© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Knapp daneben
Gelbe Karte für langsame Richter
Karl Heinzen

Thomas Schulte-Kellinghaus steht kurz vor der Pensionierung. Daher nimmt er zwar seine Pflichten als Richter am Freiburger Außensenat des Oberlandesgerichtes Karlsruhe ernst. Die Bereitschaft, sich auf die betriebswirtschaftlichen Maximen einer modernen Justiz einzulassen, ist aber eher gering. Er will Recht sprechen und nicht Urteile im Akkord verkünden. Die Konsequenzen dieser antiquierten Einstellung sind meßbar. Die Zahl der von ihm erledigten Fälle ist gerade einmal halb so hoch wie die Leistung, die seine Kollegen im Durchschnitt vorzuweisen haben. Dafür handelte er sich im Jahr 2012 die dienstrechtliche Ermahnung der damaligen OLG-Präsidentin ein. Schulte-Kellinghaus wollte dies nicht auf sich sitzen lassen und beschritt den Rechtsweg. Ihm ein Pensum vorzugeben, so seine Argumentation, käme einem Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit gleich. 

Wenn der Staat die Rechtsprechung beschleunigen wolle, müsse er eben mehr Richter einstellen.

Zudem sei das Recht so komplex geworden, daß ein sachgerecht betriebenes Verfahren heute halt doppelt so lang dauere wie noch vor 20 Jahren. Wenn der Staat angesichts dieser selbst verschuldeten Lage die Rechtsprechung beschleunigen wolle, müsse er eben mehr Richter einstellen. Der Bundesgerichtshof ist anderer Auffassung: Richter dürfen ermahnt werden, wenn sie zu gründlich arbeiten und dadurch zu wenige Fälle abarbeiten. Eine andere Entscheidung war ihm auch nicht möglich, ohne den Kollaps des Justizwesens zu riskieren. Dies ist im Interesse der Bürger, die viel pragmatischer sind als man ihnen unterstellt. Ihnen kommt es darauf an, daß Gerichte überhaupt Entscheidungen fällen. Ob dabei alle Gesichtspunkte angemessen berücksichtigt wurden, können sie sowieso nicht beurteilen. Den Glauben an eine Rechtsordnung haben sie längst überwunden. Sie wundern sich allenfalls, daß ihnen immer noch Richter aus Fleisch und Blut gegenübertreten, wo deren Aufgaben doch längst durch Algorithmen erledigt werden könnten. Aus dieser Einstellung spricht kein Zynismus. Sie steht für gelebte Demokratie. Es sind die Bürger, die die Legislative wählen. Für das, was sich Recht nennt, tragen sie daher selbst die Verantwortung.