© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Zeitschriftenkritik: Tumult
Deutschland spielt den Musterknaben
Werner Olles

Ist Selbsterhaltung überhaupt legal?“ fragt Frank Böckelmann im Vorwort der Herbstausgabe von Tumult, der „Vierteljahresschrift für Konsensstörung“. Sie sei vielen Europäern „zu vulgär“. Doch der „flaue Geruch unserer Verzagtheit“ dringe inzwischen bis Luanda, Daressalam und Islamabad vor. Ist dies nun „ein sozial- oder massenpsychologisches Phänomen“? Der Herausgeber verweist auf „das System Merkel mit seinem Beschwichtigungsbedarf“ und jenem „bequemen, selbstgefälligen Humanitarismus“, den Botho Strauß schon kurz nach der Wiedervereinigung registrierte. „Ort, Herkunft und Nähe gingen uns verloren“, schreibt Böckelmann, „am Ende wohl auch noch das Unwiederbringliche, die Sterblichkeit: Kein Opfer ist groß genug, keine Vergeltung angemessen, um den Mächten der Entgrenzung diesen Verlust heimzuzahlen.“

Der Psychologe Alexander Mesching beschäftigt sich in seinem Beitrag „Apocalypse now? Grenzenlosigkeit und ihre Folgen“ mit der Masseneinwanderung aus den zerfallenden afrikanischen und arabischen Staaten mit ihrem historisch beispiellosen Überschuß an jungen Männern. Dabei sei „die Frage, ob die illegalen Einwanderungsströme aufgehalten werden können, keine der Mittel, sondern des Willens“. Die gegenwärtige Situation müsse insgesamt als „Zustand der Dekadenz“ bezeichnet werden. Europa werde vermutlich an seinem „humanitären Univerialismus, begleitet von einer gesinnungsethischen Rhetorik kollabieren“. In diesem Drama spiele Deutschland den Musterknaben.

Der Literaturwissenschaftler Peter J. Brenner befaßt sich mit der „Religion in der Migrationsgesellschaft“ und den archaischen Wurzeln des Islam. Diese sei „eine Buchreligion ohne exegetische Traditionen; und eine Religion ohne Hermeneutik trägt den Keim zum Bürgerkrieg in sich“. Zwar verlange die Integrationsbeauftragte Özoguz, das Zusammenleben müsse „täglich neu angehandelt werden“, doch sei die deutsche Gesellschaft kein orientalischer Basar, auf dem darüber gefeilscht werden kann, was denn nun gerade gilt oder was nicht“.

Josef Kraus, ehemaliger Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, beschreibt den „kurzen Weg vom ‘digital native’ zum digitalen Naivling“. Wie der Gehirnforscher Manfred Spitzer warnt auch er vor den Gefahren des digitalen Zeitvertreibs, besteht aber vor allem auf dem Grundsatz: „Analog geht vor digital“. Während Heranwachsende täglich gerade noch 15 Minuten mit Lesen verbringen, zwölfjährige Mädchen sich im Netz freiwillig zum „Objekt von Pädosexuellen“ machen und ein digitalisierter Schulhof normal sei, gehe es darum, der „um sich greifenden Digitalisierungseuphorie der IT-Industrie“ kritisch und skeptisch zu begegnen.

Weitere Texte setzen sich mit dem „Rückblick auf die Ahnenlandschaft“ (Benjamin Jahn Zschocke), dem evangelischen Kirchentag (Matthias Matussek) und der „Bilanz des Bologna-Prozesses“ (Gunther Nickel) auseinander.

Kontakt: Frank Böckelmann, Nürnberger Str. 32, 01187 Dresden. Das Einzelheft kostet 8,50 Euro, ein Jahresabo 32 Euro.

 www.tumult-magazine.net