© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Eine offene Rechnung begleichen
Die Kanzlerin im Visier: Ex-Politiker Friedrich Merz ist zum mächtigsten Wirtschaftsführer aufgestiegen
Paul Rosen

Wenn ein Banker über Europa spricht, lockt das höchstens ein paar versprengte EU-Enthusiasten an. Heißt der Redner aber Friedrich Merz, ist der Saal voll. Sogar im Foyer eines Saals in Nürnberg müssen Lautsprecher aufgestellt werden, damit alle Merz hören können. Der genießt seine Popularität, gibt aber nur ausweichende Antworten auf die vielen von donnerndem Applaus begleiteten Fragen nach seiner Rückkehr in die Politik. Daran denkt der mächtigste Mann Deutschlands (noch) nicht. Allerdings gibt es da eine offene Rechnung, die nur politisch beglichen werden kann. 

Ein abgehalfterter Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU soll der mächtigste Mann Deutschlands sein? Dieses Attribut hört Merz nicht gerne. Er empfiehlt sich lieber als Treuhänder vieler Sparer und institutioneller Anleger. Den Namen der Firma, die Merz als Vorsitzender des deutschen Aufsichtsrats kontrolliert, kennen nur wenige: Blackrock. Der amerikanische Vermögensverwalter hütet weltweit Anlegergelder in Höhe von rund fünf Billionen Dollar. 

Groß geworden ist Blackrock mit Exchange Traded Funds (ETF) mit dem Namen „iShares“, die von jedem Depotinhaber gekauft werden können. Das sind börsengehandelte Fonds ohne Management, die Geld nach einem Index wie dem Deutschen Aktienindex (Dax) anlegen. Das heißt, für den Anleger in einen Dax-ETF werden die entsprechenden Aktien gekauft. Wer 100 Euro gibt, bekommt nicht eine Aktie, sondern (wenn auch minimale) Anteile an allen im Dax enthaltenen Weltkonzernen von Adidas bis Siemens. Geht es einem dieser Unternehmen mal schlecht, ist das Risiko für den Sparer wegen der breiten Streuung gering. Die Verwaltungskosten sind minimal, weil keine teuren Manager zu bezahlen sind. Sicher ist die Sache auch: Die Sparer sind Eigentümer der Aktien. Allein die Stimmrechte auf den Hauptversammlungen bekommt – Friedrich Merz. 

So hat der bald 62 Jahre alte Rechtsanwalt aus dem Sauerland eine Macht angehäuft, die ihn in eine Liga mit dem 1994 verstorbenen legendären Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs bringt. Sogar an dessen Institut kann Merz eine Beteiligung von 5,11 Prozent am Aktienkapital vorweisen. Beim Arzneimittelhersteller Merck sind es 8,43 Prozent, beim weltgrößten Rückversicherer Munic Re 6,84 Prozent, bei Bayer und der Allianz je rund sechs Prozent. Mit einem Anteil von je rund fünf Prozent ist Blackrock bei der Post,  Siemens, Daimler, der Deutschen Börse und Infineon dabei. Selbst bei kleinen börsennotierten Unternehmen wie Dürr, Evonik und Rheinmetall haben die Blackrock-Leute Aktienpakete und damit Einfluß. Da private Kleinaktionäre ihre Stimmrechte selten wahrnehmen, ist der tatsächliche Einfluß von Blackrock, Vanguard und anderen Fonds viel höher als die Prozente ihrer Unternehmensbeteiligung ausweisen. Welche Summen Blackrock von den Konzernen kassiert, ist fast unglaublich: So schüttete die Allianz in diesem Jahr 210 Millionen Euro Dividende an Blackrock aus, Siemens 172 Millionen.

Wenn in der deutschen Wirtschaft etwas passiert, dürfte Merz einer der ersten sein, die das erfahren – wahrscheinlich früher als seine alte Rivalin im Kanzleramt, Angela Merkel. Sie stürzte Merz 2002 nach der von Edmund Stoiber (CSU) verlorenen Bundestagswahl vom Sessel des Fraktionsvorsitzenden. Merz hatte sich auf eine angebliche Zusage Stoibers verlassen, er könne Fraktionschef bleiben. Dabei hatte der Bayer längst die Fronten gewechselt. Für Merz war dieser Verrat der Parteivorsitzenden das Schlüsselerlebnis seines politischen Lebens. Die Schmach zehrt an ihm bis heute, auch wenn er sich geschworen hat, einen Bogen um die deutsche Innenpolitik zu machen und nur über Finanzen und Amerika zu reden. Der Stachel sitzt aber noch tief im Fleisch, und Revanchegelüste schimmern durch, wenn er sagt: „Wer seine Politik für alternativlos erklärt, muß sich nicht wundern, daß dann eine Alternative entsteht.“ Den Namen Merkel nennt er nicht, und eine Rückkehr in die Politik mit der Bundestagswahl 2021 lehnt er ab: Da sei er doch schon 66 Jahre alt. 

Enttäuscht über Merkels Stil, die ihn weitgehend ignorierte, zog sich Merz 2009 aus dem Parlament zurück. Als Anwalt erhielt er schon zuvor gute Mandate, erkannte wie Abs Jahrzehnte vor ihm die Bedeutung von Auslandsaufenthalten und ging nach Amerika. Wie Abs sammelte er Aufsichtsratsmandate – etwa bei der Deutschen Börse. 

Abs dirigierte über Depotstimmrechte und Direktbeteiligungen die deutsche Industrie der Nachkriegszeit. Merz ist dabei, diese Rolle zu übernehmen. Denn Blackrock ist der Renner bei deutschen Sparern und bei den Amerikanern sowieso. Die Aktienpakete wachsen täglich. Im Unterschied zu Abs, der im Bonner Kanzleramt ein- und ausging und sich öffentlich in fast jede Debatte einmischte, bevorzugt Merz bisher die Samtpfoten-Methode: Blackrock gehe auf Hauptversammlungen, stimme ab, mache aber „keinen Rabbatz“. Es gebe andere Möglichkeiten, einem Unternehmen im Vorfeld einer Hauptversammlung Ansichten mitzuteilen.

Die Vorstände von Merck, ProSieben und Munic Re mußten erleben, was passiert, wenn man nicht auf die Fonds hört: Merz & Co. zeigten den Chefs die Krallen. In einer gut organisierten Aktion wurden die Vergütungssysteme der Vorstände abgelehnt. Investoren wie Merz nehmen immer mehr Einfluß – und bald auch öffentlich: Er wolle sich dafür einsetzen, daß Blackrock in Einzelfällen künftig nicht mehr schweigen, sondern seine Ansichten öffentlich machen werde. Adressat solcher Blackrock-Botschaften dürften nicht nur Unternehmen, sondern auch die Politik werden: Merkel im Visier von Merz.

Politisch hat sich Merz, der den Begriff der Leitkultur prägte und die Deutschen mit einem Stufentarif vom überbürokratisierten Steuersystem befreien wollte, auf größtmögliche Distanz zu Merkel gebracht. Seine Zustimmung zum Euro sieht der Hoffnungsträger vieler Konservativer im Unterschied zur Alternativlos-Regentin inzwischen als Fehler an: „Der Euro wird zum Sprengsatz für die EU.“ Und anders als Merkel, aber genauso wie Abs, ist Merz Transatlantiker, hat beste Beziehungen zu wichtigen amerikanischen Politikern. Die Energiewende hat er scharf kritisiert. 

Merz könnte so zufrieden sein, wenn es da nicht diese eine offene Rechnung geben würde. Kritisch beäugt er die Großmachtallüren der Regentin („Ein deutscher Kanzler kann nie Führer der freien Welt sein“); er sieht die Hochrisikofaktoren Migration, Europa und Energie. Jeder einzelne Faktor hat genug Dynamit, um die ganze Bundesregierung zu sprengen. Das wäre die Stunde des Sauerländers. 

Schon einmal – 2001 – hatte er sich als Kanzleranwärter ins Gespräch gebracht. CSU-Generalsekretär Thomas Goppel zeigte sich daraufhin „von dem physikalischen Phänomen überrascht, daß das Echo vor dem Ruf kommt“. Diesmal könnte der Ruf vor dem Echo kommen. Und auch vor dem 66. Geburtstag des Friedrich Merz.