© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Der Flaneur
Plötzlich tropft es
Paul Leonhard

Die Frau schickt ihre Männer auf die Straße. Ich gehe mit dem Kleinen die Stadt erkunden. Nach ausgiebigem Betrachten der bunten Vögel in den Auslagen eines Züchters rennt der Sohnematz jauchzend den Boulevard herunter. Viel zu schnell in meinen Augen, aber er fällt nicht hin. Dafür unterbricht er für jeden Gullydeckel seinen Lauf. Erneutes Unbehagen bei mir. Der Kleine wird doch nicht – nein, es scheint nichts Interessantes durch das Gitter gefallen zu sein.

„Auch ein kleiner Junge“, sage ich. „Unge“, echot mein Sohn über meinem Kopf.

Nach gut 500 Metern ist abrupt Schluß. Der Knirps bleibt stehen und reißt beide Arme nach oben. Der gut abgerichtete Vater weiß sofort, was das bedeutet und hievt ihn auf die Schultern. Auf gehobener Position beäugt er nun stolz die Welt, und sieht durch einen ihm entgegenkommenden, ebenfalls auf den Schultern des Vaters sitzenden Gleichaltrigen hindurch. Die Väter grinsen sich an. „Auch ein kleiner Junge“, sage ich. „Unge“, echot es über meinem Kopf. „Junge“, wiederhole ich. „Unge“, nickt es von oben. Aha, mit 20 Monaten lernt man die Muttersprache durch nachplappern. „Auto“, sage ich. „Auto“, bestätigt er. Als ich „Schaufensterscheibe“ sage, bleibt die Antwort aus. Ich werfe einen Blick in diese und entdecke, daß der Herrenreiter einem kleinen Mädchen mit bunten Schleifen in den Zöpfen hinterhersieht. „Schaufenster“, wiederhole ich. Diesmal kommt die Antwort prompt: „Essen“. Aufgeregt zeigt er auf ein anderes Mädchen, das an einem Waffeleis leckt. 

Ich will den Jungen absetzen, um ein Eis zu kaufen, aber der zieht, kaum berühren die Füße den Boden, diese blitzschnell ein. Also wird er wieder hochgehoben. Der Vater reicht die Waffel nach oben. Kurz darauf passiert das, was zu erwarten war. Es tropft. Diesmal reagiere ich blitzschnell. Ehe ein Protest kommt, steht das Kind auf der Straße. Das große Herrentaschentuch kommt zum Einsatz und Spucke. Trotzdem klebt es. Mir entfährt ein unschönes Wort. „Eise“, antwortet der Sohn.