© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Der Flaneur
Neue Nachbarn
Claus-M. Wolfschlag

Ich klingele. „Soll ich hochkommen?“ frage ich. „Nein, ich bin verspannt“, antwortet N. durch die Sprechanlage. „Laß uns lieber ausgehen.“ Eine Minute später schlendern wir durch die Sommernacht zu einer Bar. Das waren noch Zeiten, als die alte Rentnerin in der Nachbarwohnung lebte. Von ihr hörte man nur das Fernsehprogramm durch die dünnen Wände des 50er-Jahre-Baus. Oft saß ich bei N. und bekam durch die Wand mit, wann Günther Jauch einen Telefonjoker vorschlug.

Die Wohnung wurde an zwei Araber vermietet. Aufgehalten haben sich dort aber 30 Personen.

Letztes Jahr starb die alte Dame, und seitdem kann sich N. in seinen vier Wänden nicht mehr entspannen. Die Wohnung wurde renoviert und an zwei Araber vermietet. Aufgehalten haben sich dort aber oft 30 Personen. Sie haben sich laut angeschrieen. Oft gingen Partys drei Tage, und aggressive Hip-Hop-Musik schallte durch die Wand. Leute übergaben sich, würgten, husteten. Danach oft drei Tage Totenstille. Wenn das Telefon in der Nachbarwohnung klingelte, lief der Mieter manchmal auf die Straße und steckte einem dort Wartenden etwas zu. „Das sind Junkies“, meint N. „Oder anderes“, zwinkere ich.

Vor fünf Tagen dann ein Wasserschaden in den Gewerberäumen unter der Wohnung. Die Mieter hatten das WC verstopft und überlaufen lassen. Darauf ein nächtlicher Polizeibesuch. „Die Polizisten waren zuckersüß und lachten noch“, sagt N., der alles durch die Tür hörte. Der Mieter würde zwar zur Abschiebung gesucht, aber er könne erst mal in der Wohnung bleiben, meinten die Beamten. Als die Polizisten weg waren, wurde die Stereoanlage wieder stundenlang hochgedreht. Am nächsten Tag waren die Nachbarn ausgeflogen. Nachts um zwei Uhr kam ein Handwerker mit drei Polizisten und wechselte bohrend das Türschloß. Als sie einen Blick in die Wohnung warfen, meinte ein Beamter: „Mann, ist das kraß hier.“ Seitdem herrscht Ruhe. 

Aber er traue dem Braten noch nicht, sagt N., als wir unsere Bar erreichen: „Ich bin noch verspannt.“