© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Alles kann, nichts muß
50 Jahre antiautoritäre Bewegung: Der Flurschaden für Männer, Frauen, Familien und Kinder ist groß
Matthias Matussek

Als ich vor zwanzig Jahren nach einer entsprechenden Titelgeschichte im Spiegel mit dem Buch „Die vaterlose Gesellschaft“ die weiblichen Gemüter provozierte, geschah dies als Reaktion auf eine für mich unerhörte und unglaubliche Aktion: Ich hatte vor dem Amtsgericht Kreuzberg Väter im Hungerstreik erlebt und mit ihnen über ihre Leidenswege gesprochen. Väter, die nach einer Scheidung vom Kontakt mit ihren Kindern ausgeschlossen waren, durch Mütter, die in größter Selbstverständlichkeit ihre Kinder, deren Sorgerecht sie hielten, als Wirtschaftsgeisel gegen ihre Ex-Männer nutzten.

Es wurde ihnen leichtgemacht. Eine ganze feministisch durchsetzte Scheidungsindustrie aus Gutachterinnen, Anwältinnen und Amtsrichterinnen stand ihnen zur Verfügung, um unbotmäßige Zahlväter – doch auch die folgsamen – von ihren Kindern zu entfremden.

Männer waren von vornherein Täter und schlecht beleumundet. Schließlich bezog die Studentenrevolte ihre Selbstgerechtigkeit aus dem Protest gegen eine Vätergeneration, die sich im Krieg schuldig gemacht hatte. Das ging in die DNS einer ganzen Gesellschaft über. Ganz offensichtlich hatte die antiautoritäre Bewegung, die am ganz neuen Menschen basteln wollte und 1967 mit all den Kinderläden begonnen hatte, gewonnen.

Die traditionelle Familie war als Hort der Unterdrückung entlarvt und durch unzählige andere Lebensmodelle ersetzt worden. Die nackte „Kommune 1“ mit dem kleinen verstörten Jungen zwischen lauter Männer- und Frauenbeinen diente als illustriertensattes Promoposter einer neuen lustbetonten Lebensform.

Was für ein Mummenschanz! Allerdings kein harmloser – 20 Jahre später hatte er sich letztlich in Ämtern und Behörden versteinert. Familie war out, Scheidung war in, Väter wurden entsorgt.

Meine Kampfschrift begann mit dem Ausruf „Es reicht!“ Ich schrieb: „Während für jede nistende Schlupfdohle der Verkehr umgeleitet wird und Bürgerinitiativen aktiv werden, wo immer zwischen Papua und Nigeria Unrecht auf der Welt geschieht, gelten Väter, sofern sie nicht gerade als Indianer den Regenwald retten, ganz offensichtlich als abgehaktes Kulturgut.“ Das alles unter den Bedingungen der verwöhnten, sorgenfreien und hedonistischen neunziger Jahre.

Ich schrieb: „Aufwendig forschen Frauen, offenbar in Ermangelung anderer wichtigerer Dinge, unter Anleitung der Frauenmagazine in ihren Seelen nach ‘Frustrationen’ in einer Beziehung. Hat er Zeit genug für mich? Verehrt er mich genug?“

Ich hatte damals mächtig Dampf gemacht, zog durch die Lande als „Missionar der neuen Männerbewegung“ (Stuttgarter Zeitung) und agitierte wie zu meinen besten maoistischen Zeiten.

Die von mir angeklagten Schieflagen sind mittlerweile weitgehend korrigiert, eine Scheidung ist nicht mehr das Versprechen auf lebenslange Alimentierung durch den abgelegten Mann. Auch das gemeinsame Sorgerecht wird häufiger zugesprochen als früher.

Doch der Flurschaden war beachtlich. Nach wie vor wird jede zweite Großstadtehe geschieden, der Bund fürs Leben wird mittlerweile selbst vom Vatikan nicht mehr als Notwendigkeit gesehen. Ein neuer Anschlag auf die Ehe und damit die traditionelle Familie aus Vater, Mutter, Kind ist soeben vom Bundesrat ratifiziert worden: die „Ehe für alle“. Damit ist der Begriff „Ehe“ umcodiert worden für alle möglichen Lebensformen, ungeachtet der Tatsache, daß die traditionelle Ehe unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes steht, weil nur sie den Nachwuchs garantiert.

Doch was hat die antiautoritäre Revolte mit den Kindern angestellt? Berühmt und sprichwörtlich geworden ist die Frage eines Kindes aus einem antiautoritären Kinderladen an einen Erzieher: „Müssen wir heute wieder spielen, was wir wollen?“

Die ideologisch begründete Regellosigkeit, die formlose Freiheit lief selbstverständlich auf mangelnde Fürsorge hinaus, auf pädagogische Bequemlichkeit, nichts anderes also als Vernachlässigung. Natürlich brauchen Kinder Freiräume zur Verwirklichung ihrer ungebundenen Spielphantasie, gleichzeitig aber auch Anleitung und Anforderung und das Erlernen von Disziplin und Frustrationstoleranz; Eigenschaften, die, siehe oben, schon ihre Elterngeneration nur bedingt aufweisen konnte oder wollte.

Natürlich wurde dann – im historischen Pendelschlag – in die Gegenrichtung übertrieben. Mit dem Bestsellerautor Bernhard Bueb, Lehrer des Eliteinternats Salem am Bodensee, kehrte der Pauker zurück, der Drillmeister. Oder die überfürsorgenden „Helikoptereltern“, die ihre Kinder behandelten wie wertvolles Zuchtgut, das möglichst vor der Geburt mit Mozart beschallt und gleich danach mit Chinesisch-Kursen beschult wurde. Obwohl wir mehrere hundert Millionen pro Jahr für Erziehungsratgeber ausgeben und obwohl der Staat mit Geldern nur so um sich wirft, sind Eltern heutzutage ratlos wie lange nicht.

Während meine Eltern nach dem Krieg Kind auf Kind bekamen, wird das Unternehmen „Kind“ heutzutage geplant wie ein Feldzug. Es muß genau zwischen zwei Karriereschritte passen. Und wenn es dann da ist, beugen sich die doppelverdienenden Eltern über die Krippe und fragen sich ratlos: Warum hat es keine Haare? Warum spricht es nicht? Kommt es in friedlicher Absicht?

Mittlerweile sind wir Deutschen dabei, uns demographisch aus der Geschichte zu verabschieden. Jedes zweite Kind unter sechs Jahren hat bereits einen Migrantenhintergrund, meist einen muslimischen. Interessante Knautschzonen tun sich da auf: Die strengen patriarchalischen Sittengesetze und die Vielkinder-Familie der Muslime treffen auf eine permissive, kinderarme und erschöpfte Erlebnisgesellschaft. Nicht schwer zu erraten, wer da den kürzeren zieht.