© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Schlag ins Kontor
Bundestagswahl: Beide Volksparteien sind die Verlierer / SPD will in die Opposition
Christian Schreiber

Auch der Morgen danach gehörte der AfD. Das Ausscheiden der Parteivorsitzenden Frauke Petry aus der noch nicht einmal konstituierten Fraktion beschäftigte den Medientroß in der Bundeshauptstadt. „Man fragt sich, ob eine Partei, die 13 Prozent geholt hat, dieses Maß an Aufmerksamkeit verdient“, sagte der FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner sichtlich verärgert. Allzu gern hätte der liberale Einzelkämpfer eine vergleichbare Aufmerksamkeit genossen. Die wird er aber in den kommenden Wochen sicher bekommen. 

Immerhin 10,5 Prozent hat Lindner als Spitzenkandidat erzielt und die FDP damit nach dem Debakel von 2013 zurück ins Parlament geführt. Das Ziel, drittstärkste Kraft hinter der Union (32,9) und der SPD (20,5) zu werden, verfehlten die Liberalen aber. Immerhin setzte man sich im Rennen um Platz vier gegenüber der Linken (9,2) und den überraschend starken Grünen (8,9) durch. „Wir haben harte, verantwortungsvolle Gespräche vor uns“, sagte denn auch Lindner am Tag nach der Wahl, als er zum Vorsitzenden seiner Fraktion gewählt wurde. Ob er dies bleibt oder bald an den Kabinettstisch wechselt, ist dabei unklar. 

Denn die Machtverhältnisse im neuen Reichstag sind ausgesprochen schwierig. Eine Koalition hat ab 355 Sitzen eine Mehrheit im Bundestag. Rechnerisch möglich wären eine sogenannte Jamaika-Koalition aus Union, Bündnis 90/Grüne und FDP (393 Sitze) und eine Fortsetzung der Großen Koalition aus Union und SPD (399 Sitze). Ein Bündnis mit der AfD hatten alle Parteien im Vorfeld ausgeschlossen. Bei einer Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen ist beispielsweise offen, wer das Finanzressort und wer das Außenministerium besetzen würde. Hier ist Lindner ein Kandidat. 

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wurde schon vor der Wahl in Parteikreisen als möglicher Nachfolger von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) genannt. Bei einer Jamaika-Koalition und angesichts der AfD im Bundestag brächte Schäuble mit seiner langen parlamentarischen Erfahrung die Voraussetzung mit, hitzige Debatten im Griff zu behalten.

Kanzlerin Angela Merkel sieht für die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen trotz aller Schwierigkeiten keine unüberwindbaren Hürden. Die Union werde das „meistern“, sagte die CDU-Chefin. Dabei muß sie vor allem mit Sorge nach München schauen. Denn die Schwesterpartei CSU verlor noch stärker als Merkels Partei, kam nicht einmal mehr auf 40 Prozent. Im kommenden Jahr stehen im Freistaat Landtagswahlen an, und der Satz des einstigen Übervaters Franz Josef Strauß, rechts neben der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, könnte spätestens dann Makulatur sein. 

„Man kann nicht zur Tagesordnung übergehen“

Nach dem desaströsen  Ergebnis fordert der bayerische Finanzminister Markus Söder eine schonungslose Analyse der Ursachen und ein „Hineinhorchen“ in die eigene Partei. Das CSU-Ergebnis sehe so aus, daß man „ganz logischerweise nicht zur Tagesordnung übergehen kann, insbesondere deswegen, weil wir nächstes Jahr die Landtagswahl haben“, sagte Söder. Er sei aber gegen „Hau-Ruck- und Schnell-Analysen“.  CSU-Chef Horst Seehofer übernahm derweil in einer Vorstandssitzung die Verantwortung für das desaströse Bundestagswahlergebnis seiner Partei. Er forderte eine „inhaltliche Klärung“ mit der Schwesterpartei CDU. Eine zunächst ins Gespräch gebrachte Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU blieb aber aus (siehe unten). Die CSU müsse jetzt nachweisen, daß sie die eigenen Wahlversprechen mit aller Konsequenz weiterverfolge, betonte der Parteivorsitzende. Am Wahlabend hatte Seehofer erklärt, es sei ein Fehler gewesen, „die rechte Flanke offenzulassen“. Offen ließ Seehofer auch, wie ein möglicherweise konservativerer Kurs mit einer Koalition mit den Grünen unter einen Hut zu bringen wäre  Diese betonten nach der Wahl ihre Bereitschaft für ernsthafte Sondierungen mit Union und FDP über eine Jamaika-Koalition. Es sei klar, daß alle Kompromisse machen müßten, sagte Parteichef Cem Özdemir gegenüber der dpa. „Ich weiß, daß wir nicht die stärkste Fraktion sind in solchen Gesprächen.“ Am Ende müßten die Grünen das Ergebnis aber guten Gewissens vertreten können. Özdemir appellierte an alle Parteien, ernsthafte Gespräche zu führen. „Das schließt die SPD mit ein“, betonte er. Vielleicht gebe es mit einigen Tagen Abstand bei den Sozialdemokraten eine Neubewertung der Lage.

Die Sozialdemokraten, die landesweit verloren und ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis einfuhren, hatten bereits am Wahlabend erklärt, die Zusammenarbeit mit der Union zu beenden und in die Opposition zu gehen. 

Die SPD habe die Bundestagswahl verloren, sagte Parteichef Martin Schulz. Die SPD werde sich nun „grundsätzlich neu aufstellen“. Und es sei seine Aufgabe, diesen Prozeß als „gewählter Vorsitzender zu gestalten“. Er wolle die Partei weiter führen, sagte Schulz. Den Fraktionsvorsitz hat er bereits Arbeitsministerin Andrea Nahles überlassen. 

Völlig außen vor blieben zunächst die Linken. Sie verloren in Mitteldeutschland viele Stimmen an die AfD, kamen aber bundesweit auf respektable neun Prozent. Fraktionschef  Dietmar Bartsch suchte sofort den Schlagabtausch mit der SPD: „Wir haben zugelegt. Wir bleiben sozialer Oppositionsführer im Parlament.“