© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/17 / 28. Juli / 04. August 2017

Pankraz,
die Wiesenmahd und das Insektensterben

Bekümmerliches, ja Alarmierendes zur Urlaubssaison 2017: Wer seine Ferien heuer in heimatlicher Landschaft genießen will, zu Hause im eigenen Garten oder beim Wandern entlang freier Wiesenflur,  der wird Zeuge des „großen Insektensterbens“, wie es die agrarökonomische Forschung zur Zeit in vielen neuen Veröffentlichungen ausdrückt.

Von „gravierenden Rückgängen fliegender Insekten“ von bis zu achtzig Prozent ist da die Rede (siehe zum Beispiel „Ermittlung der Biomassen flugaktiver Insekten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch mit Malaise-Fallen“ von O. Schwan, H. Stenmans und  W. Müller, Verlag für Entomologische Mitteilungen, Krefeld 2017). Malaise-Fallen sind spezielle Untersuchungsanlagen, mit denen sich qualitativ und quantitativ fliegende Insekten nachweisen lassen, die für zentrale Ökosystemfunktionen, wie die Bestäubung oder als Nahrungsgrundlage, von unersetzlichem Wert sind.

Doch nicht nur ausgefuchste Fachleute spüren die herannahende Katastrophe, auch ganz biedere, ökologisch nicht sonderlich interessierte Landwirte werden unruhig. „Wenn wir früher“, erzählte einer in der zitierten Zeitschrift, „nach einer halben Stunde Wiesenmahd schon die Frontscheibe des Traktors voller Insekten hatten und heute die Scheibe sauber bleibt, dann bestätigt das wohl die Skepsis der Fachleute. Kein Wunder, die modernen Mähwerke und das Tempo, in dem heute gemäht wird, lassen den Insekten in einer Wiese kaum noch eine Überlebenschance.“


Ein anderer meinte dagegen: „Auch wenn es makaber klingt – aber wenn wir Älteren zurückdenken, wie in früheren Sommern im Vergleich zu heute der Kühlergrill und die Frontscheibe der Autos mit Insekten oft richtig zugedeckt  wurden, und heute bleibt alles sauber, dann wundert dieser Befund der Wissenschaft nicht. Wir sollen beim Mähen weniger schnell fahren, wird uns hier und da geraten, darüber kann ich nur lachen.  Mit der Traktorgeschwindigkeit bei der Wiesenmahd hat das mit Sicherheit nichts zu tun, eher mit der immer intensiveren Landwirtschaft insgesamt.“

Auch Pankraz findet: Es ist gewiß nicht die Geschwindigkeit, mit der die Wiesen hierzulande abgemäht werden, sondern die Tatsache, daß sie heute aus „Optimierungsgründen“ in einem Sommer gleich mehrmals hintereinander abgemäht werden; so können sich Blüten und Blumen, welche den Insekten Nahrung und Überleben sichern, gar nicht mehr entfalten. Kaum hat ein Gras eine landwirtschaftlich verwertbare Höhe erreicht, schon kommt der Mähdrescher und legt es nieder. Die Insekten verschwinden, ihr Brummen und Summen verstummt, die Wiesen versinken in Schweigen.

Ist dieses Schweigen der Vorbote für das Versinken der Wiesen als natürlicher Landschaftsform überhaupt? Manche befürchten das. Vor einigen Jahren gingen ja schon einmal wahre Panikmeldungen vom „großen Bienensterben“ um die Welt, die solchen Befürchtungen Nahrung gaben. In Amerika, erfuhr man, hätten einige höchst aggressive Völker von „Terrorbienen“ einen Krieg gegen die uns so vertrauten Honigbienen eröffnet und seien dabei, diese auszurotten. Und das könne die schlimmsten globalen Folgen für die Ernährung der Menschheit haben. 

Honigbienen sind bekanntlich die wichtigsten Bestäuber im Reich des Lebendigen und somit tatsächlich die Garanten für den Erhalt zahlreicher Pflanzenarten. Sie umsummen die Blüten der Pflanzen, um an ihren Nektar heranzukommen, und dadurch übertragen sie die männlichen Samenpollen der Pflanzen auf deren weibliche Fruchtstände. Auch die vom Menschen genutzten Heu-spender sind dabei, es besteht (bestand wenigstens bisher) eine echte Symbiose zwischen Mensch und Biene.


Mittlerweile hat die Aufregung über den Krieg der Terrorbienen gegen die Honigbienen freilich sehr nachgelassen. Genauere Analysen über die  Bestandsentwicklung global bewirtschafteter Bienenvölker stützen die These vom großen Bienensterben nicht. Zwar sind die Honigbienen die wichtigsten, aber nicht die einzigen Bestäuber unter den fliegenden Insekten, da sind zum Beispiel noch die Hummeln. Wenn jetzt die Kunde vom „allgemeinen Insektensterben“ Glaubwürdigkeit gewinnt, wie organisiert man dann eine wirksame Lobby gegen diesen Trend?

Schließlich handelt es sich diesmal nicht um Nachrichten von jenseits des Ozeans,  sondern um Erfahrungen aus heimatlichen Wiesengründen, und die Katastrophenmacher sind nicht irgendwelche romantischen Terrorbienen, sondern biedere Landwirte von nebenan, die ihre Arbeit „optimieren“ wollen. Und Insekten insgesamt sind im Volk, trotz Honigbienen, Marienkäfern oder Schmetterlingen, nicht beliebt. Mücken und Wespen stechen, Fliegen sind lästig und schmutzliebend, es gibt horrende Insekten-„Plagen“ (Mückenplage, Wespenplage). Lohnt da wirklich Aufregung?

Nun, immerhin gibt es, gerade jetzt zur Urlaubszeit, noch die vielen Wiesenwanderer, die sich an der Blütenpracht und sichtbaren Artenvielfalt dieser Biotope erfreuen und die Seele stärken wollen – und die mit Kummer immer weniger Blumen sehen und immer weniger Insekten summen hören, sondern nur noch ratternde Mähdrescher wahrnehmen. Sogar die Klapperstörche haben sich rar gemacht, die früher hinter den Maschinen her stolzierten, um aufgeschreckte Insekten aufzupicken. Denn es gibt eben kaum noch Insekten, auch keine Raupen und Larvenformen von ihnen mehr. 

Bald wird wohl auch die Wiese selbst als agrarökonomischer Heuspender verschwunden sein, wird sich in bloße Brache und Bauland verwandelt haben. Neulich sah Pankraz (bei Hessen 3) einen Film über die Ökologie eines schlichten Kornfelds. Man sah herrliche Mohn- und Kornblumen, dazu muntere Feldhamster unten und trillernde Lerchen im Himmel darüber. Und Pankraz dachte bei sich: „Die müssen’s nötig haben. Ein typischer Streifen aus der Nachwiesenzeit.“