© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Es hat sich ausgehetzt
Linksunten.Indymedia: Innenminister Thomas de Maizière verbietet größtes linksextremes Internetportal
Felix Krautkrämer

Ein weißer Bildschirm, darauf fünf Wörter: „Wir sind zur Zeit offline …“ So präsentiert sich momentan das Internetportal Linksunten.Indymedia. Bis vor kurzem fanden sich hier noch zahllose Aufrufe zur Gewalt – gegen Polizisten, gegen Behörden, gegen die Bundeswehr, gegen AfDler, gegen „Nazis“, gegen „Bonzen“ und gegen das gesamte kapitalistische „scheiß System“. Wann immer es in Deutschland zu einem Brandanschlag kam, ob auf Bahnanlagen oder Bundeswehrfahrzeuge, konnte man sicher sein, daß das Bekennerschreiben nur wenig später auf Linksunten.Indymedia auftauchte. „Indymedia ist eine Waffe im sozialen Kampf, die mit jeder Benutzung schärfer wird. Mit Linksunten.Indymedia wollen wir uns diese Waffe der Subversion aneignen“, verkündeten die Macher bereits bei der Gründung des Portals 2008. 

„Inhalte absolut inakzeptabel“

Doch seit vergangenem Freitag hat die Waffe eine Ladehemmung. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat der Seite den Saft abgedreht – als deutliches Zeichen „gegen linksextremistische Hetze im Internet“. Die dortigen Inhalte seien „absolut inakzeptabel und mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar“, begründete der CDU-Politiker den Schritt. Der Weiterbetrieb der Seite sei ab sofort eine Straftat. Der Innenminister wählte hierfür einen juristischen Kniff, indem er nicht gegen die Betreiber wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermitteln ließ, sondern Linksunten.Indeymedia auf Grundlage des Vereinsgesetzes verbot. 

Mit dem Vorgehen gegen die Seite hatten sich die Behörden lange Zeit gelassen, sehr lange, denn Gründe für den Schritt gab es reichlich, zum Beispiel die Veröffentlichung von Privatadressen, auch von Autoren dieser Zeitung. Steckbriefe von AfD-Politikern, die Fahndungsaufrufen gleichkamen, blieben nicht ohne Wirkung. So mußten schon mehrere AfD-Funktionäre erleben, wie ihr Fahrzeug nachts vor ihrem privaten Wohnort in Flammen aufging. Ähnlich erging es einem Hamburger Polizeidirektor, dessen Familienauto im September 2016 durch linksextreme Brandstifter zerstört wurde, um die „Nachtruhe des Menschenjägers“ zu stören, wie es nach der Tat auf Indymedia hieß.

Die Verantwortlichen der Internet­seite fühlten sich offenbar lange Zeit sehr sicher, Konsequenzen fürchteten sie nicht. 2010 beispielsweise riefen Linksextremisten auf Linksunten.Indymedia zum verstärkten Kampf gegen die Polizei auf. Dazu veröffentlichten sie einen „Polizeibericht Berlin“. Die anonymen Verfasser informierten darin auf über hundert Seiten detailliert über Ausrüstung, Fahrzeuge, Standorte und Einsatztaktiken der verschiedenen Berliner Polizeieinheiten. Außerdem wiesen sie auf die Schwachstellen der unter anderem von Bereitschaftspolizisten getragenen Körperschutzausstattung hin und zeigten, an welchen Stellen die Polizisten verwundbar sind.

Im gleichen Jahr wurde über Linksunten.Indymedia die linksextreme Broschüre prisma („prima radikales info sammelsurium militanter aktionen“) verbreitet. Neben Anleitungen zu Sabotageakten auf Bahnstrecken finden sich in dem 80seitigen Heft exakte Beschreibungen zum Bau verschiedener Brand- und Sprengsätze, zum Beispiel für das Anzünden von „Nobelkarossen“. Die Broschüre blieb nicht ohne Wirkung. Nach ihrem Erscheinen kam es zu mehreren Anschlägen auf das Schienennetz der Deutschen Bahn und die Berliner S-Bahn, zuletzt nur knapp eine Woche vor dem Verbot von Linksunten.Indymedia auf die Bahnstrecken von Berlin nach Hamburg und Hannover.

Als in der Hauptstadt im vergangenen Jahr die Gedenktafel für den im Dienst getöteten Hauptkommissar Uwe Lieschied geschändet wurde, bekannten sich die Täter ebenfalls auf Linksunten.Indymedia zu dem Brandanschlag und feierten den Mörder des Polizisten, Mehmet E. Der Kurde hatte Lieschied 2006 bei einer Kontrolle mit mehreren Schüssen niedergestreckt. Der 42 Jahre alte Beamte hinterließ eine Frau und zwei Söhne.

Der Haß auf die Polizei gehörte zu den festen Bestandteilen des linken Hetz-Portals. Noch im Juni riefen Linksextremisten dort dazu auf, Polizisten überall und jederzeit in Deutschland anzugreifen. „Den Bullenapparat, die Knautschzone zum Herzen der kapitalistischen Weltordnung, gilt es zu überwinden“, hieß es auf der Seite. Man solle nicht zögern, „über die Bullen herzufallen“. 

Mordaufrufe blieben konsequenzlos 

In einem weiteren Aufruf hatten Linksextremisten einige Monate zuvor dafür geworben, Polizisten gezielt mit Feuerwerkskörpern und anderer Pyrotechnik „unter Dauerfeuer“ zu nehmen. Und sogar vor Mordaufrufen an Soldaten schreckten einige Autoren des Internetportals nicht zurück. Eine Anstiftung zur Zerstörung von Gefallenendenkmälern endete kurz vor dem Volkstrauertag im vergangenen Jahr mit der Parole: „Erschießt die Soldaten!“ 

All das blieb ungeahndet. Forderungen, beispielsweise der AfD, Linksunten.Indymedia zu verbieten, verhallten ohne Konsequenzen. Erst mit den schweren Ausschreitungen während des G20-Gipfels in Hamburg, die auf Linksunten.Indymedia ebenfalls gefeiert wurden, schien für de Maizière die Zeit reif zu sein, zum Schlag gegen das Internetportal und seine Betreiber auszuholen, denn auch in den Medien war die Stimmung gekippt. Rufe nach einem konsequenten Vorgehen gegen die linksextreme Szene wurden lauter. Ein Verbot ihres führenden Mediums schien da genau die richtige Antwort. Schon zuvor hatte de Maizière bei der Vorstellung des Bundesverfassungsschutzberichts Anfang Juli entsprechende Pläne angedeutet. So betonte er, wie bedeutsam sich das Verbot der Internetseite Altermedia im Kampf gegen die rechtsextreme Szene erwiesen habe. Auf die Frage dieser Zeitung, ob denn ein ähnliches Vorgehen gegen Indymedia zu erwarten sei, antwortete er ausweichend: „Ich rede vorher nie über Verbote.“

Dennoch schienen die Betreiber nicht mit einem Verbot gerechnet zu haben. Nach der Pressekonferenz des Innenministers am Freitag kündigten die Verantwortlichen von Linksunten.Indymedia noch rasch an, bald wieder zurück zu sein – dann ging die Seite vom Netz. Um so lauter war der Protest von Politikern der Grünen und der Linkspartei. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, nannte das Verbot einen „empörenden Akt der Zensur“ und eine „Drohung an die ganze linke Szene“. Ihr Fraktionskollege Andrej Hunko twitterte: „Hoffen wir mal, daß die Server von Linksunten im sicheren Ausland stehen und vor dem Zugriff der CDU-CSU-Despoten sicher sind.“

Auch die Grüne Jugend rief zur Solidarität mit Linksunten.Indymedia auf. „Aus wahlkampftaktischem Kalkül eine der wichtigsten Informationsquellen gegen rechte Gewalt zu kriminalisieren, ist schlicht verantwortungslos und spielt den rechten Antidemokraten in die Hände“, kritisierte die Bundessprecherin des Grünen-Nachwuchses, Jamila Schäfer, das Verbot. „Wir verurteilen diese Maßnahme daher aufs schärfste und erklären uns solidarisch mit indymedia.linksunten.org.“ In Berlin ging die linksextreme Szene gegen die Sperrung von Indymedia auf die Straße, unterstützt durch die Grünen-Politikerin Canan Bayram. In Freiburg, dem Geburtsort des Linksunten-Netzwerks, machten linksextreme Gruppen ebenfalls mobil. Hier hatten die Behörden bei einer Razzia gegen die Betreiber sogar mehrere Waffen entdeckt: Messer, Zwillen, Schlagstöcke und einen Elektroschocker. Beschlagnahmt wurden diese im linksextremen Szene-Treff KTS. 

Öffentliche Fördergelder flossen trotzdem Dort hatten sich die Verantwortlichen von Linksunten.Indymedia laut baden-württembergischem Innenministerium jahrelang regelmäßig getroffen – unterstützt durch den eigentlich so verhaßten Staat. 

Denn die Stadt Freiburg finanziert den Großteil der Betriebskosten der KTS jährlich mit 90.000 Euro aus öffentlichen Geldern. Daß sich nach dem Waffenfund und der direkten Verbindung zu Linksunten.Indymedia etwas an der Förderpolitik der Stadt ändert, ist hingegen unwahrscheinlich. Seit Jahren warnen Verfassungsschutz und Polizei vor der KTS als zentraler Anlaufstelle für die linksextreme Szene weit über die Grenzen Süddeutschlands hinaus. Dennoch flossen die städtischen Gelder ungehindert weiter. Auf ihrer Internetseite kündigte die KTS nach der Razzia und dem Verbot von Linksunten.Indymedia deshalb auch selbstsicher an, den Kampf weiterzuführen. „Wenn der Minister denkt, daß er uns mundtot machen kann, dann hat er sich geschnitten.“ Dem „Angriff auf linken Journalismus“ werde man „solidarische Aktionen“ entgegensetzen.

Für den 9. September ist daher nun in Freiburg eine „internationale Demonstration für Pressefreiheit und gegen die Repression“ geplant. „Autonome Politik“, so die Drohung der Linksextremisten, lasse sich nicht verbieten. 





Im Schutze der Anonymität

Als Teil des weltweiten Indymedia-Netzwerks hat sich Linksunten.Indymedia laut Verfassungsschutz zur „wichtigsten linksextremistischen Internetplattform im deutschsprachigen Raum“ entwickelt. Auf dem 2008 gegründeten Internetportal sei „in vielen veröffentlichten Beiträgen Gewalt gegen Personen oder gegen Sachen als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele dargestellt“ worden.  Linksextremisten hätten hier verschlüsselt und anonym zu Straftaten aufrufen oder sich zu Anschlägen bekennen können, ohne eine Strafverfolgung fürchten zu müssen. Gleichzeitig habe die Seite insbesondere gewaltorientierten Linksextremisten seit längerer Zeit eine öffentliche Plattform von erheblicher Reichweite geboten, „um ihre extremistischen Ziele aggressiv zu propagieren“. Das Verbot richtet sich laut Bundesinnenminister Thomas de Maizière allerdings nicht gegen den Ableger de.indymedia.org. Linksextremisten können hier weiter ungehindert zu Straftaten aufrufen.  Auch Spenden zur Unterstützung der Betreiber von Linksunten.Indymedia werden dort gesammelt.