© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/17 / 28. Juli / 04. August 2017

Erste Schritte einer gemeinsamen Innenpolitik
Die Trevi-Abstimmung im Geist der Terrorismusbekämpfung von 1976 war ein Meilenstein auf dem Weg zur europäischen Integration
Jürgen W. Schmidt

Entwickelte sich die europäische Integration und der spätere Wegfall der EG-Binnengrenzkontrollen im Ergebnis einer internationalen Zusammenarbeit der EU-Länder bei der Terrorismusbekämpfung? Trugen hierbei „bürokratische Eigendynamik“ und der Umstand, daß ganz undemokratisch bei diesem Prozeß nationale Parlamente wie Massenmedien nur als reine „Statisten“ mitwirkten, dazu bei, daß ab den siebziger Jahren die europäische Integration unumkehrbare Züge annahm und schließlich immer schneller verlief? 

Dies behauptet jedenfalls die Historikerin Eva Oberloskamp vom Institut für Zeitgeschichte in München anhand von freigegebenen Akten aus deutschen, französischen und britischen Archiven. Demnach war zu Beginn der siebziger Jahre der internationale, grenzüberschreitende Terrorismus eine neue, zugleich sehr gefährliche Bedrohung, der sich viele europäische Länder stellen mußten. Diese Entwicklung machte um die Bundesrepublik keinen Bogen und der Schock über die Geschehnisse in München während der Olympischen Spiele 1972 war groß. 

Bei Trevi liegen die Wurzeln von Schengen

Während sich das Auswärtige Amt aus Rücksicht auf die arabischen Staaten wie üblich drückte, entsprechende Initiativen zur Terrorismusbekämpfung im Rahmen der Vereinten Nationen oder in Zusammenarbeit mit befreundeten Staaten einzuleiten, sah sich das Bundesinnenministerium (BMI) gerade deshalb dazu gezwungen. In einer Vorreiterrolle trafen das deutsche BMI und das französische Innenministerium und parallel dazu der Verfassungsschutz und der französische Geheimdienst DST erste informelle Absprachen. 

Am 27. Februar 1976 stellte das BMI in einer Vorlage fest, daß „Europa sich nicht integrieren“ lasse, „ohne eine gemeinsame Innenpolitik“. In jährlichen Treffen mit der Bezeichnung Trevi (Terrorisme, Radicalisme, Extrémisme, Violence Internationale) wurden ab 1976 durch die Innen- bzw. Sicherheitsminister der einzelnen EG-Staaten Nägel mit Köpfen gemacht. Zwar blieb die Tatsache der jährlichen Trevi-Treffen der Öffentlichkeit nicht geheim, doch die Tagesordnungen und die getroffenen, teils weitreichenden Beschlüsse blieben geheim. 

Es wurde damit begonnen, die innenpolitische Gesetzgebung der einzelnen EU-Staaten anzugleichen und kompatibel zu machen. Es kam zu grenzüberschreitenden Informationsaustauschen und zur Bildung von Expertennetzwerken. Als sich erste Synergieeffekte zeigten, wurde der einmal eingeschlagene Weg, von der Öffentlichkeit und den Medien unbemerkt und deshalb in seiner Bedeutung kaum gewürdigt, weiter fortbeschritten. Hier liegen die Wurzeln von Schengen und der heutigen EU mit ihrer personalen Freizügigkeit der Bürger und allen daraus resultierenden Sicherheitsproblemen. 

Zwar konnte Eva Oberloskamp aus Gründen der Aktenfreigabe die Trevi-Prozesse nur bis zum Ende der siebziger Jahre verfolgen. Doch deren immense Bedeutung für die späteren europäischen Integrationsprozesse liegt deutlich auf der Hand. Ihre äußerlich durchaus spröde daherkommende historische Studie besticht mit einem wahrhaft brisanten Inhalt.

Eva Oberloskamp: Codename Trevi. Terrorismusbekämpfung und die Anfän-ge einer europäischen Innenpolitik in den 1970er Jahren. De Gruyter Verlag, Berlin 2017, gebunden 313 Seiten, Abbildungen, 39,95 Euro