© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Der Flaneur
Die große Waldeslust
Maria Bentz

Blauer Himmel, linde Luft, ein wundervoller Tag, nichts hält einen im Haus. Nur die mäßig befahrene Straße trennt mich vom Wald – dem angeblich größten Stadtwald Europas –, und von Frische und Ruhe. „Können Sie nicht aufpassen!“, schreit es. Strafenden Blicks saust ein Radler, windschnittiger Helm, Rennrad, an mir vorbei. Weitere folgen. Richtig, direkt hinter der Straße verläuft ja der Fahrradweg. Wäre fast schief gegangen, trotz des unbeholfenen Satzes zur Seite. Aber jetzt der Waldweg, Duft von Weißdorn und Jasmin. Tief durchatmen. Plötzlich hechelnde Laute, gleich einem gehetzten Wildtier, grellbunte Sportkleidung und rhythmisches Skistock-Klappern beamen mich in eine andere Jahreszeit. War nicht Frühherbst? Ach ja, Skistöcke kreieren aus einem Spaziergang ein Sport-Event. Dafür beansprucht man diese Spur. Artig wechsele ich in die Mitte. Schließlich gibt es Verkehrsregeln nicht zum Spaß.

Auf der Suche nach Bewegungsfreiheit trete ich die Flucht in tiefere Waldgründe an.

„Papa guck!“ Im Kindersitz flitzt behelmter Nachwuchs auf mich zu. Ein Hechtsprung ins seitliche Gebüsch rettet mich. Rechts die Joggerstrecke, mittig der Familienpfad, wohin nun mit mir? Gut, also linke Seite.

Fast wäre ich über eine straff gespannte Leine gefallen. „Achtung“, warnt das Frauchen des Vierbeiners, „nicht stolpern!“ Auf der Suche nach meiner eigenen Bewegungsfreiheit trete ich die Flucht in tiefere Waldgründe an. Doch dann auf einem schmalen Pfad  Fahrradgeklingel von einem Dutzend Zweirädern. Lautes Scherzen sichtlich angeheiterter Ausflügler nähert sich unaufhaltsam und umkreist mich wie eine Riesenslalom-Stange, dicht und schnell.

Seufzend kehre ich um. Falsche Tageszeit. An der Haustür ein sportlich gekleidetes Wesen mit Helm. „Geht’s in den Wald?“ frage ich. – „Klar!“ – „Gibt ja genug Fahrradwege“, rutscht es mir süffisant heraus. „Ach, die nehm ich nicht. Die anderen sind kürzer!“ –  „Nun, dann Hals-und Beinbruch“, wünsche ich freundlich.