele Berechtigte wie noch nie zuvor bei einem Volksentscheid in der Hauptstadt ab. Die Beteiligung lag sogar um 4,4 Prozentpunkte höher als bei der Abgeordnetenhauswahl vor einem Jahr. Auch dadurch erhält das Referendum ein starkes Gewicht. Mehr aber auch nicht. Denn die Entscheidung ist rechtlich nicht bindend, da nicht über ein Gesetz abgestimmt wurde. Der Senat muß sich also nicht an das Votum halten. Und das wird er wohl auch nicht.

Zwar signalisierte der Regierende Bürgermeister nach dem eindeutigen Ergebnis „Gesprächsbereitschaft“. Er könne „anbieten“, sagte er, „mit den Gesellschaftern zu reden, ob sie bereit sind, ihre Position zu überdenken“. Ob er selbst seine Position überdacht habe, sagte er nicht. Danach klangen die Worte jedoch nicht – zumal er erneut auf die „erheblichen rechtlichen Risiken“ hinwies, sollte die Tegel-Schließung noch einmal in Frage gestellt werden. Als Stadtoberhaupt müßte sich Müller eigentlich zum Anwalt seiner Bürger machen. Doch seine Worte nach dem Wahlausgang klingen wie die Suche nach einem Alibi. Motto: Tut mir leid, aber die anderen ziehen nicht mit. Da kann ich auch nichts machen.

Kapazitäten des neuen  Flughafens reichen nicht

Schon im Vorfeld der Abstimmung hatte Müller deutlich gemacht, daß er seine Flughafenpolitik unverändert fortsetzen werde. Dagegen regt sich nun Widerstand – auch in der eigenen Partei. Ortwin Baier, SPD-Bürgermeister von Blankenfelde-Mahlow, forderte seine Genossen in der Hauptstadt auf: „Sie müssen das Votum der Berliner ernst nehmen.“ Sein Ort grenzt direkt an Berlin und liegt unweit des BER. Ohne den Weiterbetrieb Tegels müßte dort eine dritte Startbahn gebaut werden, weil die Kapazitäten des noch nicht eröffneten Flughafens nicht mehr ausreichen würden. Baier kündigte eine Klage an, falls statt 35 künftig 55 Millionen Fluggäste vom BER starten und landen sollten: „Dafür gibt es kein Planfeststellungsverfahren.“

Auch sonst bläst Michael Müller der Wind ins Gesicht. Der als SPD-nah geltende Tagesspiegel wertete das Abstimmungsergebnis als „Mißtrauensvotum“ gegen den Senat. Und die Opposition treibt den 52jährigen weiter vor sich her. Der Sozialdemokrat habe den „unmißverständlichen Auftrag, die rechtlich mögliche Offenhaltung von Tegel mit Respekt und Nachdruck umzusetzen“, forderte FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja. Die Liberalen hatten den Volksentscheid initiiert. „Dieses Votum der Bürger kann nicht wie ein inspirationsloser Koalitionsvertrag korrigiert werden“, stichelte er. Und beschwingt vom Erfolg mit dem Volksentscheid kündigte die Partei nun sogar an, ein Volksbegehren für Neuwahlen starten zu wollen. Mit dem Ignorieren des Wählerwillens hätte sie dafür ein gutes Argument.

Das träfe die SPD in einer verheerenden Lage, denn bei der Bundestagswahl erhielt sie am Sonntag in Berlin nur 17,9 Prozent der Zweitstimmen. Damit landete sie hinter CDU und Linken auf Platz drei – ein Debakel in der früheren Hochburg. Müller sitzt in der Patsche. Setzt er das Ergebnis des Referendums nicht um, droht weitere Wählerflucht. Schon jetzt ist laut Umfragen kein Landesvater bei seinen Wählern so unbeliebt wie er.