© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Faulenzen lohnt sich
Sollertragsbesteuerung: Vermögensteuer, Grundsteuer und Umsatzsteuer heben Kostensenkungspotentiale
Dirk Meyer

Faulheit kann durchaus als positive Eigenschaft menschlichen Handelns gesehen werden, gilt sie doch als Motor allen Fortschritts. Ohne sie wären die Erleichterungen bei der häuslichen Arbeit, die Übernahme schwerer und gefahrvoller körperlicher Arbeit durch Maschinen – ganz allgemein Ressourceneinsparungen und Kostensenkungen – kaum vorstellbar.

Faulheit zu Lasten Dritter, etwa Sozialleistungsbezug durch leistungsfähige, aber leistungsunwillige Bürger, stellt jedoch ein Problem dar: für die Betroffenen, deren Selbstwertgefühl durch Passivität langfristig Schaden nimmt, für die Steuerzahler, deren produktive Beiträge zum Volkseinkommen in Höhe ihrer Abgabenlast enteignungsgleich eingezogen werden, und für die Politik. Denn schließlich handelt es sich um ein Ausnutzen von gesetzlich eröffneten Spielräumen ähnlich der individuellen Steueroptimierung durch die Wahrnehmung von Gestaltungsfreiheiten. In einem weitgehend anonymisierten Sozial- und Umverteilungssystem, in dem die moralischen Werte des Gemeinsinns zu Motiven des Eigennutzes mutieren, verdienen die von einem solchen System ausgehenden Anreize deshalb besondere Beachtung. Dies gilt ebenso für das Steuersystem.

Verschwendungen entgegenwirken

Ein Einkommens- und Körperschaftssteuersystem, das auf einer Besteuerung der tatsächlich erzielten Einkommen beruht, belohnt ebenfalls Faulenzertum und Leistungszurückhaltung. Konsumnahe oder betriebliche Aufwendungen wie Firmenwagen der Oberklasse, unterlassene Anstrengungen zur Erschließung von Kostensenkungen bis hin zur Verschwendung schmälern den Gewinn und werden in Höhe des Ertragssteuersatzes quasi subventioniert. Aufgrund der Steuerprogression werden Beschäftigte beim Wechsel in die Teilzeit mit einem gestiegenen Nettolohnsatz belohnt, umgekehrt Überstunden oder Nebenjobs progessiv mit Steuerlasten belegt.

Prinzipielle Änderungen versprechen weder die Wahlprogramme der Regierungsparteien noch der Opposition. Selbst die Grünen haben ihren Frieden mit dem „Dienstwagenprivileg“ gemacht und wollen dessen Besteuerung „künftig an den CO2-Ausstoß koppeln“ – sprich: statt mit der neuen S-Klasse für 85.000 Euro soll die Steuerlast nun offenbar mit dem Tesla Modell X P100D für 135.000 Euro netto gedrückt werden. Dabei könnte alternativ zum tatsächlich erzielten Einkommen die Normal-Leistungsfähigkeit als Anknüpfungspunkt einer Besteuerung dienen. Grundlage wäre das Vermögen, das als Basis für Können und Fähigkeit gelten kann. Steuersystematisch hätte eine Umschichtung von den Einkommen- und Ertragsteuern hin zur Vermögen-, Erbschaft-, Gewerbekapital- und Grundsteuer zu erfolgen.

Der Zusammenhang zwischen beiden Steuertypen ist offensichtlich: Bei einem Vermögen von 1.000 Euro ergibt eine einprozentige Vermögensteuer eine Belastung von zehn Euro. Beträgt die Kapitalverzinsung fünf Prozent, dann wäre das Einkommen von 50 Euro alternativ mit einer 20prozentigen Einkommenssteuer zu belegen, um ein gleich hohes Steueraufkommen zu erzielen.

Im Gegensatz zur Einkommensteuer entspricht eine periodische Vermögenbesteuerung jedoch einer Sollertragsteuer, die losgelöst vom tatsächlichen Einkommen erhoben wird. Als Grundlage des Leistungspotentials wäre das Nettovermögen heranzuziehen, also Finanzanlagen, betriebliches Vermögen, selbstgenutzte oder vermietete Immobilien, langlebige Konsumgüter sowie das Arbeitsvermögen im Sinne der abgezinsten zukünftigen Einkommen. Zur steuerlichen Bewertung des Vermögens sollte der Marktwert herangezogen werden, da er die alternativen rentierlichen Verwendungen widerspiegelt.

Mit am schwierigsten stellt sich die Berücksichtigung des „Humankapitals“ dar. Ausgehend von einem Achtstundentag würden Überstunden steuerfrei bleiben, ein erhöhter Freizeitkonsum hingegen durch die Hinzurechnung eines fiktiven Einkommens besteuert werden. Die Frühverrentung wäre unattraktiver. Unter der Annahme, daß der Arbeitseinsatz mit zunehmendem Vermögen abnimmt, hätte eine Vermögensteuer zugleich den Charakter einer Freizeitsteuer. Ähnlich wirkt die Mehrwertsteuer als Konsum- und Vermögensverbrauchssteuer. Ob sich das individuell kalkulierte Einkommen aus dem Arbeitsvermögen eher an der verwertbaren Ausbildung oder an dem tatsächlich erzielten Lohnsatz des Arbeitnehmers orientieren sollte, ist eine Frage der Ausgestaltung. Offen bleibt die Frage einer steuerlichen Berücksichtigung des Arbeitsvermögens bei Erwerbslosigkeit, ist doch eine Unterscheidung in freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit nicht immer eindeutig zu treffen. Schwierigkeiten bereitet ebenso die Erfassung einer Normarbeitszeit bei Freiberuflern. Der steuerliche Splittingvorteil wäre weitgehend neutralisiert.

Eine so konzipierte Sollertragsbesteuerung wirkt Verschwendungen entgegen und gibt Anreize zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit. Die Ressourcenpotentiale werden unproduktiven Verwendungen entzogen und wandern „zum besten Wirken“. Der drohende Substanzverlust einer Vermögensteuer drängt zur Steuereinholung, Rentabilitätspotentiale werden gehoben. Zugleich werden hohe, risikobehaftete Renditen bei einem einheitlichen Sollsteuersatz effektiv geringer besteuert als sichere Anlagen, die Risikoübernahme also steuerlich attraktiv gemacht.

Volkswirtschaftlich gesehen beschleunigt dies den Strukturwandel und gibt laufend neue Wachstumsimpulse. Unter stabilitätspolitischem Gesichtspunkt wird das konjunkturneutrale, von der aktuellen wirtschaftlichen Lage weitgehend losgelöste Aufkommen einer Sollertragssteuer bemängelt. Die bei Konjunkturschwäche möglichen Liquiditätsprobleme der Besteuerten könnten aber durch die in der Abgabenordnung vorgesehene Steuerstundung beseitigt werden.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.