© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Aufstehen und wählen gehen
Norwegen: Die rechtsbürgerliche Regierung bangt kurz vor der Parlamentswahl ums Überleben
Christoph Arndt

Finanzministerin Siv Jensen macht mobil. Mit der Fortschrittspartei (FrP) gehe es aufwärts. Die neueste Umfrage sehe sie schon bei 16,6 Prozent. Doch um die bürgerliche  Regierungsmehrheit zu halten, kämen noch wichtige Tage. „Das wird knapp, also müssen wir aufstehen! Mitmachen. Abstimmen!“ so die Chefin der rechtsliberalen Partei kurz vor der Parlamentswahl in Norwegen am 11. September. 

Zur Wiederwahl stellt sich dann die amtierende Mitte-Rechts-Minderheitenregierung aus konservativer Høyre (H) und Fortschrittspartei (FrP), die von der sozialliberalen Venstre (V) und der Christlichen Volkspartei (KrF) toleriert wurde. Die Verhandlungen für eine Vier-Parteien-Koalition waren an den gegensätzlichen Positionen der Christlichen und der Fortschrittspartei in Bereichen von Steuerfragen und der Beibehaltung der restriktiven Alkoholpolitik gescheitert. 

Tolerierungspartner erschwerten das Regieren 

Ministerpräsidentin Erna Solberg (H) und Jensen präsentierten dann im Oktober 2013 ihr Regierungsprogramm, welches deutliche Steuer- und Abgabensenkungen, Stärkung des Privateigentums durch Abschaffung der Erbschaftssteuer, eine umfassende Kommunalreform und eine verschärfte Innen- und Zuwanderungspolitik vorsah. 

Deren Umsetzung war jedoch von drei Herausforderungen geprägt. Der nach 2013 fallende Ölpreis reduzierte den finanziellen Handlungsspielraum der Regierung, und die Tolerierungspartner KrF und V versuchten sich verstärkt zu profilieren. Hinzu kam die fehlende Regierungserfahrung der FrP.

 Politische Beobachter, die die FrP in der Regel als Populisten oder Protestpartei verorten, hatten daher auch einen Popularitätsverlust oder einen Kollaps als Folge der Regierungsbeteiligung erwartet, da Stammwähler durch die Regierungsverantwortung und die notwendigen Kompromisse mit KrF und V abgeschreckt würden. Wenngleich nicht alle Versprechen umgesetzt wurden, so zeigte sich in den vergangenen vier Jahren ein deutlich bürgerliches Profil auf vielen Politikfeldern, zudem traten die erwarteten Auflösungserscheinungen bei der FrP trotz zwischenzeitlich schwacher Umfragewerte nicht ein.

Steuern und Abgaben wurden seit 2013 um 2,4 Milliarden Euro gesenkt. Dies vor dem Hintergrund, daß Høyre und FrP bei den Verhandlungen zum Haushalt 2017 höhere Öl- und Benzinpreise als Konzession an Venstre akzeptieren mußten. Zudem wurde die Erbschaftssteuer 2013 vollständig abgeschafft und die Vermögenssteuer gesenkt. Eine umfassende Kommunalreform wurde ebenfalls nach langen Verhandlungen Anfang 2017 beschlossen.

 Die Reduzierung der Gemeinden auf 354 von vorher 428 ging jedoch seit 2014 mit internen Streitigkeiten bei allen vier bürgerlichen Parteien einher, wobei in der oppositionellen Zentrumspartei (SP) aufgrund ihrer starken ländlichen Verankerung vielerorts eine ernsthafte Konkurrenz für die schwächelnden Regierungsparteien H und FrP erwuchs. Viele Umfragen sahen bis November 2015 daher zum Teil deutliche Mehrheiten für die von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (AP) angeführte Opposition und die immer populärer werdende SP vor.

Die sich seit November 2015 stabilisierenden Umfragewerte für H und FrP sind dabei Folge der konsequenten Handhabung der Asylkrise. So kamen laut Ausländerbehörde Utlendingsdirektoratet (UDI) 2014 noch 11.480 Asylbewerber in das Land, während sich die Zahl im Folgejahr 2015 mit 31.150 nahezu verdreifachte. Für 2016 befürchtete das UDI in einem Negativszenario einen Zustrom von 120.000 Flüchtlingen. 

Bange Blicke auf die Vierprozenthürde

Als Folge kommt es Ende 2015 zur überparteilichen Asylübereinkunft zwischen den beiden Regierungsparteien H und FrP, der KrF, der Venstre und den oppositionellen Sozialdemokraten und der Zentrumspartei. Solberg hatte Tage zuvor Sylvi Listhaug (FrP) zur Zuwanderungsministerin gemacht. Das Zuwanderungsministerium wurde dabei als Teil eines Superministeriums für Justiz neu eingerichtet, um der Flüchtlingskrise Herr zu werden.

Statt der befürchteten 120.000 Migranten konnte Listhaug konstatieren, daß es im Sommer 2016 die niedrigste Anzahl an registrierten Asylbewerbern seit 1997 gab. Listhaugs rigide Asylpolitik beinhaltete die sogenannte Asylnotbremse, das heißt eine Rechtsgrundlage zur Abweisung aller Migranten an der Grenze bei drohender Überlastung der Behörden oder Sicherheitsorgane und eine konsequente Abschiebepraxis. So  führte Norwegen 2016 8.078 Abschiebungen durch. Demgegenüber kamen lediglich 3.460 Asylbewerber ins Land. 

Ein weiteres Beispiel für die konsequente Linie ist die mögliche Inhaftierung beim Eilverfahren für aussichtlose Asylanträge und bei vermutetem Asylbetrug. Abgelehnte Asylbewerber können somit sofort aus der Haft abgeschoben werden. Die Behörden können zudem die Behandlung eines Asylantrages oder eines Antrages für eine Aufenthaltsgenehmigung vorab verweigern, wenn der Betroffene zuvor durch ein sicheres Drittland gereist ist. 

Während Listhaug zwischenzeitlich eine der populärsten Minister ist – 59 Prozent der Norweger attestierten ihr in einer IPSOS-Umfrage eine gute Arbeit als Zuwanderungsministerin –, erscheint es derzeit unsicher, inwieweit Høyre und FrP ihre Zusammenarbeit nach der Wahl fortsetzen können. Bei ausgeglichenen Stärkeverhältnissen für das bürgerliche und das linke Lager haben Mitte August neun Parteien prinzipiell Chancen, in das Storting einzuziehen oder zumindest Direktmandate zu erzielen. Allerdings liegen nur H, FrP, AP und SP sicher über der Vierprozenthürde, die entscheidend ist, um Ausgleichsmandate für eine größere Fraktion zu bekommen. Das Wahlziel der Fortschrittspartei ist, die 16,3 Prozent der  Wahl 2013 in etwa zu bestätigen, um die Regierungsarbeit fortsetzen zu können. Ein Dilemma für die FrP ist hier, die harte Zuwanderungspolitik Listhaugs im Wahlkampf als Erfolg zu verkaufen, während die Tolerierungspartner KrF und V sich mit einer liberaleren Linie profilieren wollen, um christliche und großstädtische Wähler anzusprechen. 

Eine zu harte Auseinandersetzung zwischen FrP, KrF und V könnte dazu führen, daß insbesondere die liberale Venstre an der Vierprozenthürde scheitert und somit eine bürgerliche Regierungsmehrheit deutlich erschwert wird. Ein ähnliches Dilemma gibt es im linken Lager, wo die AP darauf angewiesen ist, mindestens eine der beiden links-grünen Parteien über die Sperrklausel zu hieven.