© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/17 / 18. August 2017

Tradition ist kein Selbstzweck
Wer die Rechnung ohne Fiskus und Grundgesetz macht: Daß ein Verein etwas schon immer so gehalten hat, muß gerade kein Grund dafür sein, es beizubehalten
Heiko Urbanzyk

Wer sich in geschlechtergetrennten Vereinen organisiert, darf das auch künftig. Ob das zuständige Finanzamt dem Verein aber noch Gemeinnützigkeit zuerkennt, könnte für derartige Vereinigungen einmal ein Brennpunkt werden. Eine Gemeinnützigkeit ihrer Tätigkeit schreiben viele Vereine in ihrer Satzung fest; also einen Wert der Vereinsarbeit für die Allgemeinheit. Erst jedoch die zu beantragende Anerkennung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt bringt finanziell meßbare Vorteile. Erleichterungen bei der Körperschafts- und Umsatzsteuer gehören dazu.

Von Bedeutung ist vor allem aber die Möglichkeit, Spendenbescheinigungen ausstellen zu dürfen, die zugunsten des Spenders bei dessen Einkommensteuererklärung berücksichtigt werden: Spende 1.000 Euro, bekomme 500 Euro vom Finanzamt zurück – das zieht als Argument für Vereinsspenden natürlich besser, als von einer Spende gar nichts wiederzusehen.

Was derart gemeinnützig ist, daß der Staat es steuerlich begünstigt, regelt Paragraph 52 der Abgabenordnung (AO). Dessen Anwendungsbereich wurde vor gut zehn Jahren ausgedehnt, um das Ehrenamt zu stärken. Seither umfaßt die Liste dessen, was alles die Allgemeinheit fördert, 25 Punkte. Vereine, die Ehe und Familie fördern, fallen ebenso darunter wie Flüchtlings- und Gefangenenhilfe, Heimatpflege, Sport, Naturschutz, demokratisches Staatswesen usw.

Gleichberechtigung auch durchzusetzen ist das Ziel

Findet sich der Zweck eines Vereins nicht unter den 25 Punkten, kann ein gemeinnütziger Zweck noch angenommen werden, wenn durch ihn die Allgemeinheit „auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet entsprechend selbstlos gefördert wird“. Letzteres erkannte der Bundesfinanzhof (BFH) zum Beispiel für Turnier-Bridge an.

Die Münchner Richter des BFH entschieden im Freimaurer-Urteil faktisch, daß einer der gesetzlich begünstigten Vereinszwecke aus Paragraph 52 AO noch so sehr verwirklicht werden kann, dann aber doch nicht zur Gemeinnützigkeit führt, wenn ein Geschlecht „ohne sachlichen Grund“ ausgeschlossen wird. Denn diese „Ungleichbehandlung von Männern und Frauen verstößt gegen die Werteordnung des GG, weswegen es an einer ‘Förderung der Allgemeinheit’ fehlt“.

Wer glaubt, die Tradition eines Ausschlusses von Frauen könne dies ändern, ja sogar selbst ein Zweckbestandteil sein, hat die Rechnung ohne das Grundgesetz gemacht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“, heißt es im Art. 3 Abs. 2 GG. Der Hinweis auf die geschichtliche Tradition sei daher laut BFH nicht geeignet, die Ungleichbehandlung bei den Freimaurern zu rechtfertigen. „Denn die traditionelle Prägung eines Lebensverhältnisses (im Streitfall die der Freimaurer als Bruderschaften) reicht für eine Ungleichbehandlung nicht aus.“ Art. 3 Abs. 2 GG verlöre nämlich seine Funktion, für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen, wenn die vorgefundene gesellschaftliche Wirklichkeit hingenommen werden müßte. In die ebenfalls grundgesetzlich garantierte Vereinigungsfreiheit werde durch Verneinung einer steuerlichen Begünstigung eines derartigen Vereins nicht eingegriffen – er dürfe selbstverständlich bestehen. Jedoch nicht mit staatlicher Steuerbegünstigung. Der BFH kann sich mit dieser Logik auf das Bundesverfassungsgericht stützen.

Auch der Vergleich der Logenbrüder zu kirchlichen Ordensgemeinschaften überzeugte nicht. Klosterbrüder/-schwestern könnten mildtätige Zwecke im Sinne von Paragraph 53 AO ausüben (zum Beispiel selbstlose Unterstützung Hilfsbedürftiger) oder gemäß Paragraph 54 AO kirchliche Zwecke (zum Beispiel Feiern von Gottesdiensten, Erteilung von Religionsunterricht) fördern. Das sah der BFH bei den Freimaurern nicht erfüllt, zumal sie vor allem keine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft sind.

Wieviele der knapp 600.000 Vereine in Deutschland unter die (nicht geschlechtergemischten) Traditionsvereine wie Schützenbruderschaften, Studentenverbindungen usw. fallen, ist nicht erfaßt. Als vergangenes Jahr das Finanzamt in Meschede Schützenvereinen die Gemeinnützigkeit aberkennen wollte, weil sie keine Frauen aufnehmen, pfiff der damalige NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans seine Beamten allerdings zurück. Der derzeitige NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) nimmt angesichts des Wirbels um das BFH-Urteil die Traditionsvereine in Schutz und will ihre Gemeinnützigkeit politisch verteidigen: „Ihr Engagement für Brauchtum, soziales Miteinander und oft auch für karitative Zwecke reicht regelmäßig weit über die Vereinsgrenzen hinaus und verdient daher eine Entlastung bei der Steuer.“

Eine Politik, die das ernst meint, könnte den Paragraphen 52 AO übrigens einfach entsprechend auf die Traditionsvereine anpassen und Finanzämtern und Gerichten damit den Interpretationsspielraum entziehen. Spekulationen der künftig potentiell betroffenen Vereine  über die Notwendigkeit von „Scheinsatzungen“ oder geschlechterneutrale Fördervereine als Unterbau reiner Männer- und Frauengruppierungen bedürfte es dann nicht mehr.