© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Kein politischer Club
Evangelische Kirche: In einer Denkschrift warnen Theologen davor, das Gespräch mit Andersdenkenden zu verweigern
Gernot Facius

Das ist noch nicht die große Wende, aber immerhin ein erstes ernstzunehmendes Signal, daß die Verengung des kirchlichen Meinungsspektrums auch in Gremien des deutschen Protestantismus  zunehmend als problematisch empfunden wird: Auf 32 Seiten setzt sich ein jüngst vorgestelltes  „Impulspapier“ der EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung (21 Mitglieder) ungewöhnlich kritisch mit einseitigen politischen Tendenzen auseinander. Demokratie wird in dem Text als „Lebensform der Vielfalt“ definiert, in der Konflikte der Normalfall seien – ein eindeutiges Plädoyer für eine Streitkultur, die auch den Disput mit „Populisten“ nicht scheut. 

Die Autoren zeigen sich zwar bemüht, nicht zu offen die Repräsentanten des bisherigen kirchlichen Mainstreams, an ihrer Spitze der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, auf die Anklagebank zu setzen, aber ihrer Wortmeldung läßt sich entnehmen, daß das Unbehagen über manche  Äußerungen   „über konservative Kräfte sowie den Kreis liberaler Theologen hinausreicht und auch im EKD-Rat geteilt wird“, wie die FAZ konstatierte. 

Recht der Staatsbürger, das Gemeinwesen zu gestalten

Ursprünglich sollten im Auftrag des Rates vor allem Gedanken zum Umgang  mit „Rechtspopulisten“ formuliert werden, die Kammer hat jedoch den Bogen weiter gespannt und in dem Papier mit dem Titel „Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung“ zehn grundlegende Fragen des Miteinanders in der Demokratie vorgelegt. Sie wich damit von der inhaltlichen Engführung früherer Stellungnahmen ab. 

So ergibt sich ein deutlicher Kontrast zur Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie“ von 1985, mit der die Demokratie vorrangig als Verfahren zur Konsensfindung  in politischen Fragen thematisiert worden war. Die deutsche Gesellschaft sei nicht nur individueller geworden, sondern auch fragmentierter und stärker von Konflikten geprägt,  heißt es in dem aktuellen Papier. Nicht bewahrheitet habe sich dabei die Erwartung des Philosophen Jürgen Habermas, daß Konflikte durch eine „Fundamentalliberalisierung“ entschärft  und in ein Miteinander verschiedener Kulturen und Weltanschauungen münden könnten. „Die Demokratie wird mit bleibenden Konflikten rechnen müssen. Sie steht vor der Herausforderung, erheblich vielfältigeren Lebensformen gerecht zu werden und gleichzeitig den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick zu behalten.“ 

Es sei kein realistisches Ziel, jeglichen Konflikt in Konsens zu überführen. Pointiert äußerte sich der Kammervorsitzende Reiner Anselm. Die Kirche müsse bereit sein, sich mit anderen Meinungen in ihren Reihen auseinanderzusetzen, so etwa bei der Diskussion über die sogenannte „Ehe für alle“ oder die Abtreibung. Der Münchner Theologieprofessor bekräftigte den nicht von allen Kirchenvertretern anerkannten Grundsatz, daß Christen in politischen Angelegenheiten unterschiedlicher Meinung sein können. Anselm setzte sich auch dafür ein, mit der AfD einen Dialog zu führen. Er gab auch zu, daß er Probleme mit manchen politischen Verlautbarungen seiner Kirche habe. 

Hinter diesen Einlassungen vermutet Anselm immer noch Überzeugungen, die eher zu einer christlichen Aristokratie denn zu einer Demokratie paßten. Eine deutliche Kritik am Anspruch,  eine „moralische Letztinstanz“ im Staat zu sein. Die Kammer verlangt von den Kirchenleitungen eine selbstkritische Reflexion darüber, ob nicht manche in politischen Debatten  vertretene Überzeugung als eine Stigmatisierung anderer Positionen verstanden werden könne. So deutlich hat sich schon lange kein Vertreter des deutschen Protestantismus zu Wort gemeldet.

In der Vergangenheit ist es mehrmals vorgekommen, daß prominente Repräsentanten der EKD gegenüber Positionen, die sie als „populistisch“ bewerteten, mit einer Gesprächsverweigerungs-Attitüde auftraten. Darin sehen die Verfasser des „Impulses“ eine kurzsichtige Strategie, die das Unbehagen jener Bürger verstärke, die sich von den etablierten Kräften nicht mehr angemessen vertreten fühlten. Sie entdecken sogar im „Populismus“ etwas Positives: Er zwinge die Etablierten zur Schärfung ihrer Positionen, und so träten die unterschiedlichen Profile der Parteien wieder deutlicher zutage. 

Die Kammer nimmt auch in ihren Stellungnahmen zur „Flüchtlingskrise“  eine Haltung ein, mit der sie sich von vielen kirchlichen Verlautbarungen der vergangenen Monate abgrenzt. Dies gilt zum Beispiel für die Forderung, neben den universellen Rechten der Geflüchteten und Asylsuchenden auch das Recht der Staatsbürger im Blick zu behalten, das Gemeinwesen „zu bestimmen und zu gestalten“. Denn Freiheit und Sicherheit ließen sich „nur im Rahmen umgrenzter Räume“ garantieren – eine vorsichtig  formulierte Kritik an den Vorgängen der vergangenen zwei Jahre. 

Vom Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD in Göttingen, Professor Hans Michael Heinig, kam noch eine andere Mahnung: Christsein heiße, andere Meinungen in Demut zu ertragen. In idea-spektrum schrieb Heinig: „Die große Herausforderung, aber auch Chance der Kirche besteht darin, sich nicht in isolierten Echokammern zu separieren – eine Herausforderung, der sich politische Aktivisten des Links-protestantismus ebenso zu stellen haben wie die Anhänger eines kulturprotestantischen Weihnachtschristentums oder die Vertreter des evangelikalen Milieus.“ Und schließlich: Der Zweck kirchlicher Gemeinschaft sei es nicht, seine Meinung zu verbreiten, sondern in Gemeinschaft den Glauben zu leben. „Die Kirche ist kein politischer Club. Die individuelle Aneignung des Glaubens ist ein höchstpersönlicher Prozeß.“ Auch das hat man in solcher Klarheit lange nicht gehört, auch nicht im Jahr des Reformationsjubiläums. Dabei hieß es schon auf der EKD-Synode 1988, der „ureigenste Auftrag“ der Kirche sei es, die Frage zu beantworten: „Wie wird man Christ, und wie bleibt man Christ?“ 

Diese Antwort steht noch aus. Gebet und Glaubensbekenntnis, tadelt das Magazin Cicero die EKD, würden durch Umweltschutz und Flüchtlingshilfe verdrängt. Zitiert wird der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder: Die EKD sei „eindeutig dem linken Spektrum zuzuordnen“ und habe „keine Hemmungen, mit linksaußen zu kooperieren“.