© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Pankraz,
Giotto di Bondone und der weiße Neid

Ausgerechnet auf „Bento“, seiner Onlineseite für die unter Achtzehnjährigen, ließ der Spiegel kürzlich einen Herrn namens Mitja Harrer ellenlang über die Vorzüge des Neidischseins plaudern. Zwar sei der Neid an sich eine recht abstoßende, allzu oft auch verhängnisvolle Gefühlsregung, aber schon die bekannte Psychologin Erna Hüls habe ja sorgfältig  unterschieden zwischen „schwarzem Neid“ und „weißem Neid“, und letzterer sei unbedingt positiv zu werten und spiele in unserem modernen Leben eine immer größere Rolle.

Weißer Neid, so Hüls/Harrer, treibe einen an, sich vom Erfolg des anderen motivieren zu lassen und selber besser zu werden. Der schwarze Neid hingegen erzeuge eine „Negativ-Spirale“. Der von ihm Befallene vergleiche sich ständig mit dem Beneideten und will „besser sein“ als er. Pankraz kann über solche Silbenstechereien nur den Kopf schütteln. Weshalb denn völlig verschiedene Gefühle mit dem gleichen Namen versehen? So etwas verschafft doch nur Mißverständnisse und innere Irritationen. 

Entweder man ist  ein guter Kerl oder ein braves Mädchen, und dann bewundert man den Erfolgreichen ehrlichen Herzens, macht ihm Komplimente, lernt von ihm, erklärt sich zu seinem dankbaren Schüler. Oder man „beneidet“ ihn eben in des Wortes ursprünglicher Bedeutung („Neider“ bedeutete in den altgermanischen Sprachen soviel wie „dummes Pack“), mißgönnt ihm seinen Erfolg, legt ihm hinterrücks alle möglichen Hindernisse und üblen Nachreden in den Weg. Das Wort „Neid“ war von Anfang an tiefschwarz und wird es bleiben; man spricht ja auch nicht von einer weißen Schwarzkrähe.


Natürlich gibt es – wie überall im Leben – fast unendlich viele Gefühlsmodulationen, für deren Benennung man das Wort einsetzt, ohne daß damit sein genauer Sinn berührt würde. Offiziere im Krieg sind grimmig wegen militärischer Leistungen des Feindes, die einem selber nicht eingefallen sind – neidisch. Freunde denken beim Glück von Freunden: „Das hätte ich selber auch gern“ – neidisch. Freundinnen sind von Natur aus hier und da unbezweifelbar schöner als man selbst – neidisch. An der grundsätzlichen Schwärze des Begriffs ändert das nichts. Das haben die Menschen von Beginn an gewußt.

Es gibt aus dem europäischen Mittelalter (etwa um 1300 n. Chr.) ein berühmtes allegorisches Gemälde von Giotto di Bondone („Der Neid“, heute in den Uffizien in Florenz), das die moralisch-anthropologischen Dimensionen der Sache geradezu gespenstisch zusammenfaßt. Der Neid ist dort ein eminent häßliches Menschenwesen, halb Mann, halb Frau, in feinem Festkleid, doch mit einem nur spärlich gefüllten Geldbeutel in der einen Hand. Mit der anderen hält er eine Tür offen, durch die er hinaus in den Nebenraum spät. Um seine riesigen Flatterohren schwebt ihm eine Art abgesunkener Anti-Heiligenschein. Die ganze Gestalt ist ein Graus und sollte es für den Betrachter wohl auch sein.

In vielen intellektuellen Kreisen bemühte man sich nämlich auch damals schon, dem schwarzen einen weißen Neid entgegenzustellen, sprach von „destruktivem“ und von „konstruktivem“ Neid, und als Beispiel für diesen wurde gern ein gutgelaunter Großvater ins Spiel gebracht, der seine Enkeltochter für ihre Jugend, Gesundheit und Unbeschwertheit aus tiefstem Herzen beneidet. Er mißgönnt ihr solche Zustände nicht, erfreut sich vielmehr an ihnen – würde ihr aber aus Rücksicht auf eventuelle Verstörungen nie offen ins Gesicht sagen, daß er sie „beneidet“. Wie gesagt, eine Lichtgestalt des weißen Neides.

Giotto di Bondone, der große Maler der europäischen Frührenaissance, war anderer Meinung, und er stand damit keineswegs allein. Das Volk mißtraute seit jeher jeglicher Glorifzierung des Neids, in welche Richtung auch immer. Dafür sprechen nicht zuletzt die vielen grotesken „Neidköpfe“, die im Mittelalter an vielen Gebäuden angebracht wurden, nicht zuletzt an den großen Kathedralen, mit denen sich das neue Bürgertum in den heranblühenden Städten schmückte. Sie sollten die Häuser ausdrücklich vor den Angriffen und Zumutungen neidischer Zeitgenossen jeglicher Art schützen.


Auch die Christenkirche selbst wandte sich von Anfang an mit Entschiedenheit gegen das Neidischsein. Viele Bibelstellen, im Alten wie im Neuen Testament, geben davon Zeugnis. Der Neid galt epochenweise als Todsünde, zu allen Zeiten jedenfalls als eine der Hauptsünden. Man denke nur an Kains Brudermord an Abel, jenes gräßliche Ur-Verbrechen, welches das Schicksal der gesamten Menschheit tief geprägt habe!

Im Grunde stimmen alle Religionen der Erde, was Brudermord aus Neidgründen und seine tragischen Folgen betrifft, überein. Im Hinduismus zum Exempel gilt Neid als das nicht akzeptierte Karma, heißt Schicksal, das den Menschen aufgegeben ist. Danach kann der von uns allen ersehnte spirituell-esoterische Aufstieg allein durch Anerkennen des eigenen Karmas erfolgen, ohne den geringsten neidischen Blick auf das Karma des anderen (der ja bis zum Brudermord reichen kann). Universaler Anti-Neid ist gewissermaßen der einzig mögliche Weg zur Erreichung des göttlichen Nirwana.

Um aber endlich auf Harrers Spiegel-Aufsatz über die Wohltätigkeit eines weißen Neids zurückzukommen: Aus einem solchen weißen Neid wird wohl nichts werden, und das ist auch gut so. Die von Mitja Harrer als Leser ins Auge gefaßten „Bento“-Leser sind ja keine gutgelaunten Großväter, die ihre Enkel völlig egoismusfrei beneiden und es ihnen aus Rücksicht auf ihre empfindlichen Seelen nicht einmal sagen wollen, sondern es sind (sollen jedenfalls sein) ehrgeizige, höchst selbstbewußte und aktionsfreudige junge Büro- und Twitterkollegen.

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Es gibt keinen weißen Neid. Es gibt nur schwarz und weiß, zwischen denen man sich entscheiden muß. Entweder Mitfreude am Erfolghaben von Freunden beziehungsweise Respekt vor den Leistungen Fremder – oder schwarzer Neid inklusive Negativ-Spiralen à la Mitja Harrer und Erika Hüls.