© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Im Exil über Heimat schreiben
Provinzdichter und Weltbürger: Das Literaturhaus München präsentiert eine Ausstellung zum 50. Todestag des Schriftstellers Oskar Maria Graf
Felix Dirsch

Oskar Maria Graf gilt als sperriger, kantiger und schwer einzuordnender Autor aus der bayerischen Provinz. 1894 geboren, mit der Gegend um Berg am Starnberger See immer verbunden, findet er Form und Stil seiner Dichtung weithin erst in der Fremde. Stets stellt sich ihm die Frage, was Heimat im Ausland eigentlich bedeutet und wie die Gefühle für sie bewahrt werden können.

Nicht nur äußerlich ist die Herkunft des Weitgereisten, der Bayern 1933 für lange Zeit verläßt, immer präsent. Er tritt häufig in der legendären Lederhose auf, die in der Münchner Ausstellung zu sehen ist. Obwohl lange in den USA ansässig, erhält er erst spät die amerikanische Staatsbürgerschaft. Der US-Geheimdienst bringt Einwände gegen eine Einbürgerung vor, ist doch Grafs kommunistisches Engagement bekannt, das ihn 1934 sogar eine Reise in das Sowjetparadies hat antreten lassen, selbstverständlich in Lederhose.

Das Münchner Literaturhaus gibt nun Einblicke in die Biographie des mitunter schrullig wirkenden Exilanten. Eingerahmt ist die Schau von Bildern Karl Wähmanns, einem mit Graf befreundeten Maler. In den Vitrinen kann man anhand von Dokumenten, Bildern und Auszügen aus dem Werk den Erzähler kennenlernen. Einspielungen von Texten bieten die Möglichkeit, Grafs Stimme zu vernehmen.

Besonders interessant sind Ausschnitte, die aus der Schrift „Gelächter von außen“, einem Rückblick von 1966, stammen. Hier wird deutlich, wie Graf auf die neuen Machthaber 1933 reagiert. Im Umfeld der Räterepublik nach dem Ende des Ersten Weltkrieges aktiv und mit einer Partnerin, Mirjam Sachs, die jüdische Wurzeln aufweist, liiert, opponiert er heftig gegen den Nationalsozialismus. Graf verläßt früh das Land, um in Österreich darüber empört zu sein, daß seine Schriften nicht im Feuer gelandet sind. Er verlangt kurz und bündig: „Verbrennt mich!“ Man kann einen bissig-ironischen Brief lesen, in dem der in Wien lebende Exilant die „Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“ auffordert, ihrem Wächteramt nachzukommen, um die nationalen Bibliotheken von „zersetzender Literatur“, zu der er auch seine Arbeiten rechnet, zu reinigen. Immerhin übersenden die „hochnotpeinlichen Herren“ von der betreffenden Behörde ein süffisant gehaltenes Schreiben, das die Anrede „Sehr hochwichtiger Herr Schriftsteller“ verwendet.

Graf verläßt auch Wien relativ schnell. Nach einer Zeit in Mähren übersiedelt er bald in die USA. Die Verbindungen zu diversen Netzwerken in Europa bleiben. Auch zur Familie Mann hält er Kontakte aufrecht. Wie sehr ihn die Erinnerung nicht losläßt an das ferne Bayern, zeigt nicht zuletzt das Thema seines bekanntesten Buches „Das Leben meiner Mutter“. Das Schicksal der einfachen Bäckersfrau ist hart. Von elf Kindern überleben acht. Früh verwitwet, erzieht sie neben den eigenen die 1918 geborene Tochter ihres Sohnes Oskar, der sich früh von seiner Frau trennt. Dazu kommen die Kinder des im Ersten Weltkrieg gefallenen ältesten Sohnes. Grafs Schilderung des Lebensweges seiner Mutter läßt den Alltag vieler Frauen aus dieser Generation lebendig werden. Eindringlich sind sozialkritische Beobachtungen und der Wandel der ländlichen Lebenswelt. Das Buch (Orginaltitel 1940: „The Life of my Mother“) kommt kurz nach Kriegsende nach Deutschland. Thomas Mann gratuliert dem Verfasser.

Stammtisch mit Emigranten in New York

In der Fremde faßt Graf schwer Fuß. Bekannt wird der Emigrantenstammtisch, den er in New York begründet. Viele Prominente nehmen an den wöchentlichen Treffen teil. Zu den Gästen gehören Bert Brecht und Uwe Johnson. Mehr schlecht als recht kommt er über die Runden. Hauptverdienerin ist seine Lebensgefährtin, die er erst 1944 heiraten kann. Sie wirkt an einer deutsch-jüdischen Exilzeitung mit.

Nach dem Krieg besucht der alternde Schriftsteller mehrmals Europa. Auch Bayern stattet er Besuche ab. Eine Rückkehr ist im Gespräch, wird jedoch nicht realisiert. Graf vertritt die unter Emigranten verbreitete Meinung über die Wirtschaftswunderlanddeutschen: Sie seien arrogant, uneinsichtig, satt und verfressen. Erst recht stört es ihn, daß nicht wenige ehemalige Nationalsozialisten führende Positionen in der frühen Bundesrepublik bekleiden.

Sein letzter Roman „Die Flucht ins Mittelmäßige“ berührt ebenfalls sein Lebensthema: Heimat wird darin vom Konzept des Nationalen getrennt. Sie hängt mehr an der Erinnerung an Landschaften aus alten Zeiten, an der Sprache, aber auch an Freundschaften aus früheren Jahren. Am Endes seines Lebens macht ihm ein Asthmaleiden zu schaffen. Nach dem Tod seiner zweiten Frau Mirjam heiratet er seine Geliebte, die Juristin Gisela Blauner. 1967 stirbt der knorrige Rebell in einem New Yorker Krankenhaus.

Wer die Ausstellung im Literaturhaus besucht, sollte auch einen Blick werfen auf das „Sprach-Denkmal“, das die Künstlerin Jenny Holzer für Graf in der Brasserie dieser Einrichtung geschaffen hat. Einrichtungsgegenstände sind 1997 mit Zitaten aus dem Werk des Unvergessenen umhüllt worden. Graf ist also längst heimisch geworden, ehe die aktuelle Präsentation begonnen hat.

Die Ausstellung „Oskar Maria Graf – Rebell, Weltbürger, Erzähler“ ist bis zum 5. November im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, wochentags von 11 bis 19 Uhr, Do. bis 21.30 Uhr, Sa./So. von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 089 / 29 19 34 - 0

 www.literaturhaus-muenchen.de