© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Gespannte Stimmung in Rom
Mittelmeermigration: Die Regierung verfolgt eine konsequente Gangart gegen Schlepper und NGOs – die Frage ist nur: Wie lange?
Marco F. Hermann

Auch Abwesenheit ist eine Form des Protests. Von diesem Mittel machte der italienische Innenminister Marco Minniti am Montag abend Gebrauch. Minniti gilt als einer der Hardliner im Kabinett von Ministerpräsident Paolo Gentiloni: In der Libyenfrage verfolgt er eine konsequente Gangart gegen Schlepper und NGOs. Dabei wirft er seinen Parteikollegen mangelnde Unterstützung vor.

Eine Woche ist vergangen, seitdem das Parlament der neuen Mittelmeerintervention zugestimmt hat. Italien will die libysche Marine gegen Menschenschmuggel unterstützen und das Bürgerkriegsland stabilisieren. Dabei entsandte Rom nicht nur das Patrouillenschiff „Comandante Borsini“, sondern verabschiedete auch einen neuen Kodex für die NGOs, die in den Gewässern zwischen Sizilien und Libyen die Seenotrettung unterstützen – darunter findet sich auch das Verbot, in libysche Gewässer zu fahren und die Auflage, bewaffnetes Personal der italienischen Behörden an Bord zu lassen.

Bis zum vereinbarten Tag hatten jedoch nur drei NGOs den Verhaltenskodex unterschrieben – weder „Jugend rettet“ noch „Ärzte ohne Grenzen“ waren darunter. Nur kurz darauf fing Italien die „Iuventa“ ab, die „Jugend rettet“ gehört. Der Vorwurf: Förderung illegaler Einwanderung. Die Behörden beschlagnahmten das Schiff, die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren ein. Ähnliches schien sich am Samstag zu wiederholen, als Italien der „Vos Prudence“ angeblich die Anlandung in Sizilien verweigerte. Ärzte ohne Grenzen widersprach jedoch Zeitungsmeldungen, nach denen auch gegen diese Organisation ein Verfahren eingeleitet worden sei. Die „Prudence“ sei wegen der Schiffsgröße umgeleitet worden. Dennoch hatte sich die Aktion ungewöhnlich lange hingezogen, weil Rom 48 Stunden lang keine Anweisung gegeben hatte, was mit den Migranten geschehen sollte.

Es sind Vorgänge wie diese, die in der Regierungspartei für Spannungen sorgen. „Wenn sich ein NGO-Schiff im Mittelmeer unweit von Flüchtlingen befindet, die gerettet werden müssen, muß es den Hafen ansteuern, der am nächsten liegt. Auch wenn die NGO nicht den Verhaltenskodex unterzeichnet hat“, äußerte sich Verkehrsminister Graziano Delrio. Dies provozierte Minnitis Abwesenheit – hatte der Innenminister doch den Verhaltenskodex ausgehandelt. Minniti soll daher sogar mit seinem Rücktritt gedroht haben, sollte die Regierung das Gesetz „aufweichen“.

Die Stimmung in Italien gibt dem  Innenminister recht. Das Umfrageinstitut SWG stellte im Juli fest, daß sich 61 Prozent der Italiener für eine Seeblockade aussprechen, 67 Prozent verneinen eine weitere Aufnahme von Migranten. Protest regt sich auch bei den Bürgermeistern, die ihre Ortschaften am Rande der Kapazitätsgrenzen sehen. In Gardone am Gardasee verordnete Bürgermeister Andrea Cipani, daß seine Gemeinde keine weiteren Migranten aufnehme. Man wolle sich weder dem „beschämenden Menschenhandel der NGOs“ anschließen, noch der Regierung und verschiedenen Organisationen, die aus der Aufnahme von „Flüchtlingen“ ein Geschäft gemacht hätten – dies geschehe nicht aus „rassistischen“ Motiven, sondern gesundem Menschenverstand. 

Linke Regierung steht unter Zugzwang

Im ferraresischen Codigoro kündigte die Bürgermeisterin Sabina Alice Zanardi indes an, die Steuern für all diejenigen zu erhöhen, die Flüchtlinge daheim unterbrächten. Zanardis Verordnung birgt Zündstoff, da sie dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) von Gentiloni angehört. Der PD befindet sich seit Monaten im freien Fall, selbst die eigenen Wähler goutieren mehrheitlich nicht mehr den migrationsfreundlichen Kurs. Bei den Kommunalwahlen im Juni verlor die Regierungspartei 33 Städte an den politischen Gegner.

Neben dem innenpolitischen Druck, der die sozialdemokratischen Abgeordneten um ihren Wiedereinzug bangen läßt, kommen außenpolitische Unwägbarkeiten hinzu. Das Eingreifen des französischen Präsidenten Emanuel Macron in die libyschen Verhältnisse wurde in Rom argwöhnisch beobachtet. Italien sieht Libyen als Einflußsphäre; die letzte Intervention Frankreichs in Libyen endete mit dem Sturz Muammar al-Gaddafis. 

Obwohl Italien zudem mit den wichtigsten Vertretern der libyschen Bürgerkriegsparteien verhandelt hatte, drohte der General Chalifa Haftar mit einer Bombardierung italienischer Schiffe. Die Episode wurde von der italienischen Regierung jedoch als reine Propaganda abgetan.