© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/17 / 28. Juli / 04. August 2017

Tramp zwischen Löwen und Zensurvorwurf
Besuch des Front-National-Bürgermeisters in Le Luc in der Provence: Pascal Verrelle kommt bei den Bürgern an, seine Partei dagegen weniger
Norbert Breuer-Pyroth

Das provenzalische Städtchen Le Luc liegt zwar kaum eine Autostunde Berg- und Talfahrt vom glamourösen Saint-Tropez entfernt. Doch hat es mit diesem allenfalls die traumhafte Natur und das beständig gute Wetter gemeinsam. Seit der Bauxitabbau aus dem roten Boden eingestellt wurde, ist es nämlich eher trist geworden in Le Luc – ehedem eine gedeihliche Arbeiterstadt, deren Einwohnerschaft von 1954 bis heute von 3.000 auf 10.000 gewachsen ist. 

Viele Geschäfte stehen leer, andere sind renovierungsbedürftig, die kleinen Händler klagen, leiden. Doch der Ort wirkt durchaus sauber und namentlich in den Außenvierteln auffallend gepflegt. Die Menschen sind freundlich zu Fremden. Immerhin: Das 2003 in Dienst gestellte Deutsch-Französische Heeresfliegerausbildungszentrum TIGER auf dem Flugplatz von Le Luc dient weiterhin deutschen und französischen Heeresfliegern als Ausbildungsstätte fliegender Besatzungen. Und: Der Ort schlägt sich trotz der Widrigkeiten vergleichsweise wacker; die Schuldenlast pro Einwohner liegt  mit 600 Euro weit  unter dem französischen Durchschnitt (ca. 900 Euro).

„Wir sind gegen unseren Willen in Europa“

Auf dem freitäglichen, zwar überschaubaren, doch lebendigen Wochenmarkt mit Gemüse, Blumen, Hähnchenbraterei geht es gutnachbarlich zu. Man flaniert, sitzt im sonnigen Freien, ist hier unter sich. Vom infernalischen Lärm der von Jugendlichen halsbrecherisch und unduldsam gefahrenen, frisierten Zweirädern wie „mobylettes“ und „cyclomoteurs“ – sie stellen nur fünf Prozent der Fahrzeuge im Departement Var, aber 40 Prozent der Verkehrstoten – einmal abgesehen, geht es gemütlich zu. Die Touristen, die im nahe gelegenen, malerischen Lorgues den riesigen Wochenmarkt zu Tausenden bevölkern, verschlägt es indes nicht nach Le Luc. 

Seit März 2016 trägt Pascal Verrelle die blau-weiß-rote Bürgermeisterschärpe mit Kordeln. Eine von 11 des Front National (FN) in ganz Frankreich. Neben Le Luc en Provence sind es unter anderem Fréjus (53.500 Einwohner) und Cogolin (12.500). Mit seinen Amtskollegen pflegt er engen Kontakt.

Der frühere Soldat und Justizvollzugsanstaltsdirektor Verrelle, über den schon die New York Times berichtete und der dieser sagte: „Wir sind gegen unseren Willen in Europa. Es ist ein Gefängnis. Es ist keine dauerhafte Lösung“, ist spätestens frankreichweit bekannt, seitdem er den Film „Chez nous“ des Belgiers Lucas Belvaux aus dem Programm des städtischen Kinos gestrichen hat. Das Werk schildert – anonymisiert – kritisch den Aufstieg des FN in Nordfrankreich. Landesweit heftige Reaktionen unter dem Tenor „Zensur“ waren die Folge.  Das Pariser Ministerium schaltete sich gar ein und erteilte ihm ohne Anhörung eine Rüge. Bürgermeister Verrelle dazu: „Wir finanzieren das Kino schließlich. Deshalb werde ich den Leuten doch nicht noch den Stock reichen, um mich zu schlagen!“

Verrelle folgte auf seine Amtsvorgängerin Patricia Zirilli (FN), die „wegen des Drucks einer Mannschaft, der es nicht gelingt, vorausschauend zu denken und die mir vorwirft, nicht genügend FN zu sein“, demissionierte. Schon ihr FN-Vorgänger Philippe de la Grange war zurückgetreten, dieser allerdings aus ernsten gesundheitlichen Gründen.

Am Marktplatz von Le Luc äußert ein Pensionär: Nein, er sei nicht mit Verrelle zufrieden. Der rede jedem nach dem Munde, sage allen alles zu. Der sei kein Politiker, sondern nur ein Gefängniswärter. Er selbst habe jedenfalls „En marche“ gewählt 

Ein weiterer Herr in blauem Hemd ist anderer Meinung: „Er ist nicht unangenehm. Ja, ich bin zufrieden mit ihm. Er macht gute Arbeit.“ Ein älterer Marokkaner – hörbar stolz darauf, Bürger Frankreichs geworden zu sein – wägt seine Worte: „Also ich wähle nicht den FN, aber ich finde den Bürgermeister sehr freundlich.“ Der gäbe ihm die Hand, der übersehe ihn nicht. Der sozialistische Bürgermeister André Raufast (im Amt 2008 bis 2014) hingegen, ein Arzt, sei arrogant aufgetreten, der habe fast alle übersehen, nachdem er gewählt war. Sein unergründlich lächelnder marokkanischer Begleiter hört zu, bleibt aber stumm, trotz Nachfrage. 

Eine 60jährige Dame am Kleiderstand auf dem sonnigen Krammarkt: „Ich wohne erst seit einem halben Jahr in Le Luc. Monsieur Verrelle habe ich daher bloß auf zwei Sitzungen gesehen. Er strahlt jedenfalls viel Tatkraft aus, hat ein angenehmes Auftreten. Ziehen Sie auch hierher, es ist schön hier!“ lacht sie und begutachtet ein Kostüm.

Abdallah Boujet betreibt einen Kebap-Imbiß. Auch der Bürgermeister komme gern, mit seinen Kindern, erzählte er dem Deutschlandfunk, der jüngst zu Gast war: „Wir haben einen super sympathischen Bürgermeister, der zu den Geschäftsleuten kommt, mit ihnen diskutiert und sich ihre Sorgen anhört. Das ist ein Bürgermeister zum Anfassen. Ich spreche jetzt über die Person und nicht über die Partei.“ Er wähle lokal FN, wegen des Bürgermeisters. National komme das für ihn nicht in Frage. Er sei ja nicht verrückt.

Nur die Linke sperrt sich gegen eine Zusammenarbeit

Vor dem Rathaus – im Eingang hängt ein offizielles staatliches Plakat, dem zufolge man im öffentlichen Raum keine Gesichtsbedeckung tragen dürfe – steht im roten Hemd Jean-Marie Bernardi vom kommunistischen Front de Gauche. Er verteilt Flugblätter, auf denen zu lesen steht, daß man nicht Politiker sei, keine Karrierepläne habe, man aus der Arbeitswelt stamme und es ihnen um politische Ethik gehe. 

Bernardi erklärt höflich und geduldig seine Positionen. Ja, die Probleme seien schon vor dem FN dagewesen. Aber sie, die Linken, hätten immerhin einen „generellen Plan“. Vor den Bürgern in Le Luc fand dieser dann keine Gnade: Bei der Parlamentswahl am 11. Juni konnte er nur 3,3 Prozent erzielen. Der FN siegte mit 33,8 Prozent vor der Kandidatin Macrons (28,9 Prozent); im zweiten Wahlgang erzielte der FN 52,2 zu 47,8 Prozent der Macronisten.

Dann schreitet der Monsieur le Maire aus dem Rathausportal. Groß, dunkle Jacke, goldgelbe Krawatte, blaue Jeans. Unter der Europafahne muß er nicht mehr einhergehen – selbige wurde nämlich als erstes entfernt, als 2014 der FN das Zepter in Le Luc übernommen hatte. Er wirkt aufgeräumt, gelassen. Jovial gibt er vielen die Hand, er geht zu ihnen, noch mehr kommen zu ihm. 

Als er hört, daß wir aus Deutschland kommen, wird er geradezu leutselig. Kürzlich sei der Deutschlandfunk dagewesen. Dieser habe sich ihm gegenüber fair und höflich gezeigt, konzediert er. Er erklärt, teils in präsentablem Deutsch, daß er 1972 in Kaiserslautern Soldat gewesen sei. Da habe er immer noch Freunde, überall in Deutschland habe er welche, sehr viele sogar. Als Beleg singt er für uns im Markttrubel inbrünstig und fehlerlos: „Wir sind die Tramps, Tramps, Tramps vun de Palz, uns steht es Wasser immer bis zum Hals“, gleich mehrfach. Die Passanten kümmert es nicht. 

Dann wird er politisch: „Mit den Linken des Monsieur Bernardi ist keine Zusammenarbeit möglich. Die sind gegen alles. Dauernd bloß Petitionen. Man kommt sich fast vor wie vor einem Tribunal.“ Mit den anderen Parteien von Rechts und Links könne man im Stadtrat hingegen ganz normal zusammenarbeiten. Und fährt fort: Ja, die Geschäfte innerorts seien leer. Das sei ja aber schon vordem so gewesen. Leclerc und Lidl auf der grünen Wiese machten es den kleinen Kaufleuten im Zentrum auch wirklich schwer. Jedenfalls stehe sein Bürgermeisteramt ganz offen, für jede und jeden, es gebe „keine Leichen im Keller“. Seine Leute arbeiteten förmlich rund um die Uhr. 

Auch in den kleinsten provinziellen Niederungen der Provence wird es oftmals weltläufig: Hollywood-Größe Pamela Anderson („Baywatch“) protestierte  in Le Luc mit 150 Tierschützern gegen einen Auftritt des Zirkus Muller, und zwar wegen dessen Löwen und Tigern, welche Verhaltensstörungen davontragen könnten, wie sie mittels tierärztlicher Gutachten darstellte. 

Bürgermeister Verrelle warf sich dazwischen und verhängte ein vorläufiges Auftrittsverbot. Der Zirkus könne nichtsdestoweniger, so ließ er wissen,  auftreten – jedoch ohne wilde Tiere. Außerdem habe ihn, es sei ihm eine Ehre, Brigitte Bardot aus Saint-Tropez angerufen und ihm ihre „totale Unterstützung“ zugesagt. Woraufhin die Zirkusleute gedroht haben sollen, die „Löwen in die Stadt zu lassen“. Seine Mitarbeiter bat Verrelle, den Zirkusauftritten nicht beizuwohnen. 

Wie die Bürger, die Lucois, auf ihn reagieren, fragten wir: „Na ja, beim ersten Mal seien die Leute schon ängstlich gewesen. Doch wenn jetzt Wahlen wären, dann würde man mich gewiß wiederwählen“, äußert er im Brustton der Überzeugung. Generell meint er: Die Europäische Union sei nicht gerecht; sie sei freilich annehmbar, wenn es sich um ein Europa der Vaterländer handele. Gut Freund solle man sein.“

Am französischen Nationalfeiertag, dem 14. Juli 2017, lud Monsieur le Maire denn auch folgerichtig nicht nur die in Le Luc stationierten französischen Soldaten, sondern selbstverständlich auch deren deutsche Kameraden mit Oberstleutnant Rainer Lüttge an der Spitze zu einem feierlichen Appell mit anschließendem großen Buffet in die Gärten seines Bürgermeisteramtes. Wo es, wie der Bürgermeister verlautbaren ließ, „entspannt und gesellig“ hergegangen sein soll.