© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Das Urteil steht schon fest
Anleihenkäufe: Karlsruhe will die EZB-Geldpolitik vorläufig nicht ändern
Joachim Starbatty

Zum zweiten Mal legt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Prüfung vor. Im ersten Fall ging es um die Ankündigung der EZB, Anleihen notleidender Schuldnerländer, die finanzielle Mittel aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus erhalten, aufzukaufen, um einem Werteverfall entgegenzuwirken. Die EZB bürgt damit für die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerstaaten. Sogleich schrumpften die Zinsspannen zwischen starken und schwachen Anleihen, und die Aktienkurse kletterten auf Rekordhöhen. 

Das BVerfG betrachtete diese Aktion als außerhalb des geldpolitischen Mandats der EZB liegend. Damit hätte die Deutsche Bundesbank an einem solchen Kaufprogramm nicht teilnehmen dürfen. Diese Entscheidung der Verfassungsrichter war seinerzeit als eine Sensation betrachtet worden, doch haben sie sich vor der letzten Konsequenz gescheut und ihre Entscheidung dem EuGH zur Prüfung vorgelegt. Dieser hat freilich den Kurs der EZB im Einklang mit den Europäischen Verträgen gesehen. Das BVerfG hat dieses Urteil um des europäischen Rechtsfriedens willen murrend hingenommen. 

Später hat die EZB nachgelegt und ihr Ankaufprogramm von Staatsanleihen gestartet: Monatlich werden im Rahmen des Eurosystems von den nationalen Zentralbanken Staatsanleihen im Wert von zunächst 80 Milliarden und inzwischen von 60 Milliarden Euro angekauft. Dementsprechend fließt jeden Monat frisch gedrucktes Geld in den ökonomischen Kreislauf. 

Damit drückt die EZB das Zinsniveau auch der kriselnden Eurostaaten in die Richtung historisch niedriger Zinssätze. So erleichtert sie das Schuldenmachen und will zugleich die Wirtschaftstätigkeit beleben. Als Begründung gibt sie vor, die Gefahr einer Deflationsspirale zu bannen. Jeder Kundige weiß, daß diese Erklärung nur vorgeschoben ist. In Wahrheit ging es um den Zusammenhalt der Eurozone. Sie wäre auseinandergebrochen, wenn die pleitebedrohten Schuldnerstaaten Marktzinsen hätten zahlen müssen. Das ist auch jedem Mitglied im Europäischen Parlament bewußt: Die EZB muß einspringen, weil die Regierungen der Eurostaaten ihre Hausarbeiten nicht oder nur unzulänglich gemacht haben. Der Unterschied besteht darin, daß die einen die Eurozone um jeden Preis zusammenhalten wollen („whatever it takes“), während die anderen auf die Einhaltung der Europäischen Verträge pochen.

Daher haben die Europaabgeordneten der Liberal-Konservativen Reformer (LKR) vor zwei Jahren Verfassungsbeschwerde gegen das Ankaufprogramm der EZB eingelegt. Das BVerfG ist der Rechtsauffassung der Kläger gefolgt: Nach Einschätzung des zuständigen zweiten Senats sprechen gewichtige Gründe dafür, daß die dem Anleihenkaufprogramm zugrundeliegenden Beschlüsse gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstoßen. 

Die Erfahrung zeigt, daß eine Inflation unvermeidlich ist, wenn Notenbanken über frisch gedrucktes Geld die Ausgaben des Staates finanzieren. Derzeit fließt das frisch gedruckte Geld auf die Immobilien- und Aktienmärkte und treibt hier die Preise und Kurse in die Höhe. Die Preise für die private Lebenshaltung steigen,  wenn die Gewerkschaften bei künftigen Lohnverhandlungen ihre Zurückhaltung ablegen. 

Die deutschen Grundgesetzhüter haben ihre Einschätzung dem EuGH zur Prüfung vorgelegt, zusammen mit einem Fragenkatalog, der alle wesentlichen Argumente der Verfassungsbeschwerde der fünf Europaabgeordneten gegen den massiven Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB aufgenommen hat.

Damit haben sie eine erste Schlacht gewonnen. Ist dieser Erfolg aber kriegsentscheidend? Wohl kaum, wenn man Realist bleiben will. Das hängt auch mit der juristischen Methode zusammen: Das BVerfG analysiert die Konsequenzen des Kaufprogramms für die Staatsfinanzierung und die künftigen Belastungen der Steuerzahler und konfrontiert diesen Sachverhalt mit den gesetzlichen Vorgaben, prüft also Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit von Tatbestand und rechtlicher Norm. 

Der EuGH prüft dagegen den Sachverhalt im Lichte des erwünschten europäischen Einigungswerks und damit des Bestandes der Eurozone. Sie wäre gefährdet, wenn die Richter der Auffassung in Karlsruhe folgen würden. Also steht für den EuGH das Urteil schon fest; er sucht nur nach spezifischen Gründen für seine Entscheidung. Dann wird sie dem BVerfG übermittelt. Dieser wird sich wiederum erneut genötigt sehen, dem Urteil des EuGH um des europäischen Rechtsfriedens willen zuzustimmen.

Bemerkenswert ist die Haltung von Bundesfinanzminister Schäuble. Zuerst kritisierte er EZB-Chef Draghi, weil dieser wegen der Nullzinspolitik und der daraus resultierenden Enteignung der Sparer Wähler zur AfD treibe und forderte seine Bundestagskollegen auf, den Italiener in einer Anhörung vor dem Bundestag hart anzufassen. Und jetzt ermuntert er die Richter in Luxemburg, die Politik der EZB als vertragskonform einzuschätzen. Da kann man nur sagen: Die deutschen Bürger werden an der Nase herumgeführt. Das Erstaunliche ist, daß sie sich das klaglos gefallen lassen oder gar nicht merken, was mit ihnen geschieht. Wie sonst ist zu erklären, daß Schäuble nach Meinungsumfragen als beliebtester deutscher Politiker gilt?






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom und Mitglied des Europäischen Parlaments. 2015 trat er aus der AfD aus und schloß sich der neugegründeten ALFA, nun LKR, an.