© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Im geistigen Kriegseinsatz
Wieder nur olle Kamellen über Professoren „14/18“
Dirk Glaser

Der „Aufruf an die Kulturwelt“ vom 4. Oktober 1914 bildete den Auftakt einer Serie von Kundgebungen deutscher Gelehrten, die von der britisch-französischen Presse geformte „Weltmeinung“ zu kontern, der zufolge allein die „Machtgier des militaristischen Kaiserreichs“ den Weltkrieg verschuldet, die Gesetze des Völkerrechts mißachtet, das neutrale Belgien vergewaltigt habe.

In der Literatur über den „geistigen Kriegseinsatz“ deutscher Professoren zwischen 1914 und 1918 gilt der „Aufruf“ notorisch als „berüchtigt“. Forschung zur „intellektuellen Mobilmachung“, die diesen Namen verdiente, fehlt bis heute. Bezeichnenderweise stammen größere Untersuchungen zum „Krieg der Geister“ von einem Gräzisten, Jürgen von Ungern-Sternberg (1996), und einem Fachmann für mittelalterliche Philosophie, Kurt Flasch (2000). Beide kolportierten Fritz Fischers „Griff nach der Weltmacht“, mieden jeden internationalen Vergleich, nahmen gegen ihre Altvorderen volkspädagogisch Partei und setzten, eben nur mit 80jähriger Verspätung, die Hetzpropaganda der Entente-Presse fort.

Als Lichtblicke in dieser Forschungsfinsternis zu rühmen wären Brigitte Schroeder-Gudehus’ Genfer Dissertation über „Deutsche Wissenschaft und internationale Zusammenarbeit 1914–1928“ (1966), oder Peter Hoeres’ Monographie zum deutsch-britischen „Krieg der Philosophen“ (2004). Daran orientiert sich diese Publikation über den „Krieg der Gelehrten“ im Kontext der Geschichte ihrer Akademien leider nicht. 

Gleich zu Beginn nudelt daher der kürzlich verstorbene Wissenschaftshistoriker Rüdiger vom Bruch wieder die alte Platte ab vom „verhängnisvollen ‘Aufruf’“ und dessen „haltloser Zurückweisung von Greueln des deutschen Militarismus in Belgien“. Daran schließen weniger verklemmte, aber viel zu knappe Skizzen über „La Grande Guerre“ aus der Sicht französischer Wissenschaftler und Schriftsteller an. Den Schluß markiert ein witziger Hinweis auf aktuelle Formen des „gelehrten Chauvinismus“, der sich aus dem Gefühl „kultureller Demütigung“ speise: Manifeste über den „Exzellenzstatus russischer Kultur“ unter Putin sowie die „Kairoer Erklärung über die Menschenrechte im Islam“, die denen des Westens überlegen seien. 

Wolfgang U. Eckart, Rainer Godel (Hrsg.): „Krieg der Gelehrten“ und die Welt der Akademien 1914–1924, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2016, broschiert, 173 Seiten, Abbildungen, 20,95 Euro