© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/17 / 18. August 2017

Gegen die Zwei-Prozenter
Wahlkampf: Union und SPD streiten über die künftige Aufstockung des Wehretats / Berlin ist gegenüber den Bündnispartnern in der Pflicht
Peter Möller

Beim Thema Friedenspolitik ist die SPD in ihrem Element. Das gilt erst recht in Wahlkampfzeiten, wie 2002 die erfolgreiche Kampagne Bundeskanzler Gerhard Schröders gegen den Irak-Krieg gezeigt hat. Damals brachte Schröders Ablehnung eines Waffenganges gegen Saddam Hussein Rot-Grün den nicht mehr für möglich gehaltenen Wahlsieg. Nun spielen die Strategen im Berliner Willy-Brandt-Haus angesichts der hoffnungslos erscheinenden Umfragewerte für die SPD wieder die friedenspolitische Karte – wenn auch einige Nummern kleiner.

Denn diesmal geht es nicht um Krieg oder Frieden, sondern um eine Zahl: zwei Prozent. Die Nato-Mitglieder hatten sich 2014 darauf verständigt, bis 2024 mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung auszugeben. Deutschland ist, wie die meisten Bündnispartner, von diesem Ziel weit entfernt. Derzeit beträgt der Anteil der Ausgaben für die Bundeswehr am BIP rund 1,2 Prozent.

Aber nachdem der amerikanische Präsident Donald Trump die Steigerung der Verteidigungsausgaben der Nato-Verbündeten mehrfach vehement eingefordert hat, steht das Thema auch in Deutschland innenpolitisch auf der Tagesordnung. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatten sich in den vergangenen Monaten zumindest grundsätzlich zur Zwei-Prozent-Marke bekannt.  
Aus dieser Festlegung versucht die SPD nun im Wahlkampf politisches Kapital zu schlagen. Bereits Anfang Juni hatte sich Schulz von dem Zwei-Prozent-Ziel distanziert und angekündigt, im Falle eines Wahlsieges die von der Großen Koalition eingegangene Verpflichtung gegenüber den Nato-Partnern zu kippen. „Ich glaube nicht, daß diese Aufrüstungsspirale Sinn macht“, sagte Schulz dem WDR. Er könne auch nicht verstehen, wie Bundeskanzlerin Merkel so eine Verpflichtung habe eingehen können. Er dagegen sei „nicht bereit zu sagen: Ich unterwerfe mich einer von den USA verlangten Aufrüstungslogik“, bekräftigte der SPD-Kanzlerkandidat.
 Die Union wurde von diesem offensichtlichen SPD-Wahlkampfmanöver völlig überrascht. Denn in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode hatte sich die SPD in der Verteidigungspolitik zumeist durch konstruktive Sacharbeit ausgezeichnet. So war es im vergangenen Jahr nicht zuletzt dem einflußreichen Hamburger SPD-Abgeordneten und Oberst der Reserve Johannes Kahrs zu verdanken, daß der Haushaltsausschuß des Bundestages unerwartet das Geld für fünf zusätzliche Korvetten für die Marine bereitstellte. Ein regelrechter Husarenstreich, der nach den nun von Schulz verkündeten Maßstäben eindeutig als Aufrüstung bezeichnet werden müßte
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Verteidigungsministerin reagiert gereizt

 Dieses Beispiel zeigt, wie widersprüchlich die Argumentation der SPD ist. Denn auch Schulz stellt nicht in Abrede, daß die seit Jahrzehnten unterfinanzierte Bundeswehr dringend mehr Geld benötigt, um neues Material zu beschaffen. Dabei, so argumentieren die Sozialdemokraten, gehe es allerdings nicht um Aufrüstung, sondern darum, Lücken in der Ausrüstung der Bundeswehr zu schließen. Dafür sei weit weniger Geld notwendig als die bis zu 30 zusätzlichen Milliarden, die beim Einhalten der Zwei-Prozent-Marke zur Verfügung stünden.

 Nicht nur die Verteidigungsministerin reagiert zunehmend gereizt auf die Anti-Aufrüstungs-Kampagne des Koalitionspartners. „Wenn die SPD jetzt den schrittweisen Aufwuchs der Investitionen ablehnt, verabschiedet sie sich von der eingeleiteten Modernisierung der Bundeswehr und den Trendwenden für mehr Personal und Material“, sagte von der Leyen den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die SPD „zerdeppert in ihrem total verkorksten Wahlkampf blindlings das Vertrauen unserer Soldatinnen und Soldaten genauso wie das befreundeter Nationen“, fügte sie hinzu.

 Dennoch verschärfte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in der vergangenen Woche die Diskussion um den Wehretat zusätzlich und machte die Ablehnung der Zwei-Prozent-Marke zur Vorbedingung für den Abschluß eines Koalitionsvertrages seiner Partei nach der Bundestagswahl. „Wir halten das für den falschen Weg, und mit der SPD in der Regierung wird es das nicht geben“, sagte Oppermann, dem in Berlin Ambitionen auf den Posten des Verteidigungsministers nachgesagt werden, der Rheinischen Post.

Für die Union kommt die Zwei-Prozent-Diskussion im Wahlkampf aus zwei Gründen äußerst ungelegen. Zum einen fürchten ihre Wahlkampfstrategen, die CDU könnte als Aufrüstungs-Partei abgestempelt werden. Zum anderen wird auch in der Union eine mögliche Verdoppelung des Wehretats beim Erreichen der Zwei-Prozent-Marke durchaus kritisch gesehen. Die Frage lautet: Wohin mit dem ganzen Geld?
 
Denn auch wenn es grundsätzlich kein Problem wäre, für die zusätzlichen Milliarden neue Schiffe, Panzer und Flugzeuge für die Bundeswehr zu bestellen, so wäre angesichts der seit Jahren angespannten Nachwuchssituation in der Truppe völlig unklar, wer das neue Gerät eigentlich bedienen könnte. Schon jetzt hat etwa die Marine Probleme, ausreichend qualifiziertes Personal zu rekrutieren, um alle ihre U-Boote zu bemannen.

Ein Blick auf die aktuellen Zahlen macht die ganze Dimension des Problems deutlich: So dienten Ende Juni 177.900 Soldaten in der Truppe, und damit 400 weniger als noch im Mai. Sogar zusätzliche Milliarden für den Wehretat könnten daran allein nichts ändern.