© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Zeitschriftenkritik: exit!
Alle Faschos – sogar Mutti!
Jens Knorr

Die Entwertung des Werts entleert auch Begriffe ihrer Bedeutung. Mußte man sich vordem das Attribut „Faschist“ hart erarbeiten, bekommt man es heute gratis nachgeschmissen, ohne auch nur einen Finger dafür gekrümmt zu haben. Im aktuellen Heft 14 der unregelmäßig erscheinenden Zeitschrift Exit! (Untertitel: Krise und Kritik der Warengesellschaft) sieht Daniel Späth die Wertabspaltungskritik von einer „Querfront allerorten!“ umzingelt. Im hier veröffentlichten ersten Teil seines Textes mit dem Untertitel „Die ‘Neueste Rechte’, die ‘neueste Linke’ und das Ende der Transzendenz“ befaßt sich der Autor mit der Entstehung der „Neuesten Rechten“. Diese spaltet er streng triadisch in einen nationalliberalen (AfD), einen völkischen (Mahnwachen für den Frieden) und einen national-sozialen (Pegida) Flügel des „deutschen Neofaschismus“ auf, dessen Ideologie er als „Restitution der zerbrechenden deutschen Souveränität“ bestimmt. Das über 100seitige Textkonglomerat leistet zwar nicht die vom Autor verheißene „begriffliche Präzisierung des Faschismus in seiner, unserer Epoche, dafür aber einer Enthistorisierung des Begriffs Vorschub.

Durchaus ernst zu nehmen ist Späths Verweis auf die Widersprüchlichkeit der AfD-Programmatik, die den vorhersehbaren Wahlerfolg wie ein mögliches parlamentarisches Scheitern der Partei ausmachen könnte. In den Schranken des warenproduzierenden Systems sind negative Universalität des Weltmarkts und Partikularität der Nationalstaatlichkeit, neoliberale Deregulierung und nationaler Protektionismus nicht mehr politisch miteinander vermittelbar. Die zur Wahl stehende Notstandsverwaltung nach innen und außen kann den Zerfall deutscher Souveränität, die sie zu restituieren vorgibt, nur beschleunigen.

45 Jahre nach Deleuze/Guattari sucht Wertabspaltungskritikerin „Leni Wissen“ die „sozialpsychische Matrix des bürgerlichen Subjekts in der Krise“ anhand einer wertabspaltungskritischen Lesart der Freudschen Psychoanalyse zu bestimmen. Ihre Lesart erschöpft sich fürs erste auf bloßes Ersetzen psychoanalytischer Begrifflichkeiten durch wertabspaltungskritische sowie in der Pathologisierung all derer, die nicht auf Linie sind. Eine freudsche Lesart personalisierender Wertabspaltungskritik wird um Begriffe wie „Selbstanalyse“ und „Übertragung“ nicht herumkommen.

Neben Witwenlyrik und Adepten-Prosa bietet das Heft auch substantielle Beiträge zur Wertabspaltungskritik. Bernd Czorny untersucht das „Verständnis von Zeit in der Vormoderne und in der Moderne unter Bezugnahme auf (Moishe) Postone“, Zeit, aufgespalten in abstrakte, konkret-historische sowie abgespaltene Zeit, als historische Realkategorie des Kapitalismus. Richard Aabromeit behandelt in einem ersten Teil eines auf drei Teile konzipierten Projekts zum Thema Geld zunächst Herkunft und Historie des Geldes, dessen Begriff die gängigen Geldtheorien apriorisch und selbstverständlich voraussetzen.

Kontakt: Exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft, hrsg. vom Verein für kritische Gesellschaftswissenschaften e.V., Berlin; Horlemann Verlag, Lindenallee 9, 16278 Angermünde. Das Heft kostet 13 Euro

 www.exit-online.org