© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Vollgas auf der „German Autobahn“
Für ausländische PS-Fanatiker gilt Deutschland als Spielwiese / Premiumhersteller nutzen dies und bieten erfolgreich Touren an
Verena Rosenkranz

Es ist das viertlängste Autobahnnetz der gesamten Welt, knappe 13.000 Straßenkilometer verbinden die deutschen Ortschaften miteinander, und es das einzige Verkehrsnetze weltweit, das auf langen Abschnitten keiner Geschwindigkeitsbegrenzung unterliegt. Während es der Renault-Twingo-Fahrer eher gelassen sieht, ist unter den Besitzern von hochmotorisierten Fahrzeugen im In- und Ausland eine richtige Fangemeinde unserer Schnellstraßen entstanden. „The German Autobahn“, unter der sie weltweit bekannt sind, läßt PS-Fanatiker aus aller Herren Länder ins Schwärmen geraten. Obwohl das Tempolimit auf den Autobahnen immer wieder ein politisches Diskussionsfeld bietet, sind bislang alle Versuche eines flächendeckenden Tempolimits gescheitert. 

Besonders Chinesen und Amerikaner sind begeistert

Dies nutzen nicht nur Autobegeisterte aus den Nachbarländern, um das Gaspedal ihres Porsches, Jaguars oder Ferraris einmal wieder richtig durchzudrücken. Nicht selten liest man Berichte von fern angereisten Fahrern, die ihre eigenen Fahrzeuge mit auf eine Europareise nehmen und oft genug dem Irrglauben erliegen, die gesamte deutsche Autobahn habe keine Geschwindigkeitsbeschränkung – Blitzerfoto und Geldstrafe inklusive.

Die deutschen Autobauer haben sich die internationale Begeisterung für die Autobahn zu eigen gemacht und schnüren eigene Gästepakete für ihre treuesten Kunden und Käufer. Obwohl sie die hochmotorisierten Wagen wie BMW, Audi oder Mercedes in ihren Herkunftsländern niemals so auskosten können wie in Deutschland, lassen sie Sonderanfertigungen von deutschen Herstellern in die Vereinigten Staaten, China oder Saudi-Arabien importieren. Allerdings nicht, ohne zuvor einmal die gesamte Stärke ihrer fahrbaren Untersätze kennengelernt zu haben. Die Bayerischen Motorenwerke bieten ebenso wie ihre Konkurrenten des VW-Konzerns und Mercedes individuell gestaltete Ausflüge quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. 

Das Abenteuer der gut angenommenen „European Delivery Tour“ beginnt zumindest beim erstgenannten Unternehmen schon am Flughafen, wo ein konzerneigener Luxuswagen als Shuttle dient und die gut zahlenden Gäste zu einem Essen und einer Werksführung abholt. Das zuvor persönlich gestaltete Fahrzeug kann dann dort direkt abgeholt und getestet werden. 

Während in den Alpen phänomenale Landschaften warten, sind der insgeheime Tourenhöhepunkt aber ausgesuchte Autobahnabschnitte, auf denen die Fahrzeuge bis auf 250 Kilometer pro Stunde beschleunigt werden können. Ab dieser Geschwindigkeit wird allerdings „abgeriegelt“. Geschuldet ist dieser Umstand einer untereinander vereinbarten „freiwilligen Selbstverpflichtung“ der „drei Großen“ deutschen Premiumhersteller. Nur mit einem zuvor absolvierten Fahrsicherheitstraining wird die Geschwindigkeitssperre erhöht oder ganz ausgeschaltet. Die Tachonadel einiger Modelle läßt sich damit dann auf bis zu 305 km/h in die Höhe jagen. Soviel Zeit bringen die motorbegeisterten Käufer aus dem Ausland allerdings selten mit. Nach der rasanten Tour wird der Wagen wieder im Konzern abgegeben und ins Käuferland verschifft. 

Neben zunehmend Chinesen sind vor allem US-Amerikaner vom Konzept unserer Autobahn fasziniert. Obwohl die Bevölkerung dort an nicht gerade sparsame und PS-starke Luxuskarossen gewöhnt ist, ist das Geschwindigkeitslimit im Vergleich zu Deutschland viel tiefer angesetzt. Dies ist jedoch mehr dem Verkehrsaufkommen als dem Umweltschutzgedanken geschuldet. 

Um den vom Zaun gebrochenen „Dieselskandal“ und die herbe Kritik an deutschen Autobauern machen sich die ausländischen Hobbyraser wesentlich weniger Gedanken als die heimische Politik. Anziehungspunkt bei den ausländischen Rasertouristen sind allerdings ohnehin aufgrund ihrer Beschleunigung nahezu ausschließlich Benzinmotoren.