© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Der Flaneur
Kultureller Austausch
Bernd Rademacher

Der Versanddienst hat endlich mein heißersehntes Jagdhorn geliefert. Nur habe ich eines dabei nicht bedacht: In der Wohnung ist das Üben viel, viel zu laut. Also fahre ich mit dem Auto eine Viertelstunde, bis ich im Wald bin.

Das Waldstück zwischen zwei Bahndämmen ist der ideale Proberaum. Ich blähe die Backen auf und puste in das Messingrohr. Die ersten Versuche sind schon sehr – nun ja, laut, um mal die Qualität unbeachtet zu lassen. Klingt noch eher nach asthmatischem Kavallerietrompeter. Gut, daß mich keiner hört.

Wollen die mich überfallen? Nein, sie schneiden nur große Büschel Birkenzweige ab.

Doch kaum gedacht, höre ich das Knirschen und Quietschen von Fahrradreifen hinter mir im Geäst. Drei junge drahtige Typen mit nackten Oberkörpern und kurzen Stoppelhaaren fahren auf klapprigen Rädern den Waldweg entlang. Im Vorbeiradeln fragt mich einer mit deutlich russischem Akzent: „Wozu ist die Tröte?“ „Das ist ein Jagdhorn“, sage ich, „aber ich übe noch.“ „Ist für Jagd? Cool“, sagt er anerkennend.

Ein paar Meter vor mir bleiben sie stehen, steigen ab und zücken Taschenmesser. Wollen die mich überfallen? Nein, sie schneiden damit große Büschel junger Birkenzweige ab. Jetzt bin ich der Neugierige: „Was macht ihr mit den Birkenzweigen?“ frage ich ahnungslos. „Wir basteln uns Weihnachtsbaum!“, lacht der erste. Haha, wie witzig.

„Kennst du Banja?“ fragt der hintere. „Ist russische Sauna. Du weichst Birkenzweige ein in Wasser und haust damit auf Rücken. Ist gut für Durchblutung.“ Ah, verstehe. Das ist eine andere Liga als das verweichlichte „Wellness“-Gedöns. Wahrscheinlich machen sie den Aufguß kompromißlos mit Wodka.

Das nenne ich mal interkulturelle Verständigung: Ich zeige ihnen meine Kultur, sie erklären mir ihre. Und anschließend gehen wir beide unserer Wege, ohne den anderen weiter damit zu behelligen. Und Humor haben sie auch noch. Ich mag diese Russen.