© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Zur Wechselwirkung von Demographie und Rente
Die Quittung kommt
Franz Harder

Naturvölker haben nie demographische Probleme, weil deren Altersversorgung von ihren Kindern abhängig ist – hast du Kinder, bist du im Alter versorgt. Deren demographische Bilanz ist in der Regel positiv. Ähnlich formulierte das Problem in Naturrechtstradition der deutsche Theologe und Sozialphilosoph Oswald von Nell-Breuning (1890–1991): „Der Schlüssel der Altersversorgung liegt nicht in der Geldrechnung, er liegt in der biologischen Struktur des Volkskörpers.“

Tatsächlich, stellen wir uns vor, auf eine einsame Insel hat das Schicksal eine Familie mit Kindern und ein kinderloses Ehepaar verschlagen. Das Elternpaar müht sich mit den Plagegeistern, und die Kinderlosen sonnen sich und genießen das Leben. Doch irgendwann werden die Erwachsenen alt und sind auf die Hilfe der Jungen angewiesen. Nun kommen die Kinderlosen zu den Eltern und fordern: „Alle sind gleich, und deshalb müssen uns Ihre Kinder gleichermaßen versorgen.“ Die Eltern, wie auch deren Kinder, werden wohl strikt solche Ansprüche ablehnen. Oder?

In der Gesellschaft wird es komplizierter, weil alle, Eltern wie Kinderlose, für das Großziehen der Kinder aufkommen und auf Leistungen von Kindern einen Anspruch haben. Trotzdem merken wir uns, als Naturprinzip gilt auch weiter: Kinder sorgen für ihre Eltern. Das Problem liegt in der Berechnung des gesellschaftlichen und familienbezogenen Aufwands am Großziehen des Nachwuchses und entsprechender Belohnung von Eltern und Kinderlosen im Alter.

Von mehreren Ursachen des Geburtenrückgangs – die Anti-Baby-Pille, die zersetzende Wirkung sowohl der Achtundsechziger als auch der Gender-Ideologie auf die Familie, die Genußsucht des Wohlstandsdeutschen, dem die „teuren“ Kinder im Wege stehen, etc. – ist ausschlaggebend unser Rentensystem, das das Kinderkriegen zum Nachteil macht.

Praktiziert werden mehrere Rentenmodelle, auch Mischsysteme. Bei der Grundrente wird jeder versorgt, unabhängig von persönlicher Vorleistung. Die Grundrente entwertet den Faktor Arbeit, zerstört die Arbeitsmoral, führt zu einer steigenden Zahl von Empfängern und einer sinkenden Zahl von Produzenten. Sie richtet sich gegen die Allgemeinheit – andere haften, nur die Begünstigten nicht.

Das System des bedingungslosen Grundeinkommens in Sparta im 6. Jahrhundert. v. Chr. und in England 1795 bis 1834 hat sich nicht bewährt. Die Kapitalrente wird von mehreren Ökonomen bevorzugt, weil sie das Kapital in die Wirtschaft pumpt, aber bei Finanzkrisen und Geldreformen kann das Angesparte verlorengehen, und die Rentner sind dann arm dran.

Dann gibt es noch den kapitalistischen Trend, Arbeitskräfte gleich mit Kapital und Produktionsmitteln zu behandeln. Einwanderer sollen unseren Alten die Rente „verdienen“. Man übersieht dabei, daß es sich um Menschen handelt, die wiederum ihre Eltern haben, die zu versorgen sind. Ist das nicht eine Sklavenhaltermentalität, die dem Artikel 1 GG, „Schutz der Menschenwürde“, widerspricht? Ob den kinderlosen Deutschen das Brot aus fremder Hand im Alter nicht „bitter“ schmecken wird? Dieser Vorgang nach dem Kettenbriefverfahren wäre sowieso keine Dauerlösung: Er wirkt nur in der ersten Generation, fordert immer mehr neue „Injektionen“ von frischen Menschen und führt letztendlich zum Ausverkauf der Heimat an Fremde.

Die aus den Bismarckschen Sozialgesetzen abgeleitete Umlagerente hat zwei Weltkriege, Inflation und Währungsreformen überstanden, hat aber einen eingebauten konstruktiven Fehler – bei der Rentenreform 1957 hat Bundeskanzler Adenauer die generative Leistung der Familie in der Rentenberechnung nicht berücksichtigt. Kinder zu haben wurde zum Nachteil – Verfassungsrichter Paul Kirchhof: „Den Nutzen von Kindern haben die, welche keine Kinder haben“ –, es kommen wenig deutsche Kinder zur Welt, die Quelle der Alterssicherung, der Nachwuchs, versiegt. Mit anderen Worten: Demographie und Altersversorgung bedingen einander. Ohne Kinder keine Rente, und ohne kinderbezogene Rente wenig Kinder.

Warum Adenauer das nachwuchsfeindliche Rentensystem wollte, trotz heftiger Widerrede Wilfrid Schreibers, der als Kölner Professor die Umlage begründete und zusätzlich eine Kinderrente vorsah, bleibt unklar. Adenauers plumpe Ausrede, „Kinder kriegen die Leute immer“, ist wenig hilfreich. Auf die Warnung, daß dieses System zum Mangel an Nachwuchs führe, soll er gefragt haben, „Wann?“ und beruhigt geantwortet haben: „Sie werden dann schon nicht mehr leben.“

Die demographische Katastrophe ist die Mutter aller Krisen. Unsere Kinderarmut wirkt sich auf alle wichtigen Bereiche unseres Lebens aus: von der Rentenfinanzierung bis zu unserem Volksdasein und zu innen-, außen- und geo-       politischen Fragen.

Mit der Umlagerente 1957 wurden die Versicherungs- und Vorsichtsprinzipien für unnütz erklärt. Gleich im ersten Jahr stiegen die Rentenzahlungen von acht auf 14 Milliarden D-Mark. Allein 1957 stieg die Rente um 47 Prozent, und die Adenauer-Regierung erzielte bei der Wahl zum 3. Deutschen Bundestag die absolute Mehrheit.

Die höhere Rentenzahlung stärkte die Kaufkraft, kurbelte die Wirtschaft an, und alle waren zufrieden. Dann kam das Rentenanpassungsgesetz nach dem Bruttolohnzuwachs der Arbeitnehmer (Ludwig Erhard: „Gift der Dynamisierung“), und schon bald waren die Vorräte der Rentenversicherung (RV) verbraucht. Die Beitragssätze stiegen von 5,6 Prozent 1945 bis rund 20 Prozent heute. Mit dem Verbrauch des Kapitalstocks hat die RV ihren Versicherungs­charakter endgültig verloren. Es blieben Rentensteuer und eine gewaltige Verteilungsmaschinerie von Familien zu Kinderlosen.

Daher kann der Bürger nicht „seine“ Rente, für die er sein ganzes Leben eingezahlt hat, bekommen, weil der Parteienstaat seine Beiträge an die vorherige Generation von Rentnern verbraucht hat, um gewählt zu werden. Die vorausgegangenen Rentner haben auch nicht nachgefragt, auf wessen Kosten die Segnungen kommen. Nun ist der Bürger im Alter auf die Beiträge seiner Kinder (die „Elterndankabstattung“) angewiesen – oder muß auf Kosten fremder Kinder leben.

Laut Nachforschungen von Hermann Adrian (Universität Mainz) kassiert ein Kinderloser in seinem Leben 300.000 bis 500.000 Euro von fremden Kindern. Die Familienverbände kritisieren, daß ein Ehepaar, das fünf und mehr Kinder großgezogen hat (die Mutter ist bei den Kindern und zahlt keine „Beiträge“), eine kleinere Rente bekommt als ein kinderloses Ehepaar. Oder: Die Familie erhält den Staat am Leben mit einem Überschuß, abzüglich aller Kosten, mit 77.000 Euro pro Kind (ifo-Institut München); dahinter ist inzwischen auch das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) gekommen (siehe Seite 10).

Um diesen Raub an der Familie zu beheben, gibt es Vorschläge, eine kinderzahlbezogene Mütterrente einzuführen, was aber wiederum tüchtige Kinder mit Taugenichtsen gleichstellt und den Vater diskriminiert (leistet der Vater nichts in der Familie?).

Die demographische Katastrophe ist die Mutter aller Krisen. Unsere Kinderarmut wirkt sich auf alle wichtigen Bereiche unseres Lebens aus: von der Rentenfinanzierung bis zu unserem Volksdasein und zu innen-, außen- und geopolitischen Fragen schlechthin. Die Sorge um die Zukunft der Deutschen als Volk teilte auch der verstorbene Bundespräsident a.D. Roman Herzog. In seiner Rede zum Internationalen Tag der Familie sagte er am 30. Dezember 1994 in Bonn: „Es scheint, daß auch die Familie zu den bedrohten Arten gehört, zu den Spezies, die besonderen Schutz, im gewissen Sinne auch Oasen brauchen, um überhaupt noch überleben zu können.“ In Artikel 20a GG steht: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“; zu denen ebenso die Sorge um Nachwuchs gehört.

Die Adenauersche „sozialistische“ Rentenregelung bestätigt die ewige Wahrheit, daß alles, was gegen Natur-, Ökonomie- und Leistungsgesetze gerichtet ist – Christen würden auch die Zehn Gebote erwähnen –, früher oder später zum Scheitern verurteilt ist.

Es ist einfach nachzurechnen: Bei einer Geburtenrate von beispielsweise 1,3 statt 2,1 schrumpft die Kindergeneration auf 62 Prozent, die Enkelgeneration auf 38 Prozent. Weil auch die Zahl der potentiellen Mütter sinkt, müßte jede Frau, nur um die Geburtendefizite zu lindern, statistisch gesehen 3,8 Kinder zur Welt bringen (nach ver.di publik 2/2003). Dies ist ein demographischer Selbstmord auf Raten. Günter Zehm sprach in der JUNGEN FREIHEIT einmal von einem Fall von „Völkermüdigkeit“ als Grund für den kulturellen, demographischen und politischen Niedergang. Wir werden von anderen Völkern aufgesogen und assimiliert, respektive marginalisiert und in den Helotenstatus gedrängt. Müdigkeiten gehen immer tödlich aus.

Wollen wir als Volk überleben, daß unsere Kinder noch ein Zuhause haben, ist für einen ausreichenden Nachwuchs zu sorgen und zwar durch eine familiengerechte Altersversorgung. Nun ist das Umlagesystem etabliert, es kann auch nicht abgebrochen werden, weil die laufenden Verpflichtungen gegenüber den vorausgegangenen Beitragszahlern, den heutigen Rentnern, bleiben. Die Umlage ist bestens geeignet, es genügt, den „Spieß“ umzudrehen. Wenn ohne Berücksichtigung der generativen Leistung der Familie in der Rentenberechnung die Umlage selbstmörderisch wirkt, so wirkt sie mit Berechnung derselben lebensrettend und ist nur natürlich. Die Natur regeneriert sich von selbst. Es ist wie in einer Gleichung, wo eine der Größen (das Kindergroßziehen) vorher mit einem falschen Vorzeichen eingebaut worden war.

Wie soll das geschehen? Es gibt mehrere Vorschläge, die Rente nach der Kinderzahl zu bemessen, zum Beispiel kinderlos: 50 Prozent Rente, ein Kind: 70 Prozent, zwei Kinder: 90 Prozent, drei Kinder: 105 Prozent etc. Interessant ist der Vorschlag von Hans-Werner Sinn: Danach sollten „alle betroffenen Renten um einen Prozentsatz“ gekürzt und „hernach eine Sonderrente nach der Kinderzahl“ eingeführt werden.

Kinder können jedoch selbst der Gesellschaft zur Last fallen. Daher wäre es logisch, eine kinderleistungsbezogene Elternrente einzuführen. Und weil der Anteil der Allgemeinheit an Kinderkosten (Kindergeld, Schulen, Familienförderung, Bildung etc.) nach Berechnungen des DIW 45 Prozent beträgt und mit den Ganztagsschulen und Kindertagesstätten leicht auf 50 Prozent steigen könnte, so wäre nur die Hälfte des Rententopfs an Rentner nach Beiträgen zu verteilen und die andere Hälfte des „Topfs“ ginge dann an beide Eltern.

Die Elternrente wäre jährlich anteilsmäßig in Relation zu mittleren (um Schwankungen abzufedern) Jahresrentenbeiträgen der Kinder festzusetzen. Dabei müßten die Kinder ihre Rentenbeiträge auch aus Auslandsaufenthalten überweisen, um für die Eltern und die eigene Rente zu sorgen, was in einer zunehmend globalisierten Welt zu einer stärkeren Bindung an Familie und Heimat führen könnte. Im System gelten allein Leistungen – die höchste Form der Gerechtigkeit. Alles andere ist Sozialismus. Jedenfalls gilt: Nach der Installierung des Systems lassen die Politiker ihre Finger davon ab, um die parteienimmanente Klientelpolitik auszuschließen.

Beteiligt ist jeder Bürger. Die durch Beiträge nicht gedeckten Härtefälle (Tod, Krankheit, Arbeitsunfähigkeit des Ernährers etc.) sind getrennt aus dem allgemeinen Steueraufkommen nach Entscheidungen der Politik zu regeln.

Eine Lösung zu finden, heißt das Natürliche wieder herzustellen. Erfreulich war, daß das Pflegeurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 die generative Leistung der Familie dem Rentenbeitrag gleichgestellt hatte. Das aber würde eine Kürzung der Rente bei Kinderlosen bedeuten und Wählerstimmen kosten, was in einem Parteienstaat politisch nicht machbar ist. Daher berief die Bundesregierung seinerzeit die Rürup-Kommission, die Nichtigkeit des Pflegeurteils für die Rente zu „begründen“.

Um die Ungerechtigkeit gegenüber der Familie zu kaschieren, blieb der Politik nichts anderes übrig, als Gerechtigkeit vorzutäuschen. So betont jede Partei ihre „Sorge“ um die Familie, schiebt ihr hin und wieder Almosen, die weitgehend die Leistung der Familie nicht abgelten, zu, und macht alles mit, was der Familie schadet, von Frühsexualisierung der Kinder bis zur jüngst beschlossenen „Ehe für alle“.

Unser Fall der Adenauerschen „sozialistischen“ Rentenregelung bestätigt die ewige Wahrheit, daß alles, was gegen Natur-, Ökonomie- und Leistungsgesetze gerichtet ist – Christen würden auch die Zehn Gebote erwähnen –, früher oder später zum Scheitern verurteilt ist. Und zu den Ursachen der Nichtrevidierung von schädlichen Entwicklungen könnte die Aussage des Dichters Gottfried Benn (1886–1956) einleuchten: „Das Abendland geht nicht zugrunde an den totalitären Systemen, auch nicht an seiner geistigen Armut, sondern am hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor politischen Zweckmäßigkeiten.“ 





Franz Harder, Jahrgang 1929, stammt aus einer rußlanddeutschen Familie aus dem Süden der Ukraine. Unter Stalin wurde er viermal deportiert. Harder arbeitete später als Elektroingenieur in einem Betrieb der Schwerindustrie in Tscheljabinsk/Ural. Nach seiner Aussiedlung nach Deutschland fand er Anstellung als technischer Zeichner in der Stadtverwaltung von Bielefeld.

Foto: Viele Alte, wenig Junge: Unser Geburtenrückgang hat viele Ursachen. Eine davon ist das Rentensystem.