© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Bizarr: Als der Vorhang der „Götterdämmerung“ bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen fällt und Regisseur Frank Castorf auf die Bühne tritt, erhebt sich das Publikum und applaudiert stürmisch. Fünfzehn Minuten lang. Vereinzelte Buhrufe gehen in dem Beifall unter. Bei der Premiere 2013 erntete Castorf noch ein heftiges minutenlanges Pfeifkonzert. Nun zeigt sich Festspielchefin Katharina Wagner zufrieden. Natürlich sei Castorfs Sichtweise „erstmal gewöhnungsbedürftig“ gewesen. Doch inzwischen sei „nicht nur eine Form von Frieden, sondern auch ein Verständnis für diese Sichtweise gewachsen“, zieht die Urenkelin von Richard Wagner ein positives Fazit der Castorfschen „Ring“-Inszenierung. Er habe „eine ganz eigene Ästhetik“ nach Bayreuth gebracht, meint Katharina Wagner. Nun ja, Ästhetik hatte, jedenfalls in früheren Zeiten, etwas zu tun mit Schönheit und Sinnlichkeit. Davon kann bei Castorf keine Rede sein. Bei ihm bewegt sich Wagners Figurenensemble in einem heruntergekommenen Motel und an einer Tankstelle in den USA der sechziger Jahre („Rheingold“), in einer Ölraffinerie in Aserbaidschan („Walküre“) oder an einer Dönerbude im Berlin der unmittelbaren Nachwendezeit samt Mauerrest („Götterdämmerung“). Nein, Castorf ist bloß ein Wichtigtuer, der um Aufmerksamkeit buhlt. Doch ein Publikum, das solchem Schmarrn auch noch Beifall zollt, hat es wohl nicht besser verdient.

Wie anders konnte noch Friedrich Nietzsche in seiner Schrift „Richard Wagner in Bayreuth“ (1876) loben: „In Bayreuth ist auch der Zuschauer anschauenswert, es ist kein Zweifel. (...) . So werden alle die, welche das Bayreuther Fest begehen, als unzeitgemäße Menschen empfunden werden: sie haben anderswo ihre Heimat als in der Zeit und finden anderwärts sowohl ihre Erklärung als ihre Rechtfertigung. (…) Hier findet ihr vorbereitete und geweihte Zuschauer, die Ergriffenheit von Menschen, welche sich auf dem Höhepunkte ihres Glücks befinden und gerade in ihm ihr ganzes Wesen zusammengerafft fühlen, um sich zu weiterem und höherem Wollen bestärken zu lassen.“

Mit der letzten „Götterdäm-merung“-Vorstellung enden am 28. August nicht nur die Wagner-Festspiele, Castorfs gesamte Produktion läuft damit aus. Einen neuen „Ring des Nibelungen“ soll es in Bayreuth erst 2020 geben. Im kommenden Jahr steht zunächst eine Neuproduktion des „Lohengrin“ ins Haus, inszeniert von dem Amerikaner Yuval Sharon. Für das Bühnenbild zeichnet der Maler Neo Rauch verantwortlich.