© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/17 / 28. Juli / 04. August 2017

Die Fünfte Gewalt
Podiumsdiskussion: Nichtregierungsorganisationen treiben staatliche Behörden allzu oft vor sich her
Christian Dorn

Wir schaffen das.“ Obgleich der berüchtigte Satz auf denkbar unvorteilhafte Weise mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verknüpft ist, eignete er sich als überzeugende Botschaft für das ebenso einflußreiche wie dubiose Netzwerk namens Campact (JF 45/10). Gegen die derzeit wohl einflußreichste Nichtregierungsorganisation (NGO) Deutschlands kommt augenscheinlich keine Regierungspolitik an, wie die unterbrochenen TTIP-Verhandlungen belegen oder die jüngst verabschiedete „Ehe für alle“. 

Auch die Campact-Kampagne „Flüchtlinge willkommen heißen“ hat nicht an Aktualität eingebüßt. Dies illustriert beispielhaft, wie Kampagnenorganisationen eine immer größere Rolle in unserer Demokratie einnehmen, indem sie den demokratischen Prozeß auf eine fragwürdige Weise unterwandern und ihn schließlich steuern. Das Wirken der NGOs in den westlichen Demokratien erscheint manchem Kritiker daher geradezu als „Krebsgeschwür“.

NGOs agieren ohne      demokratische Kontrolle

Nicht ganz so polemisch, dennoch um deutliche Kritik bemüht, war vergangene Woche eine Vortragsveranstaltung unter dem trefflichen Titel „NGOs – Die fünfte Gewalt?“, ausgerichtet vom Magazin Novo – Argumente für den Fortschritt. Teilnehmer waren  der Ressortleiter Wissenschaft des Magazins, Thilo Spahl, der Wissenschaftsjournalist Ludger Weß sowie der Ökonom Thomas Bauer  Der Vorwurf: Viele NGOs agierten mit einem fragwürdigen Anspruch des „wir“ oder „uns“, das vorgibt, im Auftrag des Allgemeinwohls und damit des Souveräns zu handeln, real aber die Gewaltenteilung unterminiert. Indem es sich selbst ermächtigt und die Legislative mit fragwürdigen Voten vor sich hertreibt, spielt sie zugleich die Rolle der Judikative – als moralischer Ankläger und Richter – oder gar als Exekutive, etwa bei Blockadeaktionen. 

In Wirklichkeit jedoch, so Novo-Chefredakteur Johannes Richardt, der die Veranstaltung moderierte, würden die NGOs keineswegs „die Verbraucher“, „die Umwelt“ oder „die Bevölkerung“ vertreten, sondern stünden wie Industrielobbyisten für Partikularinteressen. Besonders deutlich werde dies im Fall der Organisation Campact, die nur 12 Mitglieder und etwa 40 Mitarbeiter zählt, sich aber als eine „Bürgerbewegung“ mit knapp zwei Millionen Menschen darstellt. 

Dabei wird verschleiert, daß NGOs ebenso politische wie finanzielle Interessen haben. Zudem agieren sie ohne demokratische Kontrolle und frei von Rechenschaftspflichten. Bezeichnenderweise findet deren dubioses Wirken beim Verein Lobby Control keine gebührende Aufmerksamkeit – kein Zufall, ist diese Gesellschaft doch ebenfalls eine NGO.

Medien berichten          zu unkritisch

Deren eigentliches Geschäftsmodell sei die Produktion von „Angst“ und „Meinungsmache“. Letzteres verdeutlichte Bauer, der Autor einer Studie über Organisationen ist, die sich dem Kampf gegen das Freihandelsabkommen TTIP verschrieben haben, am Beispiel der Online-Berichterstattung zu TTIP, die zu 90 Prozent von kritischen Stimmen dominiert sei, nicht zuletzt durch zahllose finanzierte Google-Suchanzeigen. Spahl warf Vereinen wie Foodwatch vor, auf „Wut und Empörung statt rationale Debatte“ zu setzen. Augenfällig erinnere die Art und Weise der Kampagnenführung an jene von Populisten. 

Begünstigt werde deren nahezu uneingeschränkte Propaganda – auch hier herrschte Einigkeit – durch das Versagen der „Vierten Gewalt“, der Medien, die sich zum Erfüllungsgehilfen der NGO-Kampagnen degradierten. Regelmäßig hieße es Foodwatch „berichtet“, richtig wäre: Foodwatch „behauptet“. Denn tatsächlich beruhten die angeblichen Beweise für die Gefährlichkeit von Lebensmitteln auf „Schrottstudien“, so Weß. Diese Erhebungen seien überlebenswichtig für die NGOs, unterstrichen sie doch deren Behauptung, daß es in der Wissenschaft keinen Konsens gäbe. Insbesondere bei Kampagnen gegen Gentechnik schürten Greenpeace und Co. irrationale Ängste und bedienten eine „Klaviatur der Desinformation“ mit Halb- und Viertelwahrheiten, etwa mit der skandalisierenden Botschaft „Wir haben Glyphosat gefunden“, ohne die Menge und den jeweiligen Grenzschutzwert anzugeben. Medien druckten diese Pressemitteilungen all zu oft unreflektiert eins zu eins ab.

Den Grund hierfür sieht Weß auch in der fehlenden Kompetenz der schreibenden Zunft, wo Wissenschaftsjournalisten eine „aussterbende Art“ seien. Dem kritischen Journalismus komme hier eine um so größere Aufgabe zu, da es den kommerziellen Lobbyverbänden der Industrie schon aus Kostengründen gar nicht möglich sei, in adäquater Weise Gegenanzeigen zu schalten, zudem hätten diese nicht die vermeintliche „Objektivität“ der unreflektiert abgedruckten NGO-Meldungen.