© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Ländersache: Niedersachsen
Abgeordnete wider Willen
Christian Vollradt

Die Sommerferien zwischen Harz und Nordsee sind gerade erst vorüber, da geht es in der Schulpolitik schon wieder hoch her. Eltern- und Lehrerverbände gehen gegen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) auf die Barrikaden. Der Grund: Weil an den Grundschulen ein massiver Pädagogenmangel herrscht, werden Gymnasiallehrer dorthin abgeordnet. Dadurch werde sich, so beschweren sich in einem Aufruf die Elternräte der Gymnasien Niedersachsens, dort die Unterrichtsversorgung weiter verschlechtern, an einigen liege sie bereits bei deutlich unter hundert Prozent.

Besonders sauer stößt den Betroffenen auf, daß sie erst sehr kurzfristig über die Abordnungen informiert wurden. So seien manche Gymnasien am letzten Tag der Sommerferien darüber in Kenntnis gesetzt worden, daß sie Lehrer für teils bis zu hundert Stunden abgeben müssen. Andere Schulleiter wiederum erfuhren erst am zweiten Schultag über die abzuordnenden Deputate. Das sei unverständlich, weil alle Leiter von Grund-, Haupt-, Real- oder Oberschulen ihren jeweiligen Bedarf weit vor Beginn der Sommerferien angemeldet hätten.

„In den vergangenen 12 Jahren habe ich einen solchen Schuljahresstart in Niedersachsen noch nicht erlebt“, meinte der Vorsitzende der Direktorenvereinigung, Wolfgang Schimpf. „Diese Maßnahme bedeutet das Eingeständnis schweren Versagens bei der Bedarfsplanung, der zentralen Aufgabe jeder Schuladministration, und damit letztlich den Offenbarungseid für die Politik dieser Ministerin“, so der Direktor des renommierten Max-Planck-Gymnasiums in Göttingen.

Nach Beobachtung des Philologenverbandes Niedersachsen werden zudem viele abgeordnete Gymnasiallehrer gar nicht für den Unterricht eingesetzt, sondern beispielsweise als Zweitlehrkraft oder Aufsicht. Das sei eine „unerträgliche Verschwendung von wertvollen Unterrichtsstunden, die den Gymnasien fehlen“, beklagte der Vorsitzende des Verbandes, Horst Audritz.

Die zuständige Ministerin wiegelt indes ab: Abordnungen seien ein klassisches Instrument, um Engpässe zu bewältigen. Derzeit seien 171 Lehrer von Gymnasien an Grundschulen abgeordnet, das betreffe 48 Schulen. „Da von Chaos zusprechen, ist schlicht und einfach falsch“, so Frauke Heiligenstadt. Der Pflichtunterricht sei „auf jeden Fall gesichert“. Der Philologenverband spricht dagegen von einem „Wolkenkuckucksheim“. In den Kollegien steige die Wut. „Wir kochen“, zitiert die Hannoversche Allgemeine ein Personalratsmitglied. Nicht nur Kurzfristigkeit und Ausmaß sorgen für Unverständnis – schon der Sinn der Aktion wird hinterfragt. Was sollen Grundschulen mit Gymnasiallehrkräften anfangen, fragen sich auch Elternvetreter. Die Grundschulpädagogik sei schließlich eine völlig andere.

Die Opposition aus CDU und FDP kritisierte den Lehrermangel als hausgemachtes rot-grünes Problem. Der schulpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Kai Seefried, warf der Regierung vor, zuwenig Pädagogen neu eingestellt zu haben. Nun fänden „ministeriell organisierte Chaostage an den Schulen statt. FDP-Bildungsexperte Björn Försterling sprach im Landtag von einer „Schande für dieses Land“. Seit zwei Wochen könnten weder an Grundschulen noch an Gymnasien vollständige Stundenpläne gemacht werden. Genug Stoff also für den kommenden Landtagswahlkampf.