© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Die männliche Herrschaft brechen
Geschlechterforschung: Die Gendergelehrten wollen angesichts zunehmenden Gegenwinds ihre Arbeit verstärken
Christian Schreiber

Es kommt relativ häufig vor, daß sich Wissenschaftler über eine mangelhafte finanzielle Ausstattung der Forschung beklagen. Für einen ziemlich neumodischen Bereich, der seit einigen Jahren in privaten Instituten, aber auch an deutschen Universitäten Fuß faßt, scheint dies nicht zu gelten. Das Themenfeld „Geschlechterforschung“ oder auch „gender studies“ erobert zunehmend Raum an den Hochschulen.

Ein Beispiel ist das Zentrum Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität in Berlin. Dort residiert die Fachgesellschaft Geschlechterstudien. „Unser Institut Geschlechterforschung // Gender Studies (FG Gender) vernetzt Forschende, die sich mit den Grundlagen dieses transdisziplinären Feldes befassen oder die einzelne Aspekte von Geschlecht im Zusammenhang mit einer akademischen Disziplin thematisieren“, heißt es in einer Selbstdarstellung. In Deutschland werde Geschlechterforschung an Universitäten, in Forschungsinstituten, in forschenden Unternehmen und vielfach auch selbständig betrieben.

Die Fachgesellschaft fördere daher  die „systematisch-kritische Diskussion zu Geschlecht, Geschlechterverhältnissen und Geschlechterordnungen, zu Gender als Wissenskategorie, politischer Kategorie und Ungleichheitsdimension und zu den Verschränkungen (der Mehrdimensionalität oder Intersektionalität) von Geschlecht und vergleichbar problematisierbaren Markierungen – ‘Rasse’/race, ‘Klasse’/class, sexuelle Identität oder Orientierung, Alter oder Behinderung“, heißt es in einem ziemlich umständlichen Deutsch.

Erste Sprecherin dieser Gesellschaft ist die Sozialwissenschaftlerin Susanne Völker, die an der Universität Köln einen eigenen Lehrstuhl für Methoden der Bildungs- und Sozialforschung unter besonderer Berücksichtigung der Genderforschung unterhält. „Kern der Professur ist die Verknüpfung der soziologischen Ausrichtung auf Methoden, Bildung und Arbeit mit inter- und trans-disziplinären Geschlechterforschungen“, erklärt sie. 

Parallel dazu ist Völker geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Gender Studies (GeStiK) an der Uni Köln. Dessen Ziel ist, „entgegen dem konventionellen Verständnis einer ‘natürlich gegebenen’ Geschlechterdifferenz – die  Hervorbringungen, Konstruktionen, Materialisierungen von ‘Geschlecht’ und ‘Geschlechterverhältnissen’ und die Verknüpfungen mit weiteren sozialen, kulturellen und naturwissenschaftlichen Ordnungsmustern und Klassifikationen“ zu untersuchen.

In einer Stellungnahme zur Silvesternacht 2015/16 in Köln steht bei Völker die „männliche Herrschaft“ im Vordergrund. In der „Sozialfigur des weißen, europäischen, heterosexuellen, (post-)kolonialen Mannes“ sei diese nun ins „Wanken“ geraten. Dies, so Völker weiter, drücke sich in den „heterogenen, breiten, männlichkeitsfundamentalistischen Rechtsbündnissen“ aus. Die „massive Androhung von sexueller Gewalt gegen Gender- und Sexualitätsforscher_innen in sozialen Netzen“ sei „nur die Rückseite der männlichen, rassistisch agierenden Frauenbeschützer, die gegen ‘andere’, ‘braune Männer’ als vermeintliche Vergewaltiger (‘weißer’) Frauen“ mobilisierten.

Eine feste Verankerung im politisch linken Lager läßt sich hier nicht abstreiten. Es ist auch kein Zufall, daß  eine Broschüre mit dem Titel „Gender raus! – 12 Richtigstellungen zu Antifeminismus und Gender-Kritik“ von der Heinrich-Böll- sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung vertrieben wird, die den Grünen sowie der Linkspartei nahestehen. „Angriffe gegen Feminismus, gleichgeschlechtliche Lebensweisen und emanzipative Familien- und Lebensmodelle, gegen Gender Studies, Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitiken werden seit längerem in Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen, Blogs, Artikeln und Büchern kontrovers verhandelt“, heißt es. 

Sorge vor Unmut unter Bürgerlichen

Dies spiegele sich auch in vielen Auseinandersetzungen im Alltag, in der Kneipe und auf Veranstaltungen wider. „Mit dem Satz ‘Das muß frau und mann* doch mal sagen dürfen…’ werden rassistische, sexistische und anti-egalitäre Parolen und Verunglimpfungen formuliert“, schreiben die Autoren. Diese Argumente fänden nicht nur bei „rechtspopulistischen Parteien wie der AfD und christlich-fundamentalistischen Kreisen“ Anklang, sondern hätten auch in bürgerlichen Schichten ihre Unterstützer.

Allerdings ist der Forschungsgegenstand auch in eher linken Kreisen nicht unumstritten. Die Feministen-Zeitschrift Emma ließ jüngst mit einer scharfen Abrechnung mit dem Thema Geschlechterforschung aufhorchen. Unter anderem wurde kritisiert, daß es nicht mehr möglich sei, als „knallharte Feministin“ durchs Leben zu gehen, und man statt dessen von „Trans-Männern- und Frauen“ angegriffen werde. Diese Entwicklung sei „den Prämissen des Gender-Paradigmas geschuldet, das seinen akademischen Siegeszug in den 1990er Jahren angetreten“ habe und „mittlerweile als Nonplusultra eines nicht-essentialistischen, also nicht-biologistischen Geschlechterverständnisses“ gelte. 

Wie tief dieser Angriff aus den eigenen Reihen sitzt, zeigt die Reaktion der eingangs erwähnten Fachgesellschaft Geschlechterstudien aus Berlin. Die FG wies die „Verunglimpfungen der Kolleg_innen“ in der Emma entschieden zurück. Auf der Internationalen Konferenz „Aktuelle Herausforderungen der Geschlechterforschung“  Ende September in Köln (Infokasten) werde man die gegenwärtigen Angriffe erörtern. Es gehe, so die FG weiter, „nicht um Geschlechterkampf, sondern um die Anerkennung der Vielfalt“.

Nach Medienangaben gibt es inzwischen 250 Genderlehrstühle und 29 Institute alleine in Deutschland. Deren Arbeit ist gut vernetzt. So fand im Frühjahr in Essen der Gender-Kongreß 2017 statt. Die Schirmherrschaft hatte die mittlerweile abgewählte NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze.

Fast eine halbe Million Euro jährlich stellt das Land langfristig zur Verfügung, „um den gewachsenen Bedarf an Information, Beratung und Forschung im Bereich Gender und Gleichstellung zu decken.“ Dies sei notwendig, denn im „Gender-Report 2016“ hätten sich gerade die Hochschulen als „Baustelle“ herausgestellt. Es gebe zuwenig weibliche Professoren, und auch die Frage, ob Toiletten für Männer und Frauen ausreichend seien, müsse geklärt werden. 

Schulze machte bei ihrem Auftritt keinen Hehl aus der ideologischen Motivation ihres Handelns. Zwar habe auch an den Hochschulen in den vergangenen Jahren eine positive Entwicklung stattgefunden. Aber verglichen mit anderen Wissenschaftsbereichen erschienen die „Herausforderungen hier besonders groß“. Nun gehe es darum, mit welchen Maßnahmen wir auch hier einen „notwendigen Kulturwandel“ beschleunigen könnten, betonte sie.

Schulen und Hochschulen sind für die sogenannte Genderlobby von besonderer Bedeutung. „Wer die Kinder hat, hat die Zukunft“, heißt es, und im übertragenen Sinne kann dies bedeuten: „Wer die Studenten hat, hat die Macht in der Zukunft.“ 

Was sich wissenschaftlich anhört, geht auf die Theorie von Simone de Beauvoir zurück. „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“, hatte die französische Philosophin und Feministin schon in den siebziger Jahren geschrieben. Gender, so die Kernthese der Geschlechterforschung, sei eine soziale und psychologische Konstruktion, der Einfluß der Biologie darauf gering. „Alles ist Gesellschaft, biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern haben kaum Einfluß auf Denken, Verhalten und Fühlen. Die Vorliebe für lange Haare: nicht angeboren. Die Untervertretung von Frauen auf Baustellen: rein kulturbedingt.“ Zwar spiele es durchaus eine Rolle, ob man als Mädchen oder  Junge zur Welt komme, sagt die Hochschullehrerin Martina Leonarz von der Universität Zürich gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), weil man dann von der ersten Minute an entweder hellblau oder rosa angezogen werde: „Das hat Konsequenzen.“

Kritiker werfen der Geschlechterforschung vor, die Wissenschaft „zur Kampfzone zu machen und die Vorlesung zur Predigt“, wie es der Biologe Hans Peter Klein gegenüber der NZZ, erklärte. „Die Vorstellungen der Gender Studies beruhen auf einer rein sozialwissenschaftlichen Deutung, was sie in den Zustand einer Ideologie erhebt.“ Eine Lehre, die selbst hinter der Biologie patriarchalisches Denken vermute, müsse damit rechnen, daß sie von führenden Evolutionsbiologen als „universitäre Pseudowissenschaft“ bezeichnet werde oder diese sie „mit dem Kreationismus, der biblischen Schöpfungslehre, vergleichen, der ebenfalls aus weltanschaulichen Gründen biologische Tatsachen leugnet“.

Die bekannteste deutsche Feministin und Gründerin der Emma, Alice Schwarzer kritisiert, „daß die Gender-Theorien sich einer lebensabgewandten, elitären Sprache bedienen“. Im Bundesforschungsministerium wird die Diskussion über die Gender Studies mittlerweile „sehr aufmerksam“ verfolgt.

Grüne fordern „feministischen Aufbruch“

An der Förderung der „Gleichstellungs- und Geschlechterforschung“ werde aber festgehalten, betont Stefan Müller in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag. Diese wollte mit ihrer Anfrage „mehr Aufmerksamkeit für Haßkommentare im Internet und massive Drohungen gegen Genderforscherinnen erzielen“. Forderungen aus der AfD, Fördermittel zu streichen und Professuren nicht nachzubesetzen, stellte die Fraktion in historischen Zusammenhang mit der Verfolgung der Sexualwissenschaft im Nationalsozialismus. 

Rund eine halbe Million Euro stellt das Bundesministerium derzeit zur Verfügung. Der Linkspartei ist dies zu wenig. Gerade die Hochschulen bräuchten weitaus mehr Mittel, „um dieses wichtige Thema“ zu besetzen. Die Grünen fordern gar einen neuen „feministischen Aufbruch“: „Die Welle des Rechtsnationalismus, die über die USA und Europa rollt, richtet sich auch gegen die Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung von Frauen: In den USA regiert ein Präsident, der aus seiner Frauenverachtung keinen Hehl macht. In Polen konnte eine weitere Verschärfung des bereits strengen Gesetzes gegen Schwangerschaftsabbrüche nur knapp verhindert werden.“ Und in Deutschland, so die Grünen in ihrem Bundestagswahlprogramm weiter, machten „Rechtspopulist*innen gegen Gleichstellung und Gender Mainstreaming“ mobil.





Köln: Geschlechterforscher treffen sich

Vom 28. bis 30. September 2017 findet an der Universität Köln in Kooperation mit der wissenschaftlichen Einrichtung für Gender Studies in Köln (GeStiK) die erste gemeinsame Tagung der deutschen Fachgesellschaft Geschlechterstudien e.V., der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung und der Schweizer Gesellschaft für Geschlechterforschung statt. Auf Dutzenden Veranstaltungen (Panels) werden „aktuelle Herausforderungen der Geschlechterforschung“ diskutiert. So geht es unter anderem darum, das „variable Geschlecht“ in der empirischen Forschung neu zu denken.  „Schwule Väter und Leihmutterschaft – heteronormative Stolperfallen und queere Schlupflöcher“ ist ein weiteres Thema.