© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Nicht so viel quatschen
Christian Vollradt

In kleinen Grüppchen stehen junge Leute um die Stehtische, vor sich jeweils einen Laptop. Alle tragen ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift „Willst du mit mir wählen gehen?“ Gemeinsam mit den Generalsekretären beziehungsweise Bundesgeschäftsführern der im Bundestag vertretenen Parteien sollen sie vergangene Woche den Startschuß für den Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl geben. 

Und so stehen also Peter Tauber (CDU), Hubertus Heil (SPD) und ihre Kollegen Matthias Höhn von der Linkspartei und Michael Kellner von den Grünen umringt von den Gelbhemden vor dem Bildschirm und klicken sich durch die 38 Thesen; denen kann man zustimmen, man kann sie ablehnen, neutral bewerten oder überspringen. Die Jugendlichen sind Erst- oder Jungwähler, die in einem 26köpfigen Redaktionsteam die Fragen und Thesen für den diesjährigen Wahl-O-Mat anhand der Wahlprogramme der Parteien entwickelt haben.

Das erstmals 2002 in Deutschland eingeführte Online-Werkzeug sei „inzwischen ein demokratischer Volkssport“, meint der Chef der federführenden Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), Thomas Krüger. Vor allem junge Leute würden so spielerisch angeregt, sich mit wichtigen politschen Themen auseinanderzusetzen. Besonderen Wert legt der Behördenchef, der sich betont locker in Turnschuhen präsentiert, darauf, daß die Bundeszentrale mit dem Wahl-O-Mat keine Daten sammelt.

„Ökologische Landwirtschaft soll stärker gefördert werden als konventionelle Landwirtschaft“: Da stimmt CDU-General Tauber mit „neutral“, was einem Teil der besonders treuen Stammwählerschaft – eben den konventionellen Bauern – sicherlich wenig behagen dürfte. Als der Unionspolitiker wieder eine Frage mit neutral abhakt, bemerkt ein Nebenstehender im gelben T-Shirt, das sei ja typisch CDU: nur nicht festlegen. 

„Kindergeld nur für Deutsche?“ Bei dieser These guckt Merkels Gefolgsmann ungläubig. „Wir mußten ja auch den rechten Rand bedienen“, erläutert eine Wahl-O-Mat-Redakteurin. Die Politiker am Premierentag sind jedenfalls angetan. SPD-Mann Heil lobt die wahlsteigernde Wirkung. Sein CDU-Kollege Tauber: „Es kostet ein bißchen Zeit, obwohl ich glaube, daß ich recht zügig durchgegangen bin.“ Darauf einer der jungen Wahl-O-Mat-Freiwilligen: „Na ja, die meisten quatschen nicht so viel!“ 

Frage an CDU-Mann Tauber, ob es denn wirklich sinnvoll sei, dem unschlüssigen Wahlberechtigten das Programm der Union im Wahl-O-Mat an die Hand zu geben. Schließlich unterschied sich das in der Vergangenheit nicht unerheblich von der Politik der Partei – Stichwort Atomausstieg oder Aussetzung der Wehrpflicht. Na ja, antwortet Tauber sinngemäß, man könne schließlich vor der Wahl nicht vorhersehen, was einem nach der Wahl so alles in die Quere komme ... 

Der Kritik am Wahl-O-Mat, man könne komplexe Sachverhalte nicht auf ein einfaches Ja oder Nein herunterbrechen, entgegnet der Politikwissenschaftler Stefan Marschall, der das Projekt wissenschaftlich begleitet: Für viele sei dies „der Einstieg in die Auseinandersetzung mit Politik – der Anfang, nicht das Ende“.