© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Reiten für Deutschland
Literatur: Vor hundertfünfzig Jahren wurde der heute fast vergessene Schriftsteller Rudolf G. Binding geboren
Martina Meckelein

Carl-Friedrich Freiherr von Langen, Rittmeister und Gutsbesitzer bei Stralsund, gewann auf seinem Pferd „Draufgänger“ 1928 die Dressur-Einzelprüfung bei den Olympischen Spielen in Amsterdam. Gemeinsam mit Hermann Linkenbach und Eugen Freiherr von Lotzbeck holte er damals auch das erstmals ausgelobte Mannschaftsgold. Nicht zum ersten Mal, sondern schon seit 1912, verlieh das Olympische Komitee ebenfalls Gold-, Silber- und Bronzemedaillen für die schönen Künste. In Amsterdam errang auf der Olympiade im selben Jahr der Schriftsteller Rudolf G. Binding eine Silbermedaille für sein 1924 erschienenes Buch „Reitvorschrift für eine Geliebte“. Ein Absatz daraus überdauert seit über 90 Jahren: „Der Himmel ist hoch und die Erde ist weit. Drei Fuß höher über dem Boden als andere Menschen gibt dir ein ewiges Gefühl davon. Es wird dich nie mehr verlassen.“

Am kommenden Sonntag nun jährt sich zum 150. Mal Bindings Geburtstag. Wer war dieser Mann, der am 13. August 1867 in Basel geboren wurde? Der Kaiserreich, Krieg, Zusammenbruch, Weimarer Republik und den Beginn des Dritten Reiches erlebte?

Ein Nervenleiden beendete seine Reitkarriere

Binding entstammte einem Professorenhaushalt. Er studierte Rechtswissenschaft und Medizin in Tübingen und Berlin. Im Ersten Weltkrieg wurde er Rittmeister der Reserve im sächsischen Husarenregiment Nr. 19 in Grimma. Seine Leidenschaft für Pferde und das Reiten ließen ihn zu einem europaweit berühmten Jockey und bekannten Pferdezüchter und Rennstallbesitzer avancieren, schreibt Klaus-Dieter Graage, Chronist des Dresdener Rennvereins 1890 e.V. in einer Würdigung Bindings. Sein englischer Vollbluthengst „Over Norton“ gewann 1903 das Lincolnshire Handicap in England.

Nach einer schweren Nervenkrankheit 1907 mußte Binding jedoch seine Reiterlaufbahn und sein Haus in Berlin-Hoppegarten aufgeben. Er reiste mit seiner ersten Frau Helene, in seinen späteren Erzählungen ist sie „Oktavia“, nach Italien und begann mit dem Schreiben. Im Krieg diente er als Stabsoffizier. 1919 veröffentlichte er „Keuschheitslegende“, 1924 die erwähnte „Reitvorschrift“, 1925 basierend auf Tagebüchern „Aus dem Kriege“. Seine Erzählungen und Novellen erreichten Millionenauflagen. „Binding kultivierte das Ideal des deutschen Gentleman: Bonhomie und Ritterlichkeit stehen im Mittelpunkt seiner Weltsicht“, schreibt Mario Leis in seiner Dissertation „Sport in der Literatur – Aspekte ausgewählter Sportmotive im 20. Jahrhundert“ (Uni Siegen 1998).

Binding war populär, als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen. Unbestritten ist, daß Binding als ehemaliger Frontkämpfer und Deutschnationaler sich der Nation und nicht der Regierung gegenüber in Verantwortung sah. An Thomas Mann schreibt er im April 1933: „Ich diene keiner Regierung und weiche also auch keiner Regierung.“

Für die heutigen Meinungseliten ist die Frage nach Bindings Rolle im Dritten Reich längst beantwortet. Ihr Urteil steht fest. Sie bekritteln, daß Bindung nach 1933 nicht emigrierte und sich zeitlebens dem Soldatentum zugehörig fühlte. Als Mitglied der Zwangsorganisation „Reichsschrifttumskammer“ wurde er Vizepräsident der Deutschen Dichterakademie – das reicht! Als „umstritten“ skizzierte ihn 1957 die Zeit in einem Artikel mit der Überschrift „Auskunft über Rudolf G. Bindings Irrwege“. Und noch 2014 bezeichneten Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau in einem Nachruf auf Peter Scholl-Latour, der 1954 über Binding an der Sorbonne promoviert hatte, Binding als „nazitreuen Bedichter soldatischer Tugenden“.

Umstritten war er schon im Dritten Reich – allerdings bei den Nationalsozialisten. Die standen mit Binding offensichtlich so auf Kriegsfuß, daß das Propagandaministerium während der Olympischen Spiele in Berlin seine zuvor bei der Olympiade in Amsterdam ausgezeichnete „Reitvorschrift“ nicht ausstellen wollte. Zu seiner Beerdigung – er starb am 4. August 1938 in Starnberg – schickte die NSDAP keinen offiziellen Vertreter. Vielleicht auch deshalb, weil Bindung kein Parteimitglied war und „in der Juden-Frage seine eigene, humanere Meinung“ hatte, wie der Spiegel 1957 schrieb: „Zur gleichen Zeit aber, zu der Binding ausdrücklich sein Verständnis für den Antisemitismus als staatsmännisches Prinzip formulierte, bewahrte er sich im Persönlichen das Recht zu einer anderen Meinung: Er hielt bis zu seinem Tode zu seiner langjährigen Gefährtin, der ehemaligen Sekretärin Gerhart Hauptmanns, Elisa-beth Jungmann, die er, der sogenannten ‘Nürnberger Gesetze’ wegen, nicht heiraten konnte.“

Sojwets setzten seine Bücher auf den Index

Ein Teil von Bindings Büchern wurde von den Sowjets auf den Index gesetzt. Die „Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone“ veröffentlichte eine Liste der auszusondernden Literatur. Sie erschien 1946 in Berlin im Zentralverlag. Unter der Nummer 1044 steht „Binding, Rudolf G.: „Antwort eines Deutschen an die Welt“. So landet auch 1948 „Von Freiheit und Vaterland“ und 1953, nun durch das neugebildete Ministerium für Volksbildung der Deutschen Demokratischen Republik, „Rufe und Reden“ auf der Liste der auszusondernden Literatur.

Binding ließ sich und läßt sich einfach nicht in eine Schublade sperren. In einem Brief an die deutsche Übersetzerin Mira Koffka, Stieftochter des Verlegers Georg Bondi, schreibt er 1920: „Leider sehe ich weder rechts noch links Köpfe, Schultern oder aufrechte Wirbelsäulen, und so stehe auch ich weder rechts noch links, sondern, wenn Sie mir erlauben, allein.“

Rudolf G. Binding: Reitvorschrift für eine Geliebte. Belle Epoque, 2013, als Kindle Edition bei Amazon