© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Ein Restübel bleibt immer
Unterhaltungsliteratur: Erfolgsautor Stephen King wird siebzig / Kritik an US-Präsident Trump
Silke Lührmann

Stephen King war sicherlich nicht der einzige, aber wohl doch einer der weltweit prominentesten Amerikaner, denen es im vergangenen November vorübergehend die Sprache verschlug und den Appetit auf weitere Verbalgefechte verdarb. Knapp drei Wochen zuvor hatte der ansonsten nicht für die Kürze seiner Werke bekannte Schriftsteller eine Gruselgeschichte in zwei knappen Sätzen getweetet: „Es war einmal ein Mann namens Donald Trump, der für das Präsidentschaftsamt kandidierte. Manche Menschen wünschten sich seinen Sieg.“ 

Noch in der Wahlnacht verabschiedete King sich dann von seiner millionenstarken Fangemeinde auf Twitter und Facebook mit den Worten: „Auf absehbare Zeit keine Buchempfehlungen mehr, keine Politik, keine amüsanten Hundebilder. Ich fahre herunter.“ Er konnte es sich allerdings doch nicht verkneifen, noch ein Menetekel hinterherzuschicken: „Bevor ich für eine Weile abtauche, noch eine Sache. In vielen Antiquitätenläden hängt ein Schild mit der Aufschrift: ‘Wer etwas kaputtmacht, zahlt dafür.’“ 

Daß es Sozialwissenschaftlern nicht allzu schwerfallen dürfte, zwischen den demographischen Zielgruppen der King-Leser und Trump-Wähler gewisse Überschneidungen festzustellen, zeugt sowohl von den tiefen Widersprüchen, die quer durch die politische Landschaft der USA verlaufen, als auch von der Popularität dieses Autors über ideologische Klüfte hinweg, wirft aber auch die Frage auf, ob die Positionen etwa doch nicht ganz so hoffnungslos unversöhnlich sind, wie es derzeit scheinen will.

Alpdruck von Trumps Präsidentschaft antizipiert

So oder so hatte King, indem er die häßliche Schattenseite der Geschichten, die US-Amerika über sich selbst erzählt, als sein ureigenes künstlerisches Territorium absteckte, den Alpdruck einer Trump-Präsidentschaft in zahlreichen fiktiven Figuren längst, wenn nicht heraufbeschworen (denn das wäre tatsächlich nur in einem Roman von Stephen King möglich), so doch antizipiert: korrupten Kommunalpolitikern wie dem windigen Bibelverkäufer Greg Stillson in „Dead Zone – Das Attentat“ (1979), dessen verhängnisvoller Aufstieg zum Präsidenten unbedingt verhindert werden muß. Oder dem Autohändler Big Jim Rennie in „Die Arena“ (2009), der als Stadtverordneter das Wohl seiner Mitbürger – nicht erst im Ernstfall, sondern schon aus Prinzip – dem Eigennutz opfert. 

„Beide Geschichten entstanden schon vor vielen Jahren“, schrieb King – sein mediales Schweigen hat er inzwischen längst gebrochen – in einem Beitrag, der am 3. April in der britischen Tageszeitung The Guardian erschien. „Jedoch weisen Stillson und Rennie so starke Ähnlichkeiten mit dem derzeitigen Bewohner des Weißen Hauses auf, daß ich mir einbilde, die Mechanismen, die Männer wie sie an die Macht bringen, einigermaßen zu durchschauen. Sie beginnen ihre politische Laufbahn als Witzfiguren, werden dann als echte Alternative zum Status quo wahrgenommen und schließlich – so eigensinnig, egozentrisch und unerfahren, wie sie sind – ins Amt gewählt. Es geschieht nicht oft, daß solche Männer es zu hohen Würden bringen – und zwar immer nur dann, wenn die Zeiten immer gerade schwierig, die betroffenen Kandidaten charismatisch und ihre Vorschläge zur Lösung komplexer Probleme simpel, unkompliziert und unbrauchbar sind. Der Ballast, der diese Hausierer belasten müßte, wird wie durch Zauberei schwerelos und gibt ihnen den Auftrieb, den sie brauchen, um sich über die Konkurrenz hinwegzusetzen.“ 

Für solcherlei Anfeindungen rächte sich der mächtigste Amtsträger der freien Welt jüngst, indem er einen Kingschen Seitenhieb gegen Trump-Töchterchen Ivanka zum Anlaß nahm, den Bestseller-Autor kurzerhand aus seiner Twitter-Gefolgschaft zu verbannen. Auf eine präsidiale Beglückwünschung zu seinem 70. Geburtstag am 21. September wird King wohl vergeblich warten müssen. Stattdessen kann er sich über (Neu-)Verfilmungen von zwei seiner absoluten Klassiker freuen: Nikolaj Arcels Fantasy-Abenteuer „Der Dunkle Turm“ mit Idris Elba und Matthew McConaughey in den Hauptrollen läuft seit Anfang August in den Kinos, die erste Folge des Zweiteilers „Es“ unter Regie von Andrés Muschietti ist ab 28. September auch in Deutschland zu sehen. Mehrere weitere King-Adaptionen sind geplant beziehungsweise laufen bereits auf Netflix und im US-Fernsehen. 

Kartographisch ist die verunheimlichte Heimat, in der sich Kings Figuren bewegen, im Umkreis der Ortschaften Castle Rock, Derry und Jerusalem’s Lot im neuenglischen Bundesstaat Maine zu verorten, die vermutlich nicht meilenweit von Kings Geburtsort Portland und von Durham, wo er als Sohn einer alleinerziehenden Mutter den Großteil seiner Jugend verbrachte, entfernt liegen. Die Berufung zum Erfinden haarsträubender Geschichten spürte er schon damals und lernte seine spätere Frau und Kollegin Tabitha Spruce in einem Schreibseminar an der University of Maine kennen. Nach dem Studium arbeitete King tagsüber als Englischlehrer und nachts unter anderem in einer Wäscherei und veröffentlichte Kurzgeschichten in verschiedenen Zeitschriften, von denen einige in der 1978 erschienenen Sammlung „Nachtschicht“ nachgedruckt wurden.

Der kommerzielle Durchbruch gelang ihm 1975 mit der Taschenbuchausgabe seiner ersten Romanveröffentlichung „Carrie“, die sich auf Anhieb über eine Million Mal verkaufte. Die Geschichte einer 16jährigen Schülerin, die mit ihren telekinetischen Kräften beim Frühlingsball furchtbare Rache an ihren gemeinen Mitschülern nimmt und dabei letztlich eine ganze Stadt verwüstet, wurde 1976 von Brian de Palma mit Sissy Spacek und John Travolta in den Hauptrollen verfilmt. 

Literaturkritiker mißbilligen Kings „Groschenromane“

Wäre er nicht Präsident, wäre der Baulöwe, dessen beschränkter Wortschatz ihn kaum einen geraden englischen Satz zusammenstoppeln läßt, ein noch unwürdigerer Gegner für den begnadeten Wortschmied. Bei aller Schaurigkeit lesen sich viele von Kings insgesamt 57 Romanen und über 200 Kurzgeschichten passagenweise wunderschön: als lyrische Abgesänge auf das Ideal eines Kleinstadtlebens, das Außenseiter erträgt, statt Konformität notfalls mit Gewalt zu erzwingen; eines Patriotismus, der sich nicht in dumpfen „Make America Great Again!“-Parolen erschöpft; eines Gemeinwesens, das die Meinungsverschiedenheit nicht als giftigen Spaltpilz bekämpft, sondern als demokratisches Gut hütet. 

Daß er sich dabei das Horrorgenre als kongeniale Ausdrucksform für seine zunehmend apokalyptischen Gegenwartsvisionen zu eigen gemacht hat, trägt ihm zwar die Mißbilligung ehrwürdiger Literaturkritiker ein. Kings Werke als Groschenromane zu bezeichnen, sei noch zu hoch gegriffen, ereiferte sich etwa der Übervater der US-Literaturwissenschaft, Harold Bloom, als dieser 2003 bei den National Book Awards für seinen herausragenden Beitrag zur amerikanischen Literatur gewürdigt wurde.

Indes verschafft Kings dezidiertes Bekenntnis zur Genreliteratur ihm nicht nur ein Massenpublikum samt entsprechendem Einkommen, von dem andere Schriftsteller nicht einmal zu träumen wagen – sondern auch die dichterische Freiheit, das Gute immer wieder triumphieren zu lassen, ohne als hoffnungsloser Romantiker verlacht zu werden. Seine Helden sind eigentlich gar keine – Eddie, der Asthmatiker und Mitgründer des Klubs der Verlierer in „Es“ (1986), ist quasi die idealtypische Verkörperung des beherzten Hasenfußes, der im entscheidenden Moment über sich hinauswächst und den Mut und die Stärke findet, den Kampf gegen das unfaßbar-namenlose Grauen ohne Gesicht, Geschlecht und Gestalt aufzunehmen, das dem Roman seinen Titel gibt.

Nebenbei und überdies hat King die Populärkultur um einige unvergeßliche Bilder bereichert: den fiesen Clown Pennywise, eine Rolle, die Tim Curry in der Miniserie „Es“ von 1990 wie auf den Leib geschrieben schien; ob der 27jährige Bill Skarsgård einer weiteren Generation von Kinozuschauern die Freude an bunten Luftballons ebenso gründlich vergällen kann, bleibt abzuwarten. Jack Nicholson, wie er in „Shining“ (1977; 1980 von Stanley Kubrick verfilmt) in einem gottverlassenen Geisterhotel wie besessen in die Tasten seiner Schreibmaschine haut. Und natürlich die Eisenbahnbrücke, die in Rob Reiners Film „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“ (1986) nach einer Novelle von King den Übergang von kindlicher Abenteuerlust zum ersten Unschuldsverlust markiert. 

Endgültig lassen sich die (selbst-)zerstörerischen Kräfte der menschlichen Natur, gegen die King in einer Erzählung nach der anderen anschreibt, nie bezwingen. Ein Restübel bleibt immer: So will es nicht nur die Logik eines Genres, das sich die „Fortsetzung folgt“-Option gerne offenläßt, sondern auch die Wirklichkeitserfahrung im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die der Jubilar in jüngeren Jahren mit Alkohol und allen möglichen Drogen zu lindern suchte. Insofern steht kaum zu befürchten, daß dem Meister des Greuels in absehbarer Zukunft der Stoff ausgeht.