© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Der heiße Stuhl
Paul Rosen

Reichstag, 9 Uhr, die Frisur sitzt. Das Lächeln strahlend wie nie. Ein Gong ertönt. Entschlossen schreitet Ursula von der Leyen in den Plenarsaal und eröffnet die Sitzung – als Bundestagspräsidentin. Ein Traum? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, denn das zweithöchste Staatsamt muß nach der Bundestagswahl am 24. September neu besetzt werden, da Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nicht wieder antritt. 

Bis zum 24. Oktober muß sich der neue Bundestag konstituiert und den Präsidenten gewählt haben. Wenn die CDU/CSU wieder stärkste Fraktion wird, wofür alles spricht, steht ihr nach der Parlamentstradition das Präsidentenamt zu. Das Amt hat Lammert hinreichend beschrieben: „Es gibt keine schönere und nur wenige auch nur annähernd vergleichbare anspruchsvolle Aufgaben.“ Verkürzt ausgedrückt: Die eigene Eitelkeit kann hier bestens gepflegt werden. 

Es gibt Gründe, die Verteidigungsministerin aus dem Kabinett zu nehmen. Noch nie war ein Verteidigungsminister in der Truppe so unbeliebt. In militärischen Dingen unbedarft, ist sie im Umgang mit Untergebenen nicht zimperlich. Nach vier Jahren von der Leyen ist die Bundeswehr einsatzmüde, demotiviert, die Ausrüstung ist schrottreif. 

Da käme ein neuer Posten für von der Leyen gerade recht, zumal die Wahl der Niedersächsin in das Präsidentenamt der CDU vor der Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober Auftrieb geben könnte. Aber es gibt Konkurrenten, bedeutende sogar. Genannt werden der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder, der Ambitionen aber abstreitet – genauso wie von der Leyen übrigens.

Innenminister Thomas de Maiziére wird genannt, Finanzminister Wolfgang Schäuble auch. Und wenn die starke nordrhein-westfälische CDU-Landesgruppe nicht mit ausreichend guten Kabinettsposten versorgt werden würde, böten sich Norbert Röttgen, Gesundheitsminister Hermann Gröhe oder die derzeitige Vizepräsidentin Michaela Noll an, deren Migrationshintergrund in der CDU schwer wiegt. 

Die Personaloperationen nach der Wahl entsprechen der Lösung eines gordischen Knotens. Wenn Kauder es werden soll, müßten sich Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer zuvor auf einen neuen Fraktionsvorsitzenden verständigen. Das könnte Peter Altmaier, Kanzleramtschef und Merkel-Vertrauter sein. 

Gegen ihn würde aber Seehofer votieren. Der Bayer will den heutigen Innenminister de Maiziére durch den CSU-Spitzenkandidaten und bayerischen Innenminister Joachim Herrmann ersetzen. Entweder würde de Maiziére Präsident, oder er müßte die Fraktion übernehmen – oder wieder das Verteidigungsministerium, was er mit Sicherheit nicht will. Falls der Knoten unlösbar bleibt, bietet sich auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters an. 

Eine Anforderung der Kanzlerin erfüllen alle Aspiranten: Keiner von ihnen würde es wagen, Merkel öffentlich die Stirn zu bieten, wie dies  Lammert – wenigstens zeitweilig – getan hatte.