© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Willkommen, Babys!
Lebensschutz: Tausende demonstrieren in Berlin für die Rechte Ungeborener
Thorsten Brückner

Siebzehn Minuten nach Beginn wird es laut. Rund zwei Dutzend linke Gegendemonstranten sind bis auf 30 Meter an die Auftaktkundgebung des „Marschs für das Leben“ herangekommen. Die Polizei läßt sie zunächst gewähren. Getrennt durch einen Zaun skandieren sie: My body, my choice, raise your voice (Mein Körper, meine Wahl, erhebt eure Stimme). 

Ihre Stimme erheben auch die rund 7.500, die an diesem sonnigen Spätsommertag vor den Reichstag gekommen waren, um für das Recht auf Leben von der Zeugung bis zum natürlichen Tod zu demonstrieren. Darunter sind so viele ausländische Gäste wie nie. Viele von ihnen sind – erkennbar an T-Shirts, Flaggen und den Unterhaltungen in ihrer Landessprache – junge Polen. Aber auch einige Dutzend Flüchtlinge sind darunter, die vor Beginn des Marsches während der Auftaktkundgebung – von der sie aus nachvollziehbaren Gründen nur wenig verstehen – die Zeit für Erinnerungsfotos nutzen. Ein anerkannter Asylbewerber aus dem Iran, der in dem Land wegen seines Glaubens verfolgt wurde, hilft bereits zum zweiten Mal hintereinander als Ordner mit. Einige Teilnehmer halten Schilder mit der Aufschrift „Babys Welcome“ und „Willkommenskultur für Ungeborene“ in die Luft. 

Für einige Kirchen- und Freikirchenfunktionäre ist eine Willkommenskultur für Neugeborene dabei untrennbar mit einer Willkommenskultur für Flüchtlinge verbunden. Erzbischof Heiner Koch spricht in seinem Grußwort pauschal allen Christen, die der Asylpolitik der Bundesregierung kritisch gegenüberstehen, die Fähigkeit ab, sich glaubwürdig für das Recht auf Leben zu engagieren. „Als Christen werden wir uns deshalb aber nur dann glaubwürdig für  den Schutz des Lebens am Anfang und am Ende einsetzen können, wenn wir zur gleichen Zeit zur Lebensgefährdung etwa in der Flüchtlingsfrage nicht schweigen“, schrieb er.

Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Ekkehart Vetter, mahnt in seinem Vortrag, ein Recht auf Leben gelte nicht nur für Ungeborene, Alte und Schwache sowie Menschen mit Behinderung, sondern auch „für in unser Land geflüchtete Menschen, die angesichts des Terrors, des Krieges oder unmenschlicher Gefahren für Leib und Leben hier Zuflucht suchen“. 

Der stellvertretende Vorsitzende der Vereinigung „Christen in der AfD“, Joachim Kuhs, sieht darin einen indirekten Angriff auf seine Partei. Dabei seien die Zielsetzungen der AfD doch mit den Forderungen des Marsches weitgehend identisch, beklagte Kuhs. Der JUNGEN FREIHEIT sagte Kuhs, der zusammen mit der Vorsitzenden der „Christen in der AfD“, Anette Schultner am Marsch teilnimmt: „Ich müßte jetzt eigentlich daheim in Baden-Württemberg auf der Straße stehen und Wahlkampf machen, aber das hier ist mir wichtiger.“ Schultner ergänzt zum Thema Abtreibung: „Jeder Mensch mit Ethik muß sehen, daß das so nicht weitergehen kann. Wir verlieren eine Großstadt jedes Jahr.“ 

Der eigentliche Demonstrationszug verläuft ruhiger als in den vergangenen Jahren. Die Polizei geht gegen linke Störer konsequent vor, die sich immer wieder unter die Marschteilnehmer mischen und versuchen, die weißen Holzkreuze oder Schilder zu entreißen. Leider nicht nur gegen diese. Auch Journalisten und Marschteilnehmer werden teilweise unsanft von den Beamten zur Seite geschubst, wenn sich die Wege kreuzen. Die Zahl der frommen Gespräche unter den Marschteilnehmern hat sich im Vergleich mit den Vorjahren ebenfalls reduziert. „Ich brauch jetzt erst mal ’ne Currywurst und ’ne Cola“, sagt ein jugendlicher Teilnehmer, als er kurz nachdem der Zug auf „Unter den Linden“ einbiegt aus dem Zug ausschert und sich am Kiosk eine Wurst holt. Einige andere tun es ihm gleich.

Die Abschlußpredigt hält – wieder zurück auf dem Platz vor dem Reichstag – der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. Darin nennt er es ein „wichtiges ökumenisches Hoffnungszeichen“, daß Katholiken und Protestanten sich gemeinsam für den Lebensschutz einsetzen. Die „Obszönität des Protestes“ der Gegendemonstranten beweise, daß die Lebensrechtler etwas Wichtiges zu sagen und etwas Heiliges zu schützen hätten.