© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/17 / 18. August 2017

Deutsche Identität
Das Eigene wertschätzen
Matthias Bath

Die Antwort auf die Frage nach der deutschen Identität wird von einem Politiker wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit der Feststellung beantwortet: „Wir wissen nicht mehr genau, wer wir sind und wer wir sein wollen.“ Die zur Ausfüllung dieser doppelten Negation gegebenen Antworten sind in der Regel verschwommen oder banal. So spricht de Maizière von Bach, Goethe und davon, daß Deutsche sich zur Begrüßung die Hände zu geben pflegen. Aber diese Antworten sind wohl typisch für einen Staat ohne größere geschichtliche Verwurzelung und die ihn tragende politische Klasse von Berufspolitikern und Funktionären der etablierten Parteien.

Dabei sind die Antworten so einfach: Verbindendes Element alles Deutschen ist die deutsche Sprache. Man muß zu den Menschen, die diese Sprache sprechen, bewußt dazugehören wollen. Wer die Sprache nicht beherrscht, kann nicht dazugehören und gehört schon rein objektiv nicht dazu. Man muß sich also mit der Gemeinschaft der Deutschsprechenden identifizieren und zu ihr gehören wollen, um deutsch zu sein.
Dieser Wunsch nach Identität und Zugehörigkeit beruht zunächst auf emotionalen Wurzeln und dem derart begründeten Streben nach dem Eigenen und sinnstiftender Gemeinsamkeit. Er wird vor allem durch gemeinschaftliche, in die Breite wirkende und letztlich sogar die Allgemeinheit erfassende Erlebnisse und Ereignisse gefördert. Identität entsteht so letztlich durch gemeinschaftsbezogene Identifikation, wie etwa bei Fußballturnieren der deutschen Nationalmannschaft, wo sich viele unabhängig von Alter, Herkunft, Status oder Beruf über die Leistungen der Nationalelf mit der eigenen deutschen Nation identifizieren.
Abgeleitet vom Fußball begründen natürlich alle anderen identitätsstiftenden Gemeinschaftserlebnisse wie das Zeigen der Nationalfarben, sei es als Kriegsbemalung im Gesicht oder als Flagge, oder das Singen der Nationalhymne das Gefühl einer Gemeinschaft der Deutschen.

Nur am Rande angemerkt: Mögen die Nationalspieler, die die Nationalhymne vor Spielbeginn auf dem Feld nicht mitsingen, zwar für Deutschland Tore und Punkte erzielen, sie spielen indes subjektiv nicht für Deutschland, sondern bestenfalls für die Mannschaft oder auch nur für sich selbst und die ausgelobte Siegprämie und gehören damit im Grunde nicht zur Gemeinschaft ihrer Fans.
Identität wird also zunächst einmal und besonders signifikant durch gemeinschaftsstiftende Ereignisse der kollektiven Wahrnehmung begründet, was aber keineswegs auf den Fußball beschränkt ist. So erinnere ich mich an die Leipziger Montagsdemonstration vom 29. Januar 1990: Über den Leipziger Altstadtring wälzte sich ein unübersehbares Meer von schwarzrotgoldenen Fahnen. Die Menschenmenge von geschätzt 100.000 Teilnehmern skandierte: „Deutschland, einig Vaterland!“ Die nicht abgestimmten Rufe gingen schließlich derart ineinander über, daß man nur noch ein langgezogenes „Deutschlaand!“ hörte. Das war Identität pur und ein Ereignis, das man zeitlebens nicht mehr vergißt. Es gibt aber auch ganz unspektakuläre und individuelle Formen der Identitätsfindung mit Breitenwirkung beziehungsweise von allgemeiner Bedeutung.
Wer singt heute noch deutsche Volkslieder? Kein Vorwurf gegen die Allgemeinheit! Denn Volkslieder wurden in den Schulen jedenfalls in Berlin seit 1945 eher stiefmütterlich und in den zurückliegenden Jahrzehnten wohl überhaupt nicht mehr vermittelt.

Wenn wir noch einmal auf die deutsche Sprache zurückkommen, so wird Identität auch durch Beschäftigung mit der eigenen Sprache gestiftet. Dazu gehört zunächst die Nutzung deutschsprachiger Medien als Informationsquelle. Identitätsstiftend sind etwa auch die Volksmärchen der Gebrüder Grimm, die auch heute noch weitverbreitetes Allgemeingut sind. Kindern im Vorschulalter regelmäßig vorzulesen fördert zumindest deren Sprachvermögen, wenn nicht auch deren Verbundenheit mit der eigenen Sprache. Aber auch des Lesens Kundige können durch deutschsprachige Lektüre diese Verbindung vertiefen. Ich denke dabei weniger an Goethe, Schiller und andere Klassiker des 19. Jahrhunderts, auch wenn Heinrich von Kleist durchaus schöne patriotische Texte geschrieben hat, die auch heute noch aktuell sind, sondern an Texte der Gegenwart, die sich mit der deutschen Gegenwart oder der jüngeren Vergangenheit befassen, wie etwa Ulrich Schachts jüngst erschienener Roman „Notre Dame“ (2017) oder die Romane Erich Loests.

Für die Allgemeinheit identitätsstiftend können aber auch Filme zu entsprechenden Themen sein, wie etwa „Das Wunder von Bern“ – womit wir noch einmal beim Fußball wären –, die Fernsehfilme „Es ist nicht vorbei“ (2011) und „Honigfrauen“ (2017) oder der Film „Operation Walküre“ mit Tom Cruise als Stauffenberg von 2008.

Identität wird aber auch durch einheimische Sitten und Gebräuche begründet, wie dies etwa bei unseren Advents- und Weihnachtsbräuchen der Fall ist. Man denke nur an die zahlreichen, noch nicht zur bloßen „Freßmeile“ verkommenen, stimmungsvollen Adventsmärkte überall im Land. So enthält auch die unsägliche Bemerkung von Bundeskanzlerin Merkel, diejenigen, die vor dem Islam Angst hätten, könnten ja auf der Blockflöte Weihnachtslieder spielen – getätigt auf einem Sonderparteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommerns im Oktober 2016 –, trotz ihres abgehobenen und zynischen Charakters einen wahren Kern: Den Deutschen täte eine Rückbesinnung auf ihre Bräuche, wie die Adventszeit mit ihren Liedern, das Christentum und vor allem ihr Kulturgut ganz gut.

Es gibt im übrigen nicht nur Weihnachtslieder, sondern auch deutsche Volkslieder. In dickleibigen Liedersammlungen finden sich Hunderte von ihnen. Aber wer schaut in die entsprechenden Bücher? Wer kennt die Texte wenigstens einiger Volkslieder? Und wer singt heute tatsächlich noch deutsche Volkslieder? Allerdings ist dies kein Vorwurf gegenüber der Allgemeinheit, denn die Vermittlung von Volksliedern in den Schulen ist jedenfalls in Berlin seit 1945 eher stiefmütterlich und in den gerade zurückliegenden Jahrzehnten wohl überhaupt nicht mehr erfolgt. Dennoch wäre eine Rückbesinnung auf dieses breitenbezogene deutsche Kulturgut für uns alle, aber auch für unsere Identität als Deutsche nicht von Schaden.

Das Christentum ist als Grundlage der europäisch-abendländischen Kultur auch ein Teil der Identität der einzelnen europäischen Kulturnationen. Dabei können wir Deutschen nicht nur im Lutherjahr 2017 auf Martin Luther als Begründer des europäischen Protestantismus stolz sein. Luther ist darüber hinaus – und da sind wir wieder bei unserer Sprache – mit seiner Bibelübersetzung ins Deutsche auch der Schöpfer unserer hochdeutschen Schriftsprache. Für die ungebrochene Popularität Luthers spricht auch seine Playmobil-Figur, die meisthergestellte Figur des Spielzeugherstellers. Das Christentum ist somit für uns Deutsche ein weiteres wichtiges identitätsstiftendes Element.

Von den Macrons und Merkels dieser Welt braucht man sich nichts zu erhoffen, denn diesen geht es allein um die Schaffung eines supranationalen Europas und Globalisierung. Die Identität der einzelnen Völker Europas ist dabei begrifflich nicht vorgesehen.

Deutschland verfügt wie alle größeren Länder Europas über vielfältige, landsmannschaftlich geprägte Regionalkulturen. Allgemein erkennbare Ausprägungen dieser Regionalkulturen sind auch heute noch die Dialekte und Mundarten, unterschiedliche Grußformen und sogar Bekleidungsformen, die oft den im Alltag verschwundenen Trachten entlehnt sind. Ausdrucksform dieser Regionalkulturen sind aber auch die vielfältigen Volksfeste überall in Deutschland. Das Münchener Oktoberfest ist sicher das bekannteste deutsche Volksfest, aber auch Feste wie der Canstatter Wasen in Stuttgart, der Hamburger Dom oder das Baumblütenfest in Werder haben überregionale Bedeutung erlangt. Hinzu kommen unzählige Weinfeste, Jahrmärkte, Stadt- und Hafenfeste von regionaler oder auch nur örtlicher Bedeutung. Der Besuch derartiger Feste ist ein zwangloser Teil deutscher Identität.

Alle diese Volksfeste sind zudem Orte, an denen man auch Gerichte der regionalen deutschen Küche und die entsprechenden Getränke zu sich nehmen kann. Von Thüringer Rostbratwürsten über die Berliner Currywurst, bayerische Schweinshaxen bis hin zum Pfälzer Saumagen reicht die Palette schmackhafter deutscher Regionalgerichte. Ein verbindendes Kennzeichen dieser deutschen Küche ist, daß aus ihr der Verzehr von Schweinefleisch nicht wegzudenken ist. Auch diese Kulinaria stellen einen weiteren Aspekt deutscher Identität dar.

Moslems, Multikulti-Apologeten, von Fernstenliebe besessene Kirchenfunktionäre und volksferne rot-grüne Ideologen wirken seit Jahrzehnten unermüdlich unserer Identität entgegen. Man denke nur an die Anschläge auf den Adventsmarkt in Berlin und auf Festveranstaltungen in Süddeutschland, an die Kampagnen zur Zurückdrängung von Schweinefleisch beim Kindergarten- oder Schulessen oder zur Umbe­nennung christlicher Hochfeste in glaubensfreie Allgemeinplätze bis hin zur Auseinandersetzung um die Anbringung des Kuppelkreuzes beim Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses.

Christliche Symbole werden ohnehin zunehmend aus der Öffentlichkeit verdrängt, was man etwa von muslimischen Symbolen nicht behaupten kann. Von den Macrons und Merkels dieser Welt braucht man sich dabei nichts zu erhoffen, denn diesen geht es allein um die Schaffung eines supranationalen Europas als multikulturelle Wertegemeinschaft im Rahmen weltweiter Globalisierung. Die Identität der einzelnen Völker Europas ist dabei begrifflich nicht vorgesehen. Während unser Eigenes überall zurückgedrängt werden soll, arbeitet der Islam permanent an der Errichtung einer Parallelgesellschaft in unserem Land, was man der Vielzahl von Kopftuch- und Burkaträgerinnen im Straßenbild entnehmen kann. Dieser Entwicklung entgegenzutreten sind wir alle aufgerufen.

Wir können uns dabei auf die freiheitlichen und demokratischen Traditionen unseres Volkes wie die Befreiungskriege von 1813/14, die Revolution von 1848, die Reichseinigung von 1871 und die Schaffung des deutschen Sozialstaats, den Widerstand des 20. Juli 1944, den Volksaufstand des 17. Juni 1953 und die demokratische Bewegung des Jahres 1989, die zur erneuten Einigung unseres Landes geführt hat, stützen.
Die Verteidigung des Eigenen könnte zu einem neuen gemeinschaftsstiftenden Ereignis der kollektiven Wahrnehmung für uns Deutsche werden. Vielleicht ist genau das der Grund, weshalb die politisch Verantwortlichen Probleme mit der Antwort auf die Frage nach der deutschen Identität haben.



Dr. Matthias Bath, Jahrgang 1956, ist Jurist und Autor. Neben Büchern über seine Inhaftierung als Fluchthelfer in der DDR erschien zuletzt „Danebrog gegen Hakenkreuz. Der Widerstand in Dänemark 1940–1945“. Von 1988 bis 2017 arbeitete er im Justizdienst des Landes Berlin.