© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Gekrönte Blutzeugen A: Im Jahr 2000 hat das Patriarchat von Moskau die „Heiligen Kaiserlichen Märtyrer“ – gemeint sind der letzte russische Zar Nikolaus II., seine Frau und beider Kinder, die durch die Bolschewiki ermordet wurden – in den liturgischen Kalender der Orthodoxie aufgenommen. Zwei Jahre zuvor waren die Überreste der Zarenfamilie in der Peter-und-Paul-Kathedrale Sankt Petersburgs feierlich beigesetzt worden. Jetzt versammelten sich zum 99. Todestag der Zarenfamilie 60.000 Menschen zu einer Gedenkfeier in Jekaterinburg. Ihre Prozession führte über eine Distanz von zwanzig Kilometern, vom Tatort bis zur Mine Nr. 7, in der man die Leichen ursprünglich verscharrt hatte.

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Enzo Lionetto, der Bürgermeister des kleinen sizilianischen Ortes Castell’Umberto, spricht von einer „Invasion“. Er steht an der Spitze des Widerstands der politischen Basis Italiens. Mittlerweile haben 5.500 von 8.000 Gemeinden Italiens erklärt, daß sie keine weiteren „Flüchtlinge“ aufnehmen werden. Das Innenministerium bleibt ungerührt und verteilt auf die übrigen 2.500 Kommunen.

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Die Kathedrale von Cordoba wird von der Unesco in der Liste der Stätten, die zum „Weltkulturerbe“ gehören, nicht unter ihrer offiziellen Bezeichnung Catedral de la Asunción de Nuestra Señora geführt, sondern als „Moschee-Kathedrale Mezquita“. Der Grund dafür ist, daß die Kirche tatsächlich ursprünglich ein islamisches Gebetshaus war, das die arabischen Eroberer Spaniens allerdings auf den Ruinen einer Kirche gebaut hatten. Erst nach der Rückeroberung Spaniens durch die Christen und Vertreibung der Mauren fand ein Umbau statt und wurde der ganze Komplex seiner späteren Bestimmung übergeben. Seitdem galt die Kathedrale von Cordoba auch als nationales Symbol der Reconquista. Ein Grund mehr, von muslimischer Seite die Wiederherstellung des Status quo ante zu fordern. Bisher ohne Erfolg. Allerdings arbeitet neuerdings die andalusische Regionalregierung daran, die Kathedrale in eine „interreligiöse“ Stätte umzuwandeln. Noch leistet der Erzbischof von Cordoba Widerstand und betont, es gebe Dinge, die man teilen könne und andere Dinge, die man nicht teilen könne.

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Gekrönte Blutzeugen B: In der Festung von Dover steht eine mittelalterliche Kirche. Die Ausstattung ist kaum der Rede wert, bis auf ein Altarbild im Querschiff. Es handelt sich um eine Arbeit, von der man glauben könnte, daß sie ein unbekannter Präraffaelit geschaffen hat. Aber tatsächlich ist der Künstler ein Mensch der Gegenwart: Norwood Witts. Das irritierende der Darstellung liegt nicht nur im Stil, sondern auch in der Thematik, denn auf dem rechten Flügel erkennt man als Schutzpatron Englands neben dem bekannten Drachentöter St. George auch St. Charles. Gemeint ist Karl I., jener unglückliche König aus dem Hause Stuart, der im Kampf gegen das Parlament unterlag und auf dessen Befehl 1649 hingerichtet wurde. Die Axt, mit der man ihn tötete, ist ihm auf dem Bild von Witts als Attribut seines Martyriums in die Hand gegeben. Daß man Karls Tod als „Zeugnis“ auffassen dürfe, wurde seit der Restauration der Stuarts damit begründet, daß er für die Verteidigung des Episkopats und damit für die Erhaltung der apostolischen Sukzession starb. Dementsprechend hatte seine Verehrung immer Bedeutung für die Hochkirche und die „anglo-katholischen“ Kreise sowie die Konservative Partei. Allerdings wurden bereits 1859 liturgische Elemente aus dem Common Prayer Book entfernt, die sich auf den König bezogen. Immerhin gibt es noch eine Reihe von Kirchen, die St. Charles the Martyr geweiht sind, und ganz scheint die Erinnerung nicht ausgetilgt.

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White life matters. Der Fall der in Minneapolis getöteten Justine Diamond ist nach kurzer Zeit aus den Medien verschwunden. Die vierzigjährige Australierin hatte die Polizei gerufen, da sie glaubte, Zeugin des Angriffs auf eine Frau geworden zu sein. Unter ungeklärten Umständen wurde sie durch den Polizeibeamten Mohamed Noor erschossen, einen US-Bürger somalischer Abstammung.

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Geschafft: „Die Emanzipation ist erst dann vollendet, wenn auch einmal eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position aufgerückt ist.“ (Heidi Kabel)

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Gekrönte Blutzeugen C: Im bemerkenswerten Unterschied zur Orthodoxie wie zu den Anglikanern hat die katholische Kirche sich geweigert, Ludwig XVI. als „Märtyrerkönig“ anzuerkennen. Entsprechende Vorstöße wurden schon direkt nach der Hinrichtung des Monarchen durch die französischen Revolutionäre unternommen. Aber nicht einmal nach der Restauration der Bourbonen kam man zum Ziel. 1820 wurde ein Antrag auf Prüfung der Seligsprechung vom päpstlichen Stuhl endgültig abschlägig beschieden. Die Verehrung als roi martyr blieb und bleibt auf die kleiner werdenden Zirkel von Royalisten und Traditionalisten beschränkt.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 25. August in der JF-Ausgabe 35/17.