© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Ab jetzt fließt das Blut in Strömen
Mit dem Sturz des Königs nimmt die Französische Revolution im August 1792 an Fahrt auf: Die Zuspitzung der Lage ermöglicht den Extremisten unter Robespierre einen Machtzuwachs
Dag Krienen

Ihre Majestät hat die Revolution durch eine ebenso loyale wie freimütige Annahme der Verfassung beendet“, erklärte der Präsident der sich danach auflösenden Nationalversammlung am 30. September 1791, nachdem der französische König Ludwig XVI. den Eid auf die neue Verfassung abgelegt hatte. 

Begonnen hatte diese Revolution im Juni 1789, als sich die französischen Generalstände eigenmächtig zur verfassunggebenden Nationalversammlung erklärt hatten, mit dem Anspruch, die politischen und sozialen Verhältnisse des Landes neu zu ordnen. Tatsächlich war in zwei Jahren die soziale und politische Gestalt Frankreichs grundlegend verändert worden. Die neue Verfassung einer nun konstitutionellen Monarchie krönte diese Umgestaltung. Die Revolution hatte dem Anschein nach das Land relativ unblutig in ein so modernes und freiheitliches Staatswesen verwandelt, wie es nach den Maßstäben der aufgeklärten Zeitgenossen nur sein konnte. Doch der Schein trog. 

Schon erste Kritiker wie der Staatsphilosoph Edmund Burke waren der Meinung, daß die Revolution und die meist von Jean-Jacques Rousseau geprägte Ideologie ihrer Anhänger zur Entfesselung einer Unzahl von Ansprüchen und Ambitionen führen mußte, die sich in wechselseitiger Eskalation immer mehr steigern würden. Rousseaus Idee, es gebe einen Allgemeinwillen (volonté géneral) des Volkes, gegenüber dem, einmal festgestellt, jede Abweichung letztlich Verrat wäre, förderte unter den Revolutionären eine politische Rechthaberei und Unduldsamkeit, die Kompromisse extrem erschwerte. 

Die revolutionäre Paranoia trieb immer weitere Blüten

Unterhalb der Tünche des oft beschworenen nationalen Konsenses traute keiner dem anderen, sondern es herrschte Furcht: Anhänger der konstitutionellen Monarchie fürchteten, daß die radikalen Kräfte mit Hilfe des Mobs doch noch eine Republik erzwingen wollten, diese, daß Ludwig XVI. insgeheim alle revolutionären Errungenschaften zu beseitigen trachtete, und der König fürchtete, doch noch beseitigt zu werden.

Die im Juni 1791 aus den Jakobinerclubs ausgetretenen sogenannten „Feuillants“, Anhänger der konstitutionellen Monarchie, bildeten zwar anfangs die einflußreichste Gruppe in der neu gewählten konstitutionellen Volksvertretung. Fest etablierte und disziplinierte Parteien gab es jedoch nicht. Die Mitglieder waren durch die Revolution zu Amt und Würden gekommene Notabeln, von denen manche ihre sozialen Ambitionen als erfüllt ansahen, andere hingegen nicht, und eine große Zahl sich nicht ganz sicher war. 

Die radikalen Jakobiner konnten rasch wieder erstarken, indem sie die bei den Revolutionsgewinnlern herrschende Furcht vor einer Konterrevolution nutzten. Das Königspaar hatte im Juni 1791 durch die gescheiterte Flucht von Varennes sein Ansehen auch bei den gemäßigten Kräften beschädigt. Zudem hatten Ende August 1791 der Kaiser und der preußische König in der Pillnitzer Erklärung die Fürsten Europas zur gemeinsamen militärischen Interventionen zugunsten Ludwigs ermuntert. Ernst gemeint war diese Drohung nicht, sie verschärfte aber in Frankreich die Furcht vor einer gleichzeitig von außen und innen betriebenen Gegenrevolution.

Zunächst profitierte davon eine Gruppe von Jakobinern, die von dem Abgeordneten Jacques Pierre Brissot angeführt wurde und später mit dem Namen Girondisten (viele stammten aus dem Departement Gironde) belegt wurde. Brissot verband erfolgreich revolutionären Universalismus und französischen Patriotismus. Die Brissotisten setzten auf den Krieg gegen das „reaktionäre“ Österreich. Ludwig XVI. gab unter ihrem Druck im Frühjahr 1792 nach, bildete eine neue Regierung aus Girondisten und erklärte schließlich im April 1792 Österreich den Krieg (JF 17/17). 

Der Krieg gegen die „Tyrannen“ verlief entgegen den großmäuligen Versprechen Brissots schlecht. Da sich dies viele nur als Ergebnis von Verrat erklären konnten, trieb die revolutionäre Paranoia weitere Blüten. Ihr Nutznießer waren nun nicht mehr die Girondins, sondern die radikaleren Jakobiner um Maximilien de Robespierre. Dieser hatte den Kontakt zu den klein- und unterbürgerlichen Schichten in Paris gepflegt, die aufgrund des Steuerzensus 1791 nicht wahlberechtigt gewesen waren. Geplagt von starken Preissteigerungen und anhaltender Wirtschaftskrise betrachteten sich diese „Passivbürger“ als das eigentliche „Volk“ und bezeichneten sich stolz als Sans-Culottes (die, die nicht die engen Kniebundhosen der Vornehmen trugen). 

Im Sommer 1792 forderte Robespierre offen das Ende der Monarchie und die Unterordnung der Legislative unter den „wahren Volkswillen. Die Girondisten bemühten sich, bei Rennen um die Volksgunst nicht ins Hintertreffen zu geraten. Das Parlament erließ im Juni mehrere Dekrete zur Bewältigung der militärischen Krise und zur Bekämpfung der inneren Feinde. Dagegen legte der König sein Veto ein und entließ schließlich das girondistische Ministerium. Trotz geschürter Unruhen in Paris ließ er sich nicht mehr auf eine Zusammenarbeit mit den Girondisten ein. 

Österreichische und preußische Truppen stießen derweil in das Landesinnere vor. Ihr Oberbefehlshaber, der Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, erließ 25. Juli 1792 ein Manifest, das den Parisern für den Fall, daß dem Königspaar etwas zustoßen sollte, die Zerstörung ihrer Stadt androhte. Die Radikalen in Paris betrieben nun den Staatsstreich. Am 9. August besetzten aufständische Sansculotten zunächst das Pariser Rathaus und reklamierten als Pariser Kommune die Souveränität des Volkes für sich, ohne bei den regulären Autoritäten nennenswerten Widerstand zu finden. 

Am 10. August 1792 griffen sie die Tuilerien, den Sitz des Königs, an und metzelten die Schweizer Garde nieder. Ludwig XVI. begab sich mit seiner Familie in den Schutz der gesetzgebenden Versammlung. Allerdings floh ein großer Teil von deren Mitgliedern, der Rest erklärte unter dem Druck der Aufständischen den König für abgesetzt und verhaftet. Sie stimmten kurz darauf auch der von Robespierre und seinen Leuten geforderten Wahl – ohne Beschränkungen des Wahlrechts – einer neuen verfassunggebenden Versammlung, dem sogenannten Nationalkonvent zu.

Die Hinrichtung des Königs steigerte Unversöhnlichkeit

Die neue Phase der Revolution begann blutig. Schon die Zahl der Toten bei der Erstürmung der Tuilerien (gut 800) war beispiellos. Auf Druck der Kommune stimmte die Legislative der Bildung eines Sondergerichtes zu, das Revolutionsfeinde im Schnellverfahren aburteilen sollte. Am 21. August wurde das erste Urteil mit der Guillotine vollstreckt, weitere Hinrichtungen folgten, zunächst noch in langsamem Rhythmus. Den weiteren Vormarsch des Herzogs von Braunschweig nahmen radikale Kräfte zum Anlaß, zur „Prävention“ im großen Stile gegen potentielle innere Feinde vorzugehen. Vom 2. bis zum 7. September ermordeten Sansculotten die Hälfte aller Pariser Gefängnisinsassen, knapp 1.400 Menschen. Die Kommune tolerierte diese Morde und ermunterte andere Städte sogar zu einem ähnlichen Vorgehen.

Daß die „Septembermassaker“ zunächst keine Wiederholung fanden, hing nicht nur mit dem Schock und Widerwillen zusammen, den sie auch bei vielen Revolutionären auslösten. Zum einen entspannte sich die militärische Situation. Am 20. September konnten die Franzosen durch die „Kanonade von Valmy“ die Preußen zum Rückzug zwingen; weitere Siege und Eroberungen in Belgien und im Rheinland folgten. Zum anderen trat am selbigen 20. September der neue Nationalkonvent zusammen, der die Funktionen sowohl der Gesetzgebung als auch der Exekutive übernahm und Frankreich damit wieder eine handlungsfähige Regierungsgewalt gab. Im Oktober wurde ein Sicherheitsausschuß (Comité de sûreté générale) gebildet, der für die innere Sicherheit der Republik und den Kampf gegen ihre Feinde zuständig war. Ihre weitere Verfolgung erfolgte nun  wieder halbwegs prozeßförmig.

An seinen revolutionären Absichten ließ der Konvent aber keinen Zweifel. Bereits am 21. September schaffte er das Königtum ab. Den Folgetag erklärte er zum Beginn des Jahres I der Französischen Republik. Die radikalen Jakobiner um Robespierre, die aufgrund ihrer erhöhten Sitzordnung den Namen „Berg“ (Montagnards) erhielten, stellten anfangs nur eine kleine Minderheit in dem rund 750 Mitglieder umfassenden Konvent dar. Die Girondisten, die sich nun endgültig von den Jakobinern trennten, waren zahlenmäßig deutlich stärker, die größte Gruppe stellte aber die „Ebene“. Diese stimmte je nach Sach- und nach politischer Wetterlage und in beständiger Furcht vor einer Gegenrevolution mal mit der einen, mal mit der anderen Seite. 

Erneut konnten Robespierre und seine Leute ihren Einfluß rasch vergrößern, vor allem, indem sie energisch eine Anklage gegen Ludwig XVI. wegen Verrats betrieben und die zögerlichen Girondisten in dieser Frage vor sich hertrieben. Am 11. Dezember 1792 wurde der Prozeß vor dem Nationalkonvent eröffnet. Am 14. Januar 1793 wurde Ludwig ohne Gegenstimmen für „schuldig“ befunden, einige Tage später (mit nur knapper Mehrheit) als Strafmaß der Tod bestimmt. Am 21. Januar 1793 wurde er mit der Guillotine hingerichtet. 

Die Tötung des Königs verhalf Frankreich zu keiner Phase der inneren Ruhe und Konsolidierung als Republik. Der unerhörte Regizid (Königsmord) steigerte vielmehr die Unversöhnlichkeit ihrer inneren und äußeren Feinde. Der Konvent sorgte selbst dafür, daß die Zahl letzterer weiter anwuchs, indem er am 1. Februar England und den Niederlanden den Krieg erklärte. Erste Aufstände in der Provinz, noch klein und unzusammenhängend, deuteten zudem auf wachsenden inneren Widerstand hin. 

Die Paranoia der Revolutionäre hatte gute Chancen, sich noch zu steigern. Edmund Burkes Anfang 1790 gemachte düstere Prophezeiung sollte sich erfüllen, daß Frankreich erst noch Herzog Karl Wilhelm Ferdinand „durch zahlreiche Gestalten unversuchter Existenz wandern und auf jeder Stufe seiner Wanderung in Blut und Feuer gereinigt und wiedergeboren werden“ müsse, bevor es an das „Ende seiner Unruhen“ gelangt.