© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Fahrverbot statt Fahrvergnügen
Diesel: Auch nach der Einigung von Politik und Autoindustrie wird weiter gestritten
Christian Schreiber

Der Streit um die Resultate des so genannten Diesel-Gipfels ist zu Wochenbeginn noch einmal schärfer geworden. Die Europäische Kommission begrüßte zwar die Tatsache, „daß die deutsche Typgenehmigungsbehörde, das Kraftfahrtbundesamt, die Softwarelösungen überprüfen und validieren wird.“ Die deutschen Behörden sollen zudem sicherstellen, daß eine Reduzierung der Emissionen gemessen und durch genauere Emissionsprüfungen unter realen Fahrbedingungen bewiesen wird – und dies nicht nur im Labor. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte in Brüssel, man müsse zur Kenntnis nehmen, daß es ein von Deutschland ausgehendes Problem mit der Dieseltechnologie in Europa gebe. „Deutschland hat durch Fehlverhalten einiger an Ansehen verloren“, sagte Juncker und fügte hinzu, daß die Kommission bereit sei, auch das Kartellrecht einzusetzen.

In Deutschland hat das Thema mittlerweile große politische Diskussionen ausgelöst. Die vereinbarten Softwareupdates seien nicht ausreichend wirksam, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sören Bartol forderte eine schnelle Umrüstung der Motoren. Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer erklärte, er vermisse nach wie vor einen „tragfähigen Vorschlag zur Lösung des Diesel-Problems“. Der Professor für Automobilwirtschaft an der Uni Duisburg-Essen sagte, die Probleme einer mangelnden gesetzlich vorgeschriebenen Abgasreinigung seien lange bekannt gewesen. Trotzdem habe man durch den Steuervorteil beim Kraftstoff sogar noch einen zusätzlichen Diesel-Boom erzeugt. 

Auch CSU-Chef Horst Seehofer, der am Diesel-Gipfel teilnahm, ist nicht überzeugt, daß mit den Ergebnissen Fahrverbote künftig sicher verhindert werden könnten. Seehofer erklärte gegenüber der Deutschen Presseagentur, er gebe dem gefundenen Programm drei Monate. Bis Mitte Oktober müßten meßbare Ergebnisse für eine saubere Luft vorliegen. Sollte keine Wirkung spürbar werden, steige die Gefahr von Fahrverboten. Entscheidend sei nun, wie die von der Automobilindustrie angebotenen Maßnahmen von den Besitzern der Autos angenommen würden. Sollten die Ergebnisse des Gipfels keine Wirkung entfalten, steige die Gefahr von Fahrverboten, sagte Seehofer. Fahrverbote für Diesel-Autos  könnten nach Einschätzung Dudenhöffers Kosten in Höhe von insgesamt rund 15 Milliarden Euro nach sich ziehen.

ADAC rät Kunden derzeit vom Kauf eines Diesel ab

In der vergangenen Woche hatten die Autohersteller ein Softwareupdate für 5,3 Millionen Dieselfahrzeuge der Schadstoffklassen Euro 5 und Euro 6 angekündigt. Darunter sind allerdings auch 2,5 Millionen Fahrzeuge von Volkswagen, für die schon Nachrüstungen angeordnet wurden. Ziel ist eine durchschnittliche Stickoxid-Reduzierung von 25 bis 30 Prozent der nachgerüsteten Fahrzeuge. Eine Hardwareaufrüstung, also Umbauten am Motor, die als deutlich wirksamer gelten, lehnten die Vorstände der Hersteller auf dem Dieselgipfel ab. Die meisten Dieselfahrzeuge, die eine aktualisierte Software bekommen, entfallen auf den Volkswagen-Konzern mit seinen Marken VW, Audi und Porsche. Auch Dieselautos von Daimler, BMW und Opel sollen durch ein Update weniger Schadstoffe ausstoßen. Ausländische Hersteller beteiligen sich nicht an der Aktion.

 Neben der politischen Debatte tobt auch ein Streit unter Fachleuten über Sinn und Zweck der auf dem Diesel-Gipfel beschlossenen Maßnahmen. Stefan Carstens, Experte für Abgasreinigungssysteme, bezweifelte gegenüber Spiegel Online eine Verbesserung durch ein reines Softwareupdate. Seiner Einschätzung nach arbeitet der Dieselmotor nur dann wirklich sauber, wenn die Abgasrückführung (AGR) im Stadtverkehr häufiger zum Einsatz komme. Dazu seien jedoch größere Umbauten am Motor nötig, ein Softwareupdate reiche nicht aus.

Der Dresdner Verkehrswissenschaftler Matthias Klingner kritisierte dagegen die ideologisch verengte Debatte über den Schadstoffausstoß. So habe vor einiger Zeit die Reduzierung von Feinstaub ganz oben auf der Forderungsliste gestanden. Deswegen sei die Temperatur der Motoren erhöht worden, erläuterte es in den Dresdner Neuesten Nachrichten. „Bei höherer Motortemperatur verringere ich zwar den Ausstoß von Feinstaub, indem der Kraftstoff besser verbrannt wird. Wenn ich die Motortemperatur aber hochsetze, verbrenne ich auch mehr Stickstoff und damit erhöhen sich die Stickoxidwerte im Abgas. Es ist also ein antagonistischer Widerspruch, Feinstaub und Stickoxidwerte durch eine geschickte Motorsteuerung gleichzeitig reduzieren zu wollen.“ Im übrigen sei die Kohlendioxid-Bilanz des Diesels besser als die des Benzinmotors. Sinnvoller als Fahrverbote sei für eine Schadstoffreduzierung in den Städten eine „Verkehrsverflüssigung“, meint Klingner. 

Das Stuttgarter Verwaltungsgericht äußerte unterdessen Bedenken über die Sinnhaftigkeit einer Nachrüstung: Im Vergleich zu Fahrverboten seien „alle anderen Maßnahmen von ihrem Wirkungsgrad her nicht gleichwertig. Dies gilt auch für die sogenannte Nachrüstlösung“, heißt es in einem Urteil zur Einhaltung des Luftreinhalteplans in Stuttgart. 

Der ADAC fordert inzwischen eine verpflichtende technische Nachrüstung mit Bauteilen, „wo es technisch machbar und finanziell angemessen ist“. Derzeit rät der Automobilclub zudem Kunden vom Kauf eines Diesel-Fahrzeugs ab.