© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Mit Kampftruppen gegen die Rassentrennung
Der Zwischenfall an der Highschool von Little Rock in den USA war ein signifikantes Datum in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung
Elliot Neaman

Anfang September 1957 lösten neun im Zuge eines Bundesgerichtsbeschlusses an der ehemals nur für Weiße zugelassenen Central High School von Little Rock in Arkansas angemeldete schwarze Schüler das aus, von dem viele Beobachter der damaligen Zeit befürchteten, daß es sich zu einem zweiten Bürgerkrieg zwischen dem noch immer stark gespalteten amerikanischen Süden und Norden entwickeln könnte. 

Daß dies jedoch nicht zu derart drastischen Folgen führte, hatte viel mit dem entschlossenen Handeln des weithin anerkannten ehemaligen Fünfsterne-Generals Dwight Eisenhower zu tun, der als Präsident die 101. US-Luftlandedivision beauftragte, die Anordnung durchzusetzen, nachdem der damalige Gouverneur von Arkansas, Orval Faubus, die Nationalgarde des Bundesstaates aufmarschieren ließ, um Befürwortern der Rassentrennung dabei zu helfen, den Schülern den Zugang zur Schule zu blockieren.

Am 20. September bemächtigte Eisenhower sich der Nationalgarde, um sie der direkten Kontrolle Faubus’ zu entziehen, und die Polizei von Arkansas eskortierte die neun Schüler zur Schule, wo sie jedoch auf etwa tausend wütende Demonstranten trafen, was die Polizei dazu veranlaßte, die Schüler erst einmal fortzuschaffen. Dieses Vorgehen nun veranlaßte wiederum Eisenhower dazu, die Elitetruppe aus Fort Campbell in Kentucky einzuschalten, und er wies sie an, die Führung über die Nationalgarde von Arkansas zu übernehmen und den Gerichtsbeschluß durchzusetzen. Am 25. September 1957 hatten die neun schwarzen Jugendlichen unter dem Schutz der höchsten Macht der Bundesregierung ihren ersten Schultag. 

Ein Jahr lang wurden die schwarzen Schüler körperlichen und seelischen Mißhandlungen unterworfen. Melba Patillo wurde getreten, geschlagen, und schließlich schüttete man ihr Säure ins Gesicht. Gloria Ray wurde eine Treppe hinuntergestoßen. Alle neun Schüler aus Little Rock waren von der Teilnahme an außerschulischen Aktivitäten ausgeschlossen. Weiße Schüler verbrannten ein afroamerikanisches Bildnis in einem leerstehenden Gebäude gegenüber der Schule. Minnijean Brown wurde im Februar 1958 aus der Central High School ausgeschlossen, weil sie sich wegen der Angriffe gerächt hatte. Zwei Gruppen, die die Rassentrennung befürworteten, formierten sich, um sich einer weiteren schulischen Integration zu widersetzen – das Capital Citizens Council und die Mother’s League der Central High School. 

Die langfristige Ursache dieses Herbstes des Jahres 1957 kann bis zu den Bewegungen zur Abschaffung der Sklaverei des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt werden. Doch die unmittelbare Ursache war ein Grundsatzurteil von 1954 des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten. Das Urteil Brown gegen Board of Education von Topeka befand Rassentrennung in öffentlichen Schulen für verfassungswidrig. Diesem Urteil folgte ein Jahr später eine zweite Entscheidung, die von den Schulen verlangte, die Integration „so schnell wie möglich“ voranzutreiben. 

Die Nationale Organisation für die Förderung farbiger Menschen (NAACP) hatte sich seit Jahren auf diesen Augenblick vorbereitet. Daisy Gaston Bates, Präsidentin der NAACP von Arkansas und gemeinsam mit ihrem Ehemann L. C. Bates Mitherausgeber der Arkansas State Press, einer äußerst einflußreichen afroamerikanischen Zeitung, hatte die für die Highschool ausgewählten Schüler zuvor auf Herz und Nieren geprüft und war darauf gefaßt, daß strittige und vermutlich gewalttätige Auseinandersetzungen mit weißen Befürwortern der Rassentrennung auftreten würden. 

Im Verlauf ihres ersten Schuljahres leiteten Rechtsanwälte von Rassentrennungsorganisationen Dutzende von Klagen ein. Faubus drängte weiterhin auf Ausschluß der Schüler vom Unterricht, und 1958 ging er sogar so weit, alle Schulen in Little Rock für ein ganzes „verlorenes Jahr“ zu schließen. Mit Ausnahme von Ernest Green absolvierten die anderen acht von Little Rock ihren Highschoolabschluß durch Fernunterricht oder an anderen Highschools im ganzen Land. 

Faubus war 1954 tatsächlich als relativ progressiver Gouverneur gewählt worden, doch Angriffe vom rechten Flügel der Demokratischen Partei – der Süden wurde zu dieser Zeit ausschließlich von den Demokraten geführt – trieben ihn in der Frage der Beziehungen zwischen den Rassen weiter nach rechts. 1954 war er von seinen Gegnern sogar zum „Kommunisten“ abgestempelt worden, weil er das Commonwealth College besucht hatte, eine Schule in der kleinen Stadt Mena an der Westgrenze von Arkansas, die von akademischen Linksaktivsten gegründet wurde, von denen sich später herausstellte, daß sie Verbindungen zur Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten hatten. 

Daß Faubus kommunistischer Tendenzen beschuldigt wurde, ist ein wichtiger Baustein zum Verständnis der Unbeständigkeit der Ereignisse Ende der fünfziger Jahre in Arkansas. Natürlich kann die Feindseligkeit gegenüber den „Neun von Little Rock“ der De-facto-Apartheid im amerikanischen Süden zugeschrieben werden, die dort seit der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Bürgerkrieg vorhanden war. Doch ein viel näherliegender Grund war die tiefe Angst unter weißen Südstaatlern während des Kalten Krieges in bezug auf einen schnellen gesellschaftlichen Wandel. Im Laufe der sechziger und siebziger Jahre wurde die Integration in den Schulen im gesamten Süden eingeführt, doch das tiefsitzende Unbehagen blieb. 

Auch heute sind US-Schulen faktisch ethnisch getrennt

In den vergangenen Jahrzehnten tauchten neue Formen der Rassentrennung erneut auf, da die Zunahme von „Charterschulen“ (öffentliche, oftmals von privaten Unternehmen geleitete Schulen) sowie die Ausbreitung verschiedener Arten von Privatschulen den Eltern mehr Entscheidungsmöglichkeiten zur Bildung ihres Nachwuchses gaben. Da das Klassengefälle bei den Amerikanern angewachsen ist und Weiße aus den Innenstädten in die Vororte flüchten, ist die mit dem Status, dem Vermögensstand sowie der jeweiligen Arbeitsmöglichkeit verbundene geographische Spaltung Amerikas exponentiell gestiegen. 

In den Vereinigten Staaten gibt es 15.000 Schulbezirke, etwa 50 Millionen Schüler zwischen Kindergarten und „Grade 12“, der Jahrgangsstufe zwölf im amerikanischen Schulsystem, und volle 92 Prozent von ihnen verbleiben in Schulen, die rassisch und sozioökonomisch homogen sind. 

Sechzig Jahre nach der Gerichtsentscheidung im Fall Brown gegen Board of Education schreitet das Land in dieser Entwicklung zurück statt voran. Es genügt der Hinweis, daß man in der Trump-Ära mit der Rückkehr der Angst der Weißen und mit Betsy DeVos als Bildungsministerin der Vereinigten Staaten – einer Frau, die sich stark für die Privatisierung der Schulbildung engagiert – von der derzeitigen Administration keine ernsthaften Versuche zur Verwirklichung der symbolischen Ziele der Neun von Arkansas erwarten kann, die darin bestanden, die Rassenschranken in den Vereinigten Staaten niederzureißen.