© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Kurswechsel mit Säuberungsprozeß
Publizistik: Die politisch-kulturelle Monatszeitschrift „Mut“ ist nach 52 Jahren eingestellt worden
Karlheinz Weißmann

Das erste Mut-Heft bekam ich Mitte der siebziger Jahre in die Hand. Ich machte mit einem Freund eine Fahrradtour an der Weser, und eines unserer Ziele war Lippoldsberg. Wir haben die wunderbare Klosterkirche besichtigt und stießen dann im Klosterhof auf eine kleine, etwas verwunschen wirkende Buchhandlung. Die Auslage war ungewöhnlich. Neben allen möglichen volkskundlichen und historischen Themen stach die große Zahl von Arbeiten zur Militärgeschichte und NS-Zeit hervor, und dann waren da in Gelb und Braun gebunden die Bücher aus der Feder von Hans Grimm.

Wir blieben unschlüssig, da öffnete sich die Tür und eine alte Dame fragte freundlich, ob wir nicht hereingekommen wollten. Wir folgten ihr, und das Angebot, das draußen zu sehen gewesen war, setzte sich im Inneren fort. Wir standen, schauten uns um, blätterten, hätten aber nicht das Geld gehabt, um einen der Bände zu kaufen. Die Dame bemerkte unsere Unsicherheit, zeigte auf Stapel von Heften im DIN-A5-Format und meinte, sie schenke uns eines davon, das sei etwas für junge Leute. Also suchten wir jeweils ein Exemplar aus, verabschiedeten uns und radelten davon.

Daß die Dame Holle Grimm war, die Tochter des Schriftstellers Hans Grimm („Volk ohne Raum“), erfuhr ich erst später. Wer nicht zum nationalistischen Milieu der späten Bundesrepublik gehörte, hatte mit ihr, ihrem familiären Hintergrund oder Zeitschriften wie Mut normalerweise keine Berührung. Dementsprechend war das Befremden, wenn man Mut durchblätterte: neben agitatorischen Artikeln zur Dekadenz der Gesellschaft gab es etwas über das „Mörderregime“ in der DDR und Aspekte „nationaler“ Weltanschauung, dazu jede Menge Anzeigen für einschlägige Bücher oder Broschüren, Hinweise auf das nächste Stahlhelm-Lager und die Arbeit der Jungen Nationaldemokraten.

Als ich Bernhard C. Wintzek (heute 74), den Herausgeber von Mut, später fragte, was ihn bewog, eine solche Zeitschrift zu machen, antwortete er mir, er habe in jungen Jahren davon geträumt, ein „deutscher Makarenko“ zu werden. Anton Semjonowitsch Makarenko (1888–1939) war der bedeutendste Pädagoge der frühen Sowjetunion, und was Wintzek vorschwebte, war eine Art volkserzieherisches roll back, mit dem Ziel, Liberalismus und Marxismus auf dieselbe Art und Weise aus den Köpfen herauszubringen, auf die sie hineingekommen waren.

Das mochte Mitte der sechziger Jahre eine gewisse Plausibilität besessen haben, aber nach dem Scheitern der NPD war es damit vorbei. Was blieb, war ein überaltertes, immer weiter schrumpfendes, zunehmend isoliertes und unter wachsenden Druck geratendes Milieu. Das Schwinden jedes Rückhalts hat ganz wesentlich zu der Kurskorrektur beigetragen, die Wintzek deshalb vornahm. Am Titel Mut wurde festgehalten, dann aber konsequent umgesteuert, weg von völkischer Rückwärtsgewandtheit und NS-Nostalgie, hin zu dem, was der neue Hauptautor Gerd-Klaus Kaltenbrunner „kreativen Konservatismus“ nannte.

Wie erfolgreich das veränderte Konzept war, konnte man daran ablesen, daß sich 1988 sogar der amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl als ständiger Leser zu erkennen gab. Die Folge war ein Aufschrei der antifaschistischen Öffentlichkeit, aber den Prozeß der Etablierung von Mut konnte das nicht mehr aufhalten. Für etwa zehn Jahre schien es, als entstünde hier ein populäres und in der Wahl seiner Autoren offenes, aber in der Grundausrichtung eindeutig konservatives Organ, das auch durch die attraktive Kombination von Bild und Text geeignet war, Einfluß auf die breitere Öffentlichkeit zu nehmen.

Aber es hätte wohl mißtrauisch machen müssen, daß zu den neu gewonnenen Mitarbeitern nicht nur zahlreiche Funktionsträger der Union gehörten, sondern auch Wolfgang Bergsdorf, der Leiter der Abteilung Inland des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. Jedenfalls begann bei Mut nach der Wiedervereinigung ein Säuberungsprozeß, dem letztlich alle Mitarbeiter – selbst Kaltenbrunner – zum Opfer fielen, die nicht in das Schema bürgerlich-westlich-proamerikanisch paßten oder nach links oder ins Unverbindliche davon abwichen. Wintzek hat dieses Vorgehen unter Hinweis auf „Mitte und Maß“ verteidigt, aber letztlich nur eine Anpassung vollzogen, die man aus psychologischen oder ökonomischen Gründen nachvollziehbar finden mag oder auch nicht.

Von den Metamorphosen der Zeitschrift hat die Öffentlichkeit kaum Notiz genommen, auch wenn es immer einige Verfolger vom Dienst gab, die mit Häme an die Anfänge erinnerten. Mit der aktuellen, 591. Ausgabe nun – die erste erschien im Oktober 1965 – wird Mut nach zweiundfünfzig Jahren eingestellt.