© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Rackern für Berlin
Reportage: Unterwegs mit Wahlkämpfern der AfD
Martina Meckelein

Die Täter kommen mit Fahrzeugen in der Dämmerung. „Die bauen die Plakate ab, selbst die Strippen nehmen sie mit“, sagt Dietmar Wagner, Direktkandidat der AfD für den Wahlkreis 22 Hamburg-Wandsbek. „Wir haben eben Gegner, mächtige Gegner.“

Der zweite Bundestagswahlkampf für die AfD ist die Chance, am 24. September in das Reichstagsgebäude in Berlin einzuziehen – da heißt es: Ranklotzen! Plakate aufstellen. Wahlstände organisieren. Flyer verteilen. Zugpferde wie Gauland und Weidel einladen. Sich Bürgern und ihren Fragen stellen und sich nicht von Linksradikalen einschüchtern lassen. Die rufen im Netz dazu auf, Wahlkampfveranstaltungen zu stören. Die JUNGE FREIHEIT begleitete für einige Tage die Männer und Frauen der Alternative für Deutschland bei ihren Wahlkampfaktionen quer durch Deutschland.

Freitag, 18. August, 10.17 Uhr, Potsdam, Bergstraße. Ein Infostand der Partei auf der Straße wird beschützt – von über zwanzig Polizisten. Hier ist die Al Farouq Moschee. Auf der Internetseite des Vereins der Muslime in Potsdam, 1998 gegründet und gemeinnützig, steht, er lehre und praktiziere „den klassisch-sunnitischen Islam“. Praktisch sieht das so aus, daß immer mehr Moslems aufgrund des starken Zuzugs draußen auf dem Fußweg beten. Bis Anfang August. „Dann hat die Stadt für 1.000 Euro im Monat dem Verein eine neue Moschee angeboten“, sagt Steffen Kotré, Diplom-Ingenieur und Referent der AfD im Brandenburger Landtag, er steht auf Listenplatz vier. Ein TV-Team schlendert heran, fragt, aus welchen Gründen er hier sei? „Wir wollen mit Bürgern ins Gespräch kommen, die Stadt hat die Anwohner zu der Moschee nicht befragt.“ Kotrés Botschaft? „Religiöse Vereine sollen sich selbst um ihre Angelegenheiten kümmern.“ Klappe. „Was wir noch brauchen, ist ne Frau mit Schleier“, sagt der Reporter zum Kameramann. „Ja, das wäre ein schönes Bild.“ Einige Meter weiter haben sich Autonome, Muslime, Linke, Lesben und Schwule versammelt. 

„Ich weiß nicht, was ich wähle, aber ich habe Angst“ 

Strikt getrennt durch ein Polizeiaufgebot. „Das sind Menschenfeinde“, sagt Lutz Boede von der Partei „Die Andere“, und meint damit die AfD. Der Kommunalpolitiker aus Potsdam setzt sich zum Beispiel gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche ein. Ein junger Mann versucht, zum Infostand zu gelangen – die Polizei drängt ihn ab. „Ich wollte mich nur gegen die AfD positionieren“, sagt er, um dann lautstark in eine Trillerpfeife zu pusten. Anwohnerin Eva-Maria Dähne schüttelt den Kopf, sagt zu Kotré: „Ich weiß noch nicht, was ich wähle, aber ich habe Angst. Die vielen Männer hier sind mir unheimlich. Ich kriege das doch mit, das werden immer mehr.“ Mittags bauen die Parteimitglieder ab, gehen zu Fuß zurück in den Landtag, mit Polizeibegleitung. Wie wichtig dieser Schutz ist, wird sich Tage später erweisen. Am 27. August griffen, so der AfD-Landtagsabgeordnete Thomas Jung, „linksradikale Hooligans um 16 Uhr den mit zehn Parteimitgliedern besetzten Wahlkampfbus in Potsdam-Babelsberg an. Sie schlugen ein Fenster ein“.

In Stuttgart treffen sich abends am 23. August die beiden Bundestagskandidaten Lothar Maier (Direktkandidat für den Wahlkreis Stuttgart II) und Dirk Spaniel (Direktkandidat für den Wahlkreis Stuttgart I) in einem Plakatlager in Untertürkheim. Sie stehen auf Platz zwei und zehn der AfD-Landesliste – auch als aussichtsreiche Kandidaten packen sie mit an. „Wir haben nur beschränkte Mittel im Wahlkampf“, sagt Maier und fädelt einen weißen Kabelbinder durch eines der Löcher des Hohlkammerplakates. 4.500 sind für Stuttgart bestellt. Kosten: zwischen zwei und vier Euro. Hängen sie, verschwinden viele innerhalb von 48 Stunden. 

„Unser Wahlkampf kommt in den Medien kaum vor“ 

Die cleveren Schwaben haben jetzt eine interne Plakat-App entwickelt. Sie wissen genau, wo welches Plakat wann hängt – und bis wann. Plakate sind wichtig. „Denn unser Wahlkampf kommt in den Medien kaum vor, dabei sind wir drittstärkste Fraktion im Landtag, noch vor der SPD“, sagt Maier, der in Hamburg Chef der Verbraucherzentrale war. Aus dem Stand errang die AfD vergangenes Jahr bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 15,1 Prozent, die CDU verlor zwölf Punkte, die SPD 10,4. Im 16. Landtag sitzen insgesamt 143 Abgeordnete, 21 von der AfD. Dirk Spaniel ist Maschinenbau-Ingenieur, arbeitet bei einem großen Automobilhersteller, wo, will er nicht verraten, „in der Firma ist mein Engagement natürlich bekannt. Da gibt es Kollegen, die gehen lächelnd an mir vorbei und heben den Daumen hoch. Klar, daß mich so etwas freut und bestätigt.“ Spaniels Steckenpferd ist gerade jetzt während der Dieseldiskussion - die Automobilindustrie mit 203.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 84,1 Milliarden Euro.

Dieseldiskussion – in Hamburg ein nachgeordnetes Thema. Spitzenkandidat ist Bernd Baumann. Der Volkswirt sieht die Elbvertiefung als wirtschaftliches Nummer-1-Thema, obwohl der geborene Bochumer da selbst bei einigen Parteikollegen auf Widerspruch trifft. „Der Hafen ist die Lebensader der Stadt“, sagt er. Dann kommt bei Baumann der Euro. „Draghi sieht nicht nur aus wie ein Mafioso“, sagt er den rund 40 Zuhörern in einer Gaststätte in Farmsen, deren Namen nicht in der Zeitung stehen soll. „Wir kriegen keine Räume“, erklärt Baumann. Die Wirte fürchten Übergriffe durch Linksradikale. Die Bezirksämter geben seit kurzem auch keine Auskunft mehr über geplante Wahlkampfstände – um sie so zu schützen. Schon deshalb sieht er in der Plakatwerbung einen Schwerpunkt des Wahlkampfs in Hamburg. Sogenannte Wesselmänner, das sind Großplakate, kosten laut Baumann 1.000 Euro. „Andere Parteien zahlen nur 500 Euro.“ Ein Anruf bei der Firma Wesselmann in Wattenscheid ergibt: „Wir haben nichts an die AfD vermietet, weil die Anfrage viel zu spät kam“, so ein Mitarbeiter der Firma. „Wir waren schon ausverkauft.“ Da die Hamburger AfD jedoch plietsch ist, chauffiert sie ihre – teuren Großplakate auf Pritschenwagen durch die Stadt. Einigen Zuhörern sind die Themen zu eng gefaßt. 

Nicole Jordan, sie erwartet im Februar ein Baby, ist Landesschatzmeisterin und Direktkandidatin für den Wahlkreis 8, sieht gerade im Stadtteil Wilhelmsburg soziale Brennpunkte. „Obdachlosigkeit und Kinderarmut, da muß ich mich einmischen. Schlimm ist doch, daß die Bunderegierung die Frühsexualisierung unserer Kinder fördert.“ Über das Abschneiden der Hamburger AfD macht sich Baumann keine Illusionen: „Wir werden in Hamburg eher unterdurchschnittlich sein.“ Wenn die Partei allerdings 6,5 Prozent der Stimmen bekommt, könnte Baumann in den Bundestag kommen, rechnen Parteistrategen vor.

Die Sonne brennt auf Ludwigshafen. Die AfD hat in der Stadt keine Geschäftsstelle, aber eine Seite im World Wide Web und eine Handynummer. „Wir bekommen hier keine Räume“, sagt ein Parteimitglied am Telefon. Um so erstaunlicher, was die AfD in der Stadt alles auf die Beine stellt. Zum Beispiel einen Promi-Auftritt der AfD im Julius-Hetterich-Saal im Ortsteil Maudach am 25. August: Spitzenkandidatin  Alice Weidel unterstützt Marcus Künster, Wahlkreiskandidat für Ludwigshafen/Frankenthal. Polizei an den Zufahrtstraßen, ein Absperring von sechzig Metern rund um den Saal. Autonome aus Mannheim haben ihr Kommen angekündigt. Es kommen keine Autonome, sondern in die Jahre gekommene Marxisten-Leninisten: Sie pfeifen ein wenig und skandieren: „Nazis raus!“ Ein Passant, auf einer Bank sitzend, kommentiert den 40-Personen-Aufzug: „Das sind doch Deppen!“

„Die werden nicht zerstört, die werden geklaut“

19.45 Uhr beginnt Alice Weidel ihre Rede, Bravo-Rufe der 200 Zuhörer im dunklen Saal. „Ich bin Wutbürgerin“, ruft Weidel ihnen entgegen. „Jetzt haben wir die Möglichkeit, Politik nachhaltig zu verändern. Ohne AfD hat Deutschland keine Zukunft!“ Stehende Ovationen. Als Weidel den Saal verläßt, um zur nächsten Veranstaltung zu fahren, sind die Demonstranten vor dem Bürgersaal schon wieder abgezogen.

Mut beweisen die Berliner Wahlkämpfer der Partei. Trotzdem: Unter zehn Leute wird ein Wahlkampfstand in der Prenzlauer Allee nicht aufgestellt – zu gefährlich. Deshalb fiel der morgendliche Standtermin aus, viele Helfer sind noch im Urlaub. Im Wahlkreis 76 in Pankow hängen deshalb abends Glas- und Gebäudereiniger Olaf Busch, Maurermeister Klaus Peterson und Michael Adam, Rechtsanwalt, an Laternenpfählen in der Hermann-Hesse-Straße Wahlplakate auf. 2.500 Stück fürs Stadtgebiet plus 10.000 Flyer sind schon verteilt – 30.000 kommen noch. Zwischen fünfzehn und zwanzig Stunden arbeiten die Ehrenamtler im Wahlkampf. Und Peterson klärt endlich das Geheimnis um die verschwundenen Plakate. „Die werden nicht zerstört, die werden gestohlen“, sagt Peterson. „Nach der Wahl hängen die Linken sie wieder auf und melden sie beim Ordnungsamt. Und wir müssen dann wegen dieser Ordnungswidrigkeit zahlen – 50 Euro pro Plakat.“ Doch die Leute aus Pankow  fotografieren jetzt ihre Plakate. Beim Aufhängen und dann die Leerstellen – als Beweis fürs Ordnungsamt.