© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

Der Flaneur
Probleme mit dem Licht
Paul Leonhard

Wie nett: Die junge Frau in der Dienstkleidung des privaten Bahnunternehmens verteilt die aktuelle Ausgabe der regionalen Tageszeitung. Nein, nicht an die Handvoll bereits im Wagen sitzenden Reisenden, die würdigt sie keines Blickes, sondern auf die freien Plätze der ersten Klasse. Da es diese aber in diesem Zug nicht gibt, sondern lediglich die geliehenen Triebwagen des Bahn-Konzerns standardmäßig so ausgeschildert sind, stehe ich auf und hole mir eine Zeitung.

Offenbar hat die Zugbegleiterin am Wagenende entschieden, daß es hell genug ist. 

Rechts oben ein Stempel, der darauf verweist, daß ich „Eigentum“ des Bahnanbieters in der Hand halte. Ich schlage das Blatt auf und bleibe bei einem spannenden Artikel auf der dritten Seite hängen. Da geht das Licht aus und ich sitze plötzlich im Dunklen. Gut, im Halbdunklen, denn die Notbeleuchtung flackert. Offenbar hat die am anderen Ende des Wagens Platz genommene Zugbegleiterin entschieden, daß es hell genug ist. Ist es aber nicht oder nur, wenn man sich die Augen endgültig verderben will.

Gibt es in dem spärlich besetzten Großraumwagen potentielle Verbündete für einen Protest? Der Mann schräg gegenüber scheint zu schlafen, der dahinter starrt regungslos aus dem Fenster und die Frau auf der anderen Seite des Gangs liest E-Book. Außer mir vermißt keiner das Licht. Verärgert falte ich die Zeitung zusammen – schaue ich eben auch nach draußen. Die letzten Passagiere steigen zu. Dann springt der Diesel an, der Zug fährt los und jetzt wird es richtig hell. Tageslichthell.

Wir sind aus der Bahnhofshalle herausgefahren. Prompt geht das Licht wieder an. Ich zücke die Zeitung und bin nach zwei Absätzen geblendet. Die Sonne scheint mir frontal ins Gesicht. Wo sind die Jalousien? Gibt es natürlich nicht im Regionalzug. Und um sich umzusetzen, ist der Wagen inzwischen zu voll. Glücklicherweise macht der Zug einen Bogen. Die nächsten fünfzig Kilometer scheint die Sonne anderen ins Gesicht, und ich kann endlich lesen.