© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Mehr Einfluß für den Islam
Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland: Berlin und auch Brüssel hofieren den als tolerant geltenden Dachverband – doch die Fakten sprechen eine andere Sprache
Hans-Jürgen Georgi

Als vor zwanzig Monaten die Pegida-Bewegung ihrem Höhepunkt entgegenstrebte, stellte Bundesinnenminister Thomas de Maizière zur Lage in Deutschland fest: „Wir haben keine Gefahr der Islamisierung.“ Auch nach über einer Million Muslimen mehr im Land, bei anwachsendem islamischem Terror und täglichen Auseinandersetzungen mit und um den Islam, hält der CDU-Politiker daran fest.

Am Rande der Konferenz „Frieden der Religionen“, die vom SPD-geführten Außenministerium organisiert worden war und an der 100 Religionsvertreter aus 58 Ländern teilnahmen, traf de Maizière Ende Mai das Oberhaupt der bosnischen Muslime, den Reisu-l-ulema Husein ef. Kavazovic. Das Treffen wäre nicht nur für die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD), sondern auch für die Muslime in Europa „ganz wesentlich“, erklärte der Medienberater des Reis, Muhamed Jusic, dem katarischen Sender Al Jazeera. Dabei heißt es in der anschließenden, auf deutsch verfaßten Presseerklärung noch relativ unverfänglich, daß man „künftig enger zusammenarbeiten“ wolle.

Ziel: Gleichstellung mit den christlichen Kirchen 

Nicht mehr auf deutsch, sondern auf bosnisch wurden der Reis und die einheimische Presse konkreter: „Daß die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes“ erreichen wolle, heißt es auf der Internetseite der IGBD.

Es ist seit Jahren der Wunschtraum aller islamischen Verbände in Deutschland, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (K.ö.R) zu erreichen. Bisher ist das nur der nicht ganz unumstrittenen Ahmadiyya-Gemeinde gelungen. Sie ist seit den 1920er Jahren in Deutschland vertreten, ihr Glaube wird aber von den Hauptströmungen des Islam nicht akzeptiert. Damit wären sie den christlichen Kirchen rechtlich gleichgestellt. Neue Glaubensgemeinschaften bräuchten dafür – laut Gesetz – nur noch dreißig Jahre.

Mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sind etliche Privilegien verbunden, wie das Erheben von Steuern, steuerliche Begünstigungen und der Vollstreckungsschutz. Neben steuerlicher Autonomie gewährt die Institution der Körperschaft des öffentlichen Rechts Einfluß auf die öffentliche Meinung und läßt Ansprüche beim Bau von religiösen Einrichtungen in Wohngebieten zu.

Große Fragen wirft das garantierte (Binnen-)Recht bei der Organisation der Körperschaft auf. Werden diese innerrechtlichen Regelungen auf deutschem, europäischem oder auf islamischem Recht, der Scharia, basieren?

Am Ende stellt sich die Frage, warum Religionsgemeinschaften überhaupt den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben sollen, denn als Religionsgemeinschaft sind sie schon verfassungsrechtlich gesichert. Der Körperschaftsstatus gewährt „lediglich einzelne darüber hinausgehende Rechte“. Darauf verweist das Bundesinnenministerium in seinem Artikel „Körperschaftsstatus“.

Den einzigen Vorteil, der sich für Deutschland daraus ergäbe, beschreibt die Internetseite „islamiq.de“ so: „Es wäre ein deutliches Zeichen gegen Fremden- und Islamfeindlichkeit.“ Also ein überaus attraktives Geschäft – für die Muslime.

Daß ausgerechnet die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken zu Vorreitern der weiteren Islamisierung Deutschlands auserwählt wurde, liegt im guten Ruf des bosnischen Islam begründet. Er gilt als gemäßigt, liberal, tolerant und wird schon länger als „Perspektive für Europa“ gehandelt.

Zudem, und das ist für den Status der K.ö.R. sehr wichtig, sind die Bosniaken im Vergleich zu anderen Muslimen, sowohl in Deutschland als auch zu Hause, gut organisiert. Dies leitet sich aus der Zugehörigkeit Bosnien-Herzegowinas zur österreich-ungarischen Monarchie seit 1878 ab. Doch unterliegen auch die bosnischen Muslime, wie alle in der Welt, einer fortschreitenden Islamisierung, die zum Teil radikale Formen annimmt.

Seit Jahren kämpft die Islamische Gemeinschaft, innerhalb und außerhalb, mit einer der extremen Formen des Islam, dem Wahhabismus. Besonders der Vorgänger des jetzigen Reis, Mustafa Ceric, redete dieses Problem stets klein. Im vergangenen Jahr versuchten der jetzige Reis Kavazovic und seine Islamische Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina (IZBiH) dieses Problem anzugehen. Sie wollten die sogenannten „Paradžemati“ (Paragemeinden), die vorrangig von Anhängern des Wahhabismus oder Salafismus gebildet werden, wieder unter ihren Einfluß und ihre Jurisdiktion  bekommen. Allerdings mit mäßigem Erfolg, denn von den 38 offiziell genannten Gemeinden, konnten bis Mitte April 2016 nur 14 in die offizielle Organisation der Muslime in Bosnien-Hezegowina einbezogen werden. In dem Balkanland leben mindestens 3.000 potentielle Dschihadisten, und aus einigen der illegalen Moscheegemeinden sind IS-Kämpfer hervorgegangen. Auch die unlängst in Güstrow ausgehobenen islamistischen Gefährder bosnischer Herkunft werfen Fragen auf.

Heftige Angriffe auf säkulares Staatsgefüge 

Allerdings machten sich auch unter dem jetzigen Reis Kavazovic, der ebenso als liberal gilt, fundamentalistische Bestrebungen bemerkbar. Im Streit um ein Kopftuchverbot in der bosnischen Justiz erließ die IZBiH im Februar vergangenen Jahres eine Fatwa, die das Tragen eines Hidschabs als „religiöse Pflicht“ verfügte. Dies führte zu einem heftigen öffentlichen Streit, selbst unter muslimischen Theologen. Doch die Justiz blieb bisher standhaft und wehrte diesen Angriff auf den säkularen Staat Bosnien-Herzegowina ab.

Ebenso wie bei der Hidschab-Pflicht berief man sich auch bei einem Sprachenstreit im Sommer 2016 auf die Grundlagen des islamischen Rechts, auf den Koran und die Sunna. In solch einem Streit, den im allgemeinen Sprachwissenschaftler und Politiker führen, warf die Islamische Gemeinschaft religiöse Komponenten in die Waagschale und verfügte, daß die Nutzung, Erforschung und Erhaltung der Sprache nicht nur eine Pflicht, sondern eine sogar „religiöse Pflicht“ sei.

In dieser Deklaration, die auch an die deutschen Gemeinden gerichtet war, heißt es, daß diese „auch im religiösen Sinne dafür verantwortlich“ seien, „ihre Werte und Merkmale zu pflegen, weiterzuentwickeln und auf ihre Kinder zu übertragen.“

Erst Anfang des Jahres verfügte Safvet Halilovic, Professor an der Islamisch-pädagogischen Fakultät in Zenica, neue Eheregeln. Sich auf islamisches Recht und islamische Gegenwartsgelehrte, wie Yusuf al-Qaradawi berufend, erklärt er, daß eine Ehe zwischen einer Muslima und einem Nichtmuslim nicht nur nicht erlaubt sei, „im Islam sei das sogar strengsten verboten“. Zudem seien Ehen inzwischen für muslimische Männer ausgeschlossen, wenn die Partnerin eine „Polytheistin“, eine „Atheistin und Materialistin“ sei.

Vor diesem Hintergrund versucht Muhamed Bašcelic, ein Funktionär der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland, in seiner Dissertation nicht nur nachzuweisen, daß der Islam schon seit dem Mittelalter Einfluß auf das europäische Recht hatte. Er beschreibt Tendenzen, wie Religion und islamisches Recht in das europäische Rechtssystem schleichend Eingang finden, zum Beispiel durch die nationalen Gesetzgebungen. 

Am Ende des Buches sieht er es als erweisen an, daß die Muslime und der Islam nicht nur einen symbolischen, sondern auch einen faktischen Einfluß auf die Rechtskultur und den gesellschaftlichen Diskurs hatten und haben, und „dies wird wohl auch weiterhin der Fall sein“, prognostiziert er.

Damit dürfte auch das Ziel der sich häufenden Besuche des Reis Kavazovic in Brüssel beschrieben sein. Bei zwei Reisen im November 2016 und unlängst Anfang Mai trafen er und seine Delegationen nicht nur mit Funktionären der Europäischen Union für Religionsfragen zusammen, sondern auch mit ranghohen politischen Amtsinhabern wie der italienischen EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini.

Über die Besuche wird wenig Inhaltliches bekannt, außer daß sich die Islamische Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina als Vorbild für einen „europäischen Islam“ anbiete. Sie könne zur Bewältigung der Probleme beitragen, die durch die Migration Hunderttausender Muslime entstanden sind. Daß solche „Hilfe“ auch Zugeständnisse erwartet, ist anzunehmen.

Gute Beziehungen zum  türkischen Verband Ditib   

Auf dieser Ebene dürften sich auch die Gespräche des Obermuftis in Deutschland bewegt haben. So wie es sich darstellt, verfolgen sowohl die europäischen als auch die deutschen Behörden mit dem bosnischen Islam und seinen Schützlingen in Deutschland eine besondere Absicht. Darauf verweisen die vielen Höflichkeiten, die Berlin dem Reis Kavazovic bei seinem Besuch in Deutschland erwies. So durfte er eine der Eröffnungsreden beim Kongreß „Friedensverantwortung der Religionen“ halten, war Teilnehmer an einer Diskussionsrunde und traf mit dem Balkanberater der Bundeskanzlerin zusammen.

Politischer Höhepunkt war allerdings das Treffen mit de Maizière und das Vorbringen des Wunsches, daß die IGBD den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhält. Innerhalb der IZBiH wird schon darüber diskutiert, daß Deutschland zum Sitz eines Muftis wird, der für die Bosniaken in ganz Europa zuständig wäre.

Die Gewährung der Körperschaft des öffentlichen Rechts ist Ländersache. Im Mittelpunkt steht hier Nordrhein-Westfalen. Denn viele der insgesamt 30.000 in Deutschland organisierten bosnischen Muslime sind in NRW ansässig. Während seines sechstägigen Deutschlandaufenthaltes besuchte der Reisu-l-ulema vier neue Moscheen, drei allein in Nordrhein-Westfalen.

Hervorzuheben bleibt der gute Kontakt zwischen der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland und der Türkisch-Islamischen Union (Ditib). Bereits im Juni 2015 unterzeichneten beide feierlich eine Kooperationsvereinbarung, die die bereits sehr gute Zusammenarbeit weiter intensivieren und ausbauen soll. 

Durch Synergien, gegenseitiger Unterstützung und gemeinsames Handeln wollen die Verbände ihre Dienste für die Muslime aber auch ihren Beitrag für die Gesellschaft stärken. DITIB-Vorsitzender Nevzat Y. As?koglu betonte in seiner Rede die gemeinsame Verantwortung für die „Zukunft Deutschlands“: „Wir haben einander, um uns gegenseitig zu helfen, um uns beizustehen und zu stützen. Diese Geschwisterlichkeit ist nicht nur mir und allen Anwesenden sehr wichtig, sie ist auch religiöses Gebot.“





Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland e.V. 

Die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD) ist der Dachverband der muslimischen Bosnier (Bosniaken) und wurde 1994 gegründet. Angaben der Deutschen Islamkonferenz (DIK) zufolge gibt es in Deutschland 65 bosnische Moscheegemeinden und Kulturzentren mit rund 30.000 Mitgliedern, die sich zur IGBD zählen. Die meisten dieser Moscheen haben von der IGBD fest angestellte Imame. Die IGBD versteht sich demnach als Auslandsbezirk der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina und ist mit zwei Delegierten in der „Obersten Versammlung“ (Sabor) der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina vertreten. Die Struktur des Islam in Bosnien findet in Deutschland ihre Fortsetzung und zeigt sich vor Ort laut DIK darin, daß die Gemeinden stärker als andere auf ihre Imame ausgerichtet seien. Arbeitsschwerpunkte in den Moscheen seien unter anderem Religionsunterricht für Kinder und die Jugendarbeit.