© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Lieber Putzhilfe in der Schweiz als Niedriglöhner daheim
Einkommen: Zahlen des Statistischen Bundesamtes offenbaren, daß es nicht allen so gut geht, wie die Wahlkämpfer derzeit behaupten
Christian Schreiber

Vorige Woche frohlockte die Zeit, Alice Weidel einen handfesten Skandal nachweisen zu können: Die AfD-Spitzenkandidatin habe 2015 in ihrem Schweizer Familienwohnsitz eine Studentin und eine Syrerin als Putzfrau schwarz beschäftigt. Doch die Empörungsspirale blieb wohlweislich aus, denn Weidel hatte 25 Franken pro Stunde bezahlt, also umgerechnet 21,75 Euro – cash. Das waren 81 Prozent mehr als jene zwölf Euro Bruttomindestlohn, die die Linke in ihrem Wahlprogramm verspricht. Die großkoalitionäre Lohnuntergrenze liegt bei 8,84 Euro – 41 Prozent von dem, was für Schweizer Haushaltshilfen üblich ist.

Dennoch behauptet Angela Merkel: „Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut“, und willfährige Experten und Medien rechnen unpassende Zahlen schön. Nur wer sich selbst in den aktuellen 706seitigen „Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“ einliest, erfährt, daß es vielen immer schlechter geht. Die unteren 40 Prozent der Beschäftigten haben 2015 real weniger verdient als unter Helmut Kohl. 46 Prozent der 15- bis unter 25jährigen beziehen einen Niedriglohn von zehn Euro und darunter. In Westdeutschland waren es 19 Prozent aller Beschäftigten, in den östlichen Ländern fast 35 Prozent.

Daß es dennoch so viele Unions- und SPD-Anhänger gibt, ist einerseits den 20 Millionen Rentnern zu verdanken, die bislang nicht auf Grundsicherung angewiesen sind. Und ein Blick in die aktuelle Broschüre „Verdienste auf einen Blick“ des Statistischen Bundesamt zeigt, daß vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer 2014 in Deutschland im Schnitt 3.441 Euro brutto pro Monat verdienten – das klingt nicht schlecht, aber es ist um die Hälfte weniger als in der Schweiz. Da die deutsche Lohnspreizung groß ist, beziehen knapp zwei Drittel der Beschäftigten Monatsgehälter, die geringer als der Statistiksschnitt sind. Nur ein Drittel der Vollzeitbeschäftigten verdiente monatlich mehr als 3.441 Euro.

„Um Aussagen über alle Beschäftigten, das heißt sowohl Vollzeitbeschäftigte als auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer reduzierten Wochenarbeitszeit, treffen zu können, ist die Betrachtung des Bruttostundenverdienstes notwendig“, heißt es in der Statistikstudie. Der Stundenlohn betrug demnach im Schnitt 16,97 Euro – er lag also 28 Prozent unter dem Schweizer Putzfrauenlohn. Die Erhebung basiert auf unterschiedlichen Datenquellen, und zwar der Verdienststrukturerhebung 2014, der vierteljährlichen Verdiensterhebung sowie der Tarifstatistik.

1,9 Millionen Beschäftigte erhalten nur Mindestlohn

Beschäftigte mit einem Stundenverdienst von 31 Euro gehörten zu der Gruppe der zehn Prozent mit den höchsten Löhnen in Deutschland. Arbeitnehmer, die pro Stunde einen Verdienst von 9,10 Euro erzielten, zählen zu den zehn Prozent mit den geringsten Einkommen. Die Niedriglohngrenze wird wie im Armuts- und Reichtumsbericht bei einem Bruttoverdienst von zehn Euro pro Stunde angesetzt. Insgesamt erhielten 21 Prozent aller Arbeitnehmer einen Verdienst unterhalb dieser Grenze. Schweizer Putzfrauen verdienen mehr als doppelt soviel.

Im deutschen Niedriglohnsektor sind Frauen überproportional vertreten. So lag ihr Anteil wesentlich höher als der entsprechende Anteil der Männer (16 Prozent). Die meisten „Niedriglöhner“ gibt es übrigens im Gastgewerbe sowie bei Kosmetikerinnen, Frisören und bei Reinigungskräften. Den seit 2015 eingeführten Mindestlohn beziehen immerhin 1,9 Millionen Beschäftigte, darunter mehr als 60 Prozent Frauen. 22 von 28 EU-Ländern haben mittlerweile eine solche Regelung. Der EU-Zahlmeister Deutschland liegt mit dem umgerechneten Bruttolohn von 1.473 Euro dabei nur im Mittelfeld.

Frauen in Deutschland verdienen im Durchschnitt 21 Prozent weniger als Männer – vor allem weil sie häufiger in Teilzeit arbeiten, seltener Führungsposten übernehmen und eher in schlechter bezahlten Berufen tätig sind. Daß die Lohnhöhe mit zunehmendem Alter steigt, ist nur bedingt richtig. Der Bruttostundenverdienst der unter 30jährigen lag bei 13 Euro. „Die folgenden Altersklassen wiesen bis zu der Gruppe der 45- bis unter 50jährigen, die 19,18 Euro pro Stunde verdienten, durchweg einen höheren Durchschnittsverdienst auf“, so die Statistiker. Aber danach fielen die Löhne wieder ab. Über 60jährige erzielten pro Stunde nur noch 17,25 Euro. Eine Ost-West-Spaltung existiert nur bedingt. Die höchsten Durchschnittslöhne werden in Hamburg (19,94 Euro) und Hessen (19,14 Euro) bezahlt. Es folgen mit jeweils über 18 Euro Baden-Württemberg, Bayern und Bremen. Zwischen 18 und 16 Euro gibt es in NRW, Berlin, dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Beschäftigte in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern müssen sich mit um die 14 Euro zufriedengeben.

Überall gut verdienen die Energieversorger mit im Bundesschnitt 27,80 Euro. Auch Industrie (21,05 Euro) und Verwaltung (19,86 Euro) liegen über dem Schnitt aller Wirtschaftszweige von 17,44 Euro. Die Angestellten mit dem höchsten Gehalt sind die Piloten, die 61,02 Euro pro Stunde beziehen. Sie liegen damit weit vor Platz zwei, den Human- und Zahnmedizinern mit einem Stundensalär von 41,21 Euro. Ob das nach der Air-Berlin-Abwicklung immer noch so ist, können die Statistiker frühestens in drei Jahren sagen.