© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Verstoß gegen jede Menschlichkeit
Der „Laconia“-Zwischenfall 1942 führte zu einer noch größeren Unerbittlichkeit im U-Bootkrieg
Jan von Flocken

Vor sechs Jahren konnte man im ARD-Fernsehen den Zweiteiler „Laconia“ sehen. Es handelte sich um eine Episode aus dem Zweiten Weltkrieg, und in dieser deutsch-britischen Koproduktion spielten die deutschen Soldaten ausnahmsweise nicht ihre Rolle als finster-fanatische Fieslinge oder stammelnde Trottel. Der Film unter Regie des „Tatort“-erfahrenen Uwe Janson zeigte vielmehr das Geschehen aus einer erstaunlich unaufgeregten Perspektive.

U 156 nahm sich der Schiffbrüchigen an

In der Nacht zum 13. September 1942 kreuzte das deutsche U-Boot U 156 vor der westafrikanischen Küste. Kommandant war der 34jährige Korvettenkapitän Werner Hartenstein, ein sehr erfahrener Seemann. Im Morgengrauen torpedierte er 600 Seemeilen südlich von Las Palmas den bewaffneten Passagierfrachter „Laconia“. Das 190 Meter lange Schiff mit 19.700 Bruttoregistertonnen (BRT) hatte mehr als 2.700 Menschen an Bord, darunter 350 Angehörige der britischen Streitkräfte, Zivilisten sowie 1.800 italienische Kriegsgefangene von der Nordafrikafront.

Nachdem das U-Boot aufgetaucht war, entdeckte die Besatzung Hunderte Schiffbrüchige, die sich zum großen Teil in Rettungsbooten befanden. Auf die Hilferufe der verbündeten Italiener entschloß sich Hartenstein, sofort Beistand zu leisten. Er ließ um 6 Uhr zweimal auf englisch einen unverschlüsselten Funkspruch auf der internationalen Frequenz durchgeben: „Wenn irgendein Schiff der schiffbrüchigen Besatzung der ‘Laconia’ helfen will, werde ich nicht angreifen, vorausgesetzt, daß ich nicht von Schiffen oder Flugzeugen angegriffen werde.“ Dann gab er die genaue Position seines Bootes an.

Ein U-Boot vom Typ IX C bot Raum für 48 Besatzungsmitglieder. Dabei herrschte im Boot drangvolle Enge; die meisten Matrosen mußten sich aus Platzmangel abwechselnd eine gemeinsame Schlafkoje teilen. Jede weitere Person an Bord wirkte sich negativ auf die Kampfkraft aus. Dennoch hatte U 156 insgesamt 193 Briten und Italiener aufgenommen. Außerdem retteten die Deutschen in den folgenden Stunden Hunderte Überlebende und verteilten sie auf die rings im Wasser auseinandertreibenden Rettungsboote, die notdürftig instand gesetzt wurden.

Als Admiral Karl Dönitz, Befehlshaber der U-Bootwaffe, von dem Zwischenfall erfuhr, beorderte er zwei weitere U-Boote (U 506 und U 507) zum Ort des Geschehens. Sie sollten Passagiere an Bord oder ins Schlepptau nehmen und in französischen Häfen abliefern. Während dieser Rettungsaktion tauchte am 16. September um 11.25 Uhr ein US-Flugzeug vom Typ B-24 „Liberator“ am Himmel auf. Um seine friedliche Absicht zu bekunden, ließ Hartenstein eine zwei mal zwei Meter große Rotkreuzflagge auf dem Turm quer zur Anflugrichtung des viermotorigen Bombers auslegen.

Der US-Kriegsverbrecher mußte sich nie verantworten

Zunächst drehte das Flugzeug ab, kam aber gegen 12.35 Uhr wieder zurück, warf zunächst zwei Bomben im Abstand vor drei Sekunden auf die Schiffbrüchigen, ein Rettungsboot kenterte. Beim erneuten Anflug warf der „Liberator“ vier weitere Bomben auf U 156. Im Bordbuch notierte Hartenstein: „Turm verschwindet in schwarzer Wasserglocke. Zentrale und Bug-raum melden Wassereinbruch. Klar bei Schwimmwesten. Befehl: Alle Briten an Deck.“ Als danach die Batteriebilge zu gasen begann, mußten auch die geretteten Italiener das Boot verlassen. Hartenstein besaß für sie keine Tauchretter, und wenn sein Boot unter Wasser geriet, dann konnte bei gasenden Batterien nur noch per Tauchretter geatmet werden. „Beide Sehrohre vorläufig unklar. Breche Hilfe ab, alles von Bord“, hieß es weiter.

Die beiden anderen U-Boote nahmen trotz aller Gefahren die noch verbliebenen sieben Rettungsboote mit 330 Menschen in Schlepp und übergaben sie spätabends an zwei französische Frachter. Der B-24-Bomber war inzwischen zu seiner Basis auf der Südatlantikinsel Ascension zurückgekehrt. Verantwortlich für den völkerrechtswidrigen Angriff zeichnete der Kommandant der Basis Hauptmann Robert C. Richardson. Erst 21 Jahre später erklärte er, inzwischen Nato-General, seine Handlungsweise: „Wir wußten nicht, daß sich Briten unter den Schiffbrüchigen befanden. Aber selbst wenn wir das gewußt hätten, hätte es keinen Unterschied gemacht. Ich würde diesen Befehl immer wieder geben. Es war Krieg, und das U-Boot mußte vernichtet werden.“

Admiral Dönitz zog daraus seine Schlüsse. Zu Werner Hartenstein und U 156 schrieb er: „Gut durchgeführte Unternehmung. Der Kommandant befand sich bei der Rettungsaktion der Laconia-Schiffbrüchigen in einer schwierigen Lage (...) Der Vorfall ist ein erneuter Beweis, wie nachteilig sich menschliche Empfindungen gegenüber einem solchen Gegner auswirken können. Die Sicherheit des eigenen Bootes muß stets voll gewahrt bleiben.“

Im Zusammenhang mit diesen Vorfällen erteilte Dönitz am 17. September 1942 seinen Kommandanten eine Anweisung, die als „Laconia-Befehl“ in die Annalen einging. Darin hieß es: „Alle Bemühungen, Mannschaften versenkter Schiffe zu retten, werden hiermit eingestellt. Dieses Verbot gilt gleichermaßen für die Rettung von Menschen aus dem Wasser und Rettungsbooten, für das Aufrichten von gekenterten Rettungsbooten wie auf das Zurverfügungstellung von Nahrung und Wasser. Solche Aktivitäten stellen einen Widerspruch zum ursprünglichen Zweck des Krieges dar, nämlich die Zerstörung von feindlichen Schiffen und deren Mannschaften (...) Überlebende sind nur dann zu retten, wenn sie Informationen von Wichtigkeit für das U-Boot besitzen.“ Und quasi als ideologische Rechtfertigung folgte der Satz: „Seien Sie kompromißlos. Denken Sie daran, daß der Feind keine Rücksicht auf unsere Frauen und Kinder nimmt, wenn er Bombenangriffe auf deutsche Städte durchführt.“